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BRÜSSEL: Muss das EU-Parlament sich von Brüssel verabschieden?

BRÜSSEL

Muss das EU-Parlament sich von Brüssel verabschieden?

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    Das Gebäude des Europaparlamentes in Brüssel entspricht nicht mehr den modernen Sicherheitsanforderungen.
    Das Gebäude des Europaparlamentes in Brüssel entspricht nicht mehr den modernen Sicherheitsanforderungen. Foto: Foto: Andreas Brachs

    Der Zustand ist erbärmlich. An einigen Ecken rieseln Putz und Steine herunter. Die Wasserleitungen sind dermaßen veraltet, dass die Mini-Duschen in den Büros nicht mehr benutzt werden können. Von einer möglichen Belastung durch Bakterien war bereits die Rede. Einige Räumlichkeiten haben gar kein Wasser mehr.

    Was wie die Beschreibung eines stark vernachlässigten Sozialbaus klingt, betrifft tatsächlich das wichtigste Gebäude des Europäischen Parlamentes in Brüssel. Im Paul-Henry-Spaak-Building, benannt nach dem früheren belgischen Außenminister, befinden sich neben dem Plenarsaal auch alle größeren Räume, in denen die Fraktionen tagen und Ausschüsse ihre Anhörungen abhalten.

    Risse in den Dachstützen

    Dass der Bau marode ist, bekamen die Abgeordneten zum ersten Mal 2012 zu spüren. In den Dachstützen vor allem des Plenarsaals wurden Risse entdeckt. Er musste zwei Jahre gesperrt werden. 2019 wird das Gebäude, das über eine Fußgängerbrücke mit dem zweiten Bau, in dem sich die Abgeordnetenbüros befinden, verbunden ist, 25 Jahre alt. So lange sollte es halten. Und dann? Schließlich hat der gesamte Komplex mit allen Gebäuden damals etwa eine Milliarde Euro gekostet...

    In dieser Woche tagte das Präsidium und ließ sich vom Generalsekretär des Parlamentes, Klaus Welle, mehrere Vorschläge zeigen. Der radikalste läuft auf einen Abriss und anschließenden Neubau zu. Geschätzte Kosten: 380 Millionen Euro. Etwas günstiger käme die zweite Variante: Für 345 Millionen Euro wäre eine Sanierung möglich, die aber grundsätzliche Probleme nicht beseitigt.

    Die liegen nämlich in der Konstruktion, deren Anforderungen in puncto Sicherheit heute größer sind als noch 1993 bei der Eröffnung. Inzwischen wird beim Entwurf nämlich darauf geachtet, dass im Fall des Einsturzes eines Gebäudeteils – zum Beispiel durch einen Anschlag – nicht gleich der gesamte Bau in sich zusammenfällt. Genau dies scheint in Brüssel nicht völlig ausgeschlossen – ein Konstruktionsfehler, der sich nur durch einen modernen Neubau beseitigen ließe.

    Die dritte Variante: Es wird nur repariert, was kaputt geht. Aber selbst dieser Weg wird mit 150 Millionen Euro veranschlagt. Alle Kostenangaben, so hieß es, könnten bei der Endrechnung um bis zu zehn Prozent nach oben abweichen. Wenn das reicht. Die meisten Brüsseler Experten befürchten deutlich höhere Kosten und verweisen dabei gerne auf die Entwicklung anderer Großbauten – wie die Elbphilharmonie in Hamburg oder den Flughafen Berlin-Brandenburg.

    Das größte Problem dürfte aber die Zukunft des Parlamentes sein. Denn auch bei einem Abriss und Neubau müssten die Abgeordneten für etliche Jahre weichen. Da es in Brüssel kaum geeignete Alternativen gibt, bliebe wohl nur ein zwar befristeter, aber lange anhaltender Wechsel nach Straßburg oder Luxemburg. Eine Vorstellung, die vielen Volksvertretern gar nicht behagt. Denn die Mehrheit möchte den derzeitigen Wanderzirkus zwischen Brüssel und Straßburg sowie eine Woche im Jahr nach Luxemburg beenden.

    Ein Aus für das dahinbröselnde Gebäude der Parlamentarier würde die Diskussion um Jahre zurückwerfen. Von den politischen Folgen ganz abgesehen: Könnte das Parlament wirklich für eine sehr lange Zeit auf die enge Anbindung an die Europäische Kommission und die Ministerräte mit den Vertretern der Mitgliedstaaten, die beide in Brüssel sitzen, verzichten?

    Dabei war doch gerade erst Bewegung in den jahrelangen Streit gekommen. Denn am vergangenen Wochenende hatte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel zum ersten Mal angedeutet, dass sie eine Verlegung das Parlamentes nach Brüssel für denkbar hält.

    Allerdings klassierte sie auch prompt eine scharfe Zurückweisung aus Paris, wo Europaministerin Nathalie Loiseau erklärte, für die französische Regierung sei „der Status Straßburgs als Europa-Hauptstadt nicht verhandelbar“. Das ist der Punkt: Weder die Abgeordneten noch die Kommission haben bei der Frage des Parlamentssitzes ein Mitspracherecht. Dies obliegt alleine den Staats- und Regierungschefs – einstimmig. Anders gesagt: Ohne Frankreichs Zustimmung geht gar nichts. Und die ist nicht zu bekommen.

    Auch in den Europäischen Verträgen wurde Straßburg als Sitz der Volksvertretung festgeschrieben. Zwölf Wochen im Jahr muss das Parlament im Elsass tagen – ein unvorstellbarer Aufwand. 2500 Europa-Abgeordnete, Assistenten, Dolmetscher und Lobby-Vertreter pilgern per Auto, Zug oder Flugzeug in das 430 Kilometer entfernte Straßburg.

    Das läuft keineswegs immer rund: Am Montag dieser Woche blieb ein Thalys-Sonderzug von Brüssel nach Straßburg wegen einer Panne in der Stromversorgung vier Stunden auf offener Strecke stehen. Die Kosten für die europäische Wanderung: rund 200 Millionen Euro im Jahr. Von den zusätzlichen finanziellen Lasten durch den Betrieb mehrerer Parlamentsgebäude ganz zu schweigen.

    Österreich will Kosten sparen

    Das Thema kommt wieder auf den Tisch, spätestens im zweiten Halbjahr. Dann hat Österreich die halbjährlich rotierende EU-Ratspräsidentschaft inne. Kanzler Sebastian Kurz hat bereits angekündigt, die Verlegung des Parlamentes nach Brüssel anzutreiben, um Kosten zu sparen. Doch der Regierungschef aus Wien hat die Rechnung ohne Wissen um die bauliche Substanz in Brüssel gemacht. Wohin soll das Parlament denn gehen, wenn in Brüssel keine geeigneten Räumlichkeiten aufzutreiben wären? Dass ein Abriss mit gleichzeitiger Planung, Planfeststellung und Bau gut zehn Jahre in Anspruch nehmen könnte, dürfte die Union wissen.

    Sie hatte mit ihren Bauten ohnehin nicht immer viel Glück. Das Berlaymont, der Hauptsitz der Kommission, musste 1992 für zwölf Jahre geschlossen werden, um es von Asbest zu befreien. Und das nagelneue Europa-Gebäude, in dem die EU-Gipfel stattfinden, wurde nach seiner Eröffnung mehrfach geräumt, weil die eingebaute Großküche weniger edle Menüs als gesundheitsschädigende Dämpfe von sich gab. Noch ist unklar, wofür man sich im Fall des Parlamentes ausspricht. Im Juli könnte eine Entscheidung fallen.

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