Kaum war die Tinte unter der Abschlusserklärung der Libyenkonferenz getrocknet, rückte eine Frage in den Fokus. Muss Deutschland Soldaten in das vom Bürgerkrieg zerfressene Land in Nordafrika schicken? Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versuchte, den Geist wieder in die Falsche zu drücken. “Wir dürfen jetzt nicht den übernächsten Schritt vor dem ersten diskutieren“, erklärte sie. Wohl wissend, dass Auslandseinsätze bei den Wählern unbeliebt sind. Was Merkel auch weiß, ist, dass die Truppe eine zusätzliche Mission ziemlich überfordern wurde.
„Die Kräftebindung der Bundeswehr ist heute schon sehr hoch“, warnte der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels (SPD), im Gespräch mit dieser Redaktion. Ein Libyeneinsatz sei zwar prinzipiell möglich, „würde aber die Belastung weiter erhöhen.“ Es fehlt vor allem an Sanitätern, Funkern und Versorgern. Wenn die Marine Waffenschmuggler im Mittelmeer abfangen soll, müssten sie von anderen Einsätzen abgezogen werden.
Für die Bundesregierung ist das ein Problem, weil die EU als ersten Schritt auf die Neuauflage der Mission Sophia in den Gewässern vor Nordafrika dringt. Schließlich müssen die Europäer nach der Konferenz in Berlin zeigen, dass sie es mit der Ordnung in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ernst meinen. Der EU-Sondergesandte für Libyen hat bereits Schiffe verlangt.
Gut möglich ist in einem zweiten Schritt, dass auch Bodentruppen zur Überwachung eines Waffenstillstandes eingesetzt werden müssen. Dass deutsche Soldaten mit anderen Verbündeten einer Eingreiftruppe aber einen Waffenstillstand herbeikämpfen müssen, wird in der Großen Koalition ausgeschlossen. Die Waffen müssten erst verlässlich schweigen, ehe die Bundeswehr vorrücken würde. Immerhin sind Kampftruppen in den deutschen Kasernen etwas zahlreicher verfügbar als Unterstützer. Doch es hapert bei den robusten Einheiten ebenso am Material.
Die meisten Panzer stehen kaputt in den Werkstätten, was auch für Flugzeuge gilt. Zeitweise konnte kein U-Boot in See stechen. Den Fregatten fehlt es an Raketen. Die Mängelliste ließe sich beliebig fortsetzen. Vor jedem Auslandseinsatz borgen sich die ins Feld geschickten Einheiten mühsam Ausrüstung und Kriegsgerät zusammen. Die Stehzeit im Ausland wurde für die Männer und Frauen vom Heer auf sechs Monate heraufgesetzt, weil die Personaldecke zu dünn ist. Für die Familien daheim ist das eine enorme Belastung.
Deutschland ist weit entfernt, mit der Bundeswehr in Krisenregionen aktiv Politik machen zu können. Aus einer Stärke von 180.000 Soldaten schafft es die Truppe lediglich, zwei kampffähige Divisionen mit 20.000 Mann zu formen. Die Streitkräfte lähmt ihre eigene Bürokratie. Hinter jedem kämpfenden Soldaten stehen 50 Kameraden oder zivile Mitarbeiter, die seinen Dienst im Ausland verwalten. Ein Dutzend laufende Einsätze jenseits der heimischen Grenzen – die meisten mit geringer Stärke – und das starke Engagement in Osteuropa zur Eindämmung von Russlands Ambitionen bringt den Apparat an sein Limit.
Ein Einsatz in Libyen wäre zweifellos gefährlich und müsste daher ordentlich ausgestattet werden. Der abtrünnige General Chalifa Haftar drehte unmittelbar vor der Konferenz als Zeichen seiner Macht den Ölhahn zu, so dass die libyschen Exporte des schwarzen Goldes um die Hälfte fielen. Während in Berlin über das Schweigen der Waffen verhandelt wurde, explodierten bei Tripolis Granaten der Artillerie. Haftar zog sich mitten in der Konferenz zu einem kleinen Schläfchen in sein Hotel zurück
Herren über Krieg und Frieden sind die Europäer ohnehin nicht. Die Türkei und Russland mischen im mörderischen Kampf um das Land am Mittelmeer kräftig mit. Bevor sie nicht ihre Ansprüche abgesteckt haben, ist kein stabiler Waffenstillstand denkbar. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hält außerdem einen mächtigen Hebel gegen die Europäer in der Hand. Er ist der Schleusenwärter und könnte die EU in eine zweite Flüchtlingskrise stürzen, wenn er seinen Grenzern befiehlt, syrische Flüchtlinge nach Griechenland durchzuwinken. Gegen Erdogan ist in Libyen kein Staat zu machen.