Es klingt wie eine Spionageaffäre aus einem billigen Roman: Monatelang wurde ein Mossad-Agent im Hochsicherheitstrakt eines israelischen Gefängnisses inkognito festgehalten, bis er laut offiziellen Berichten Selbstmord beging. Zwei Jahre lang gelang es dem Staat, die Affäre unter Verschluss zu halten. Jetzt weckt sie schwere Fragen bezüglich Demokratie, Pressefreiheit und Zensur im 21. Jahrhundert.
Ein seltsamer Artikel krönte eine von Israels wichtigsten Nachrichtenwebseiten vor zwei Tagen. Der Chefredakteur der renommierten „Haaretz“ berichtete, dass er mit den Chefs anderer Medien vom Premier zu einem dringenden Gespräch einberufen worden war. Benjamin Netanjahu machte den Journalisten klar, dass sie über eine Angelegenheit nichts berichten dürften, um die „nationale Sicherheit“ nicht zu gefährden.
Zensur in Israel
Das Anliegen muss den Anwesenden absurd erschienen sein: Zur selben Zeit tobte auf der anderen Seite des Erdballs in australischen Medien bereits der Skandal vom Tod Ben Zygiers, eines australischen Juden, der vor zehn Jahren nach Israel ausgewandert und in den Dienst des Geheimdiensts Mossad getreten war. Am 15. Dezember 2010 starb er in der angeblich sichersten Gefängniszelle Israels in völliger Isolation.
Während israelischen Medien vom Zensor ein Knebel verpasst wurde, jagte im Ausland und in sozialen Medien bereits eine Meldung die nächste. Bis Israel am Donnerstag den Tatbestand selber zugab.
Zygier war im Alter von 24 Jahren in Israel eingewandert. Wann genau der Rechtsanwalt in den Dienst des Mossad trat, ist unbekannt. Australische Medien berichteten, Zygier habe den Verdacht der dortigen Behörden auf sich gezogen, als er mehrmals Pässe unter neuen Namen beantragte. Manche vermuten, er habe eine Strohfirma in Europa betrieben, die Iran elektronische Geräte verkaufte, die vom Geheimdienst zuvor präpariert worden waren. Israel will mehr über das iranische Atomprogramm herausfinden, weil es befürchtet, Teheran strebe den Bau einer Atombombe an, um den Judenstaat auszulöschen.
Doch irgendwann ging etwas bei der Karriere des Agenten schief. Israel betrachtete Zygier plötzlich als Bedrohung: Er wurde in einem Geheimverfahren verhaftet und in Israels sicherste Gefängniszelle gesteckt. Zelle 15 im Ayalon-Gefängnis im Tel Aviver Vorort Ramleh wurde eigens für den Mörder des israelischen Premiers Jitzchak Rabin gebaut. Kameras überwachen den isolierten Häftling rund um die Uhr. So geheim war Zygiers Haft, dass selbst seine Wärter ihn nur unter dem Namen „Häftling X“ kannten – und nicht wussten, wer er war oder was er verbrochen hatte. Was ließ Zygier sich zuschulden kommen, um eine Sonderbehandlung zu erhalten? Israel nutzt nur selten solche Geheimverfahren, wie etwa im Fall Mordechai Vanunus, der Details über Israels Atomprogramm veröffentlichte.
Zweifel am Suizid
Laut einer kuwaitischen Zeitung bot Zygier Dubai Informationen über ein Mossad-Kommando an, das dort angeblich einen hochrangigen Hamas-Aktivisten getötet haben soll. Quellen, die früher im Mossad dienten, vermuten, seine Verhaftung sollte seine Identität geheim halten, um aktive Agenten zu schützen.
Dass Zygier letztlich in seiner Zelle starb, weckt Misstrauen. Manche munkeln, der junge Mann sei ermordet worden, um seine Geheimnisse mit ihm zu begraben. Laut einer vom Gericht angeordneten Obduktion erhängte er sich. Eine Kommission soll nun untersuchen, wie so etwas in Israels angeblich sicherster Gefängniszelle geschehen konnte. Rechtsanwalt Avigdor Feldman, einer der bekanntesten Juristen im Land, sagte aus, Zygier einen Tag vor seinem Tod in seiner Zelle besucht zu haben, um ihm rechtlichen Beistand zu leisten. Nichts habe darauf hingewiesen, dass Zygier kurz davor war, sich das Leben zu nehmen.