Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

WÜRZBURG/BERLIN: Meldeämter mischen beim Datenhandel mit

WÜRZBURG/BERLIN

Meldeämter mischen beim Datenhandel mit

    • |
    • |

    Jubel und Trubel rund um den Fußball werden von Regierungen gerne genutzt, unbequeme Maßnahmen durchzusetzen. Das Volk ist beschäftigt, der Aufschrei der Empörung bleibt aus. Darauf setzten offenbar am Abend des EM-Halbfinales Deutschland-Italien die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP, als sie es im Bundestag beim Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens (Meldegesetz) plötzlich sehr eilig hatten. Das neue Meldegesetz segnet ab, wenn Einwohnermeldeämter künftig Daten aus ihren Registern an Werbeindustrie und Adresshändler weitergeben. Das müssen sie nach Inkrafttreten des Gesetzes Anfang 2014, jedenfalls dann, wenn der Bürger nicht ausdrücklich widersprochen hat.

    Der Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert,  zeigte sich am Mittwoch im ARD-Morgenmagazin irritiert. Er sieht Lobbyisten am Werk. Auch der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz ist dieser Meinung. Dr. Thomas Petri sagt: Hier wurde der Werbewirtschaft einseitig der Vorrang vor dem Datenschutz eingeräumt. Das Gesetz sei „nicht präzise genug formuliert“ und öffne dem Missbrauch Tür und Tor. Es sei schlicht unmöglich, einmal an einen Adresshändler gegebene Daten wieder einzufangen.

    Der Würzburger Rechtsanwalt

    Chan-jo Jun

    sieht das genauso. Vom Grundsatz her müsse der Bürger gefragt werden, bevor der Staat seine Daten an Dritte übermittelt. Die nun im Gesetz verankerte Widerspruchslösung kehre das Prinzip um und sei „dem Datenschutzrecht fremd“.

    Das Bundeskabinett hatte den Entwurf fürs neue Meldegesetz im September 2011 verabschiedet. Die Melderechte in Deutschland sollten vereinheitlicht, der Datenschutz solle gestärkt werden, hieß es damals. Auskünfte über Vor- und Familiennamen, akademische Grade sowie gegenwärtige Anschriften dürften nur dann zu Werbezwecken und für den Adresshandel herausgegeben werden, wenn die betroffene Person einer Übermittlung vorher ausdrücklich eingewilligt hat.

    Es kam anders. Union und FDP drückten im Innenausschuss des Bundestages unter dem Vorsitz von Wolfgang Bosbach (CDU) zahlreiche Änderungen durch. Aus der Einwilligungs- oder Zustimmungslösung wurde die Widerspruchslösung.  Das bedeutet: Meldeämter müssen die für Werbewirtschaft und Adresshandel so profitablen Daten der Bürger grundsätzlich preisgeben.

    Das macht den Staat zum Adresshändler, kritisiert der Internet-Blog „Datenschutzbeauftragter INFO“ und sieht ebenfalls Lobbyisten am Werk. „Ansonsten leuchtet nicht ein, warum eine staatliche Datensammlung, die in erster Linie zur Aufdeckung von Scheinwohnsitzen bestimmt ist, für Werbeinteressenten privater Unternehmen bereitgestellt werden soll.“ Für Betroffene ist es kein Trost, dass sie laut Gesetz bei der Anmeldung im Amt und in der Folgezeit einmal im Jahr auf ihr Widerspruchsrecht hingewiesen werden.

    Der Bericht des Innenausschusses protokolliert, dass es den schwarz-gelben Abgeordneten um die verbesserte Nutzung von Daten aus dem Melderegister geht. Die Opposition  hatte schwerste Bedenken. Der Datenschutz werde massiv verschlechtert, kritisierten Abgeordnete von SPD und Linke, die Grünen wunderten sich, dass es die Koalition so eilig hatte.

    Anwalt Jun hält Klagen gegen das Gesetz beim Bundesverfassungsgericht für wahrscheinlich und die Erfolgsaussichten für hoch. Er erinnert daran, dass die Karlsruher Richter beim Volkszählungsurteil 1983 strenge Regeln zur „informationellen Selbstbestimmung“ aufstellten.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden