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BERLIN: Nationalfeiertag aus Zufall

BERLIN

Nationalfeiertag aus Zufall

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    Vor dem Reichstagsgebäude: Am 3. Oktober 1990 hissten junge Sportler vor einer jubelnden Menge die deutsche Flagge.
    Vor dem Reichstagsgebäude: Am 3. Oktober 1990 hissten junge Sportler vor einer jubelnden Menge die deutsche Flagge. Foto: Foto: Stefan Sauer, dpa

    Es geschah am 3. Oktober 1990 um null Uhr. Vier Tage vor ihrem 41. Gründungstag hörte die DDR als souveräner Staat zu existieren auf und trat als Ganzes der Bundesrepublik Deutschland bei. In Berlin feierten Hunderttausende ausgelassen die Wiedervereinigung Deutschlands. „In freier Selbstbestimmung wollen wir die Einheit Deutschlands vollenden“, gelobte Bundespräsident Richard von Weizsäcker in einer kurzen Ansprache.

    Seitdem ist der 3. Oktober Nationalfeiertag. Er löste als staatlicher Feiertag den 17. Juni ab, der in der Bundesrepublik bis 1990 zum Gedenken an den blutig niedergeschlagenen Arbeiteraufstand in der DDR am 17. Juni 1953 als „Tag der deutschen Einheit“ begangen wurde. Doch warum ausgerechnet der 3. Oktober? Wie kam es, dass dieses Datum zum Tag der deutschen Wiedervereinigung werden sollte?

    Der 3. Oktober – das ist ein Nationalfeiertag aus Zufall. Lange Zeit deutete in dem turbulenten Jahr 1990 nichts darauf hin, dass bereits Anfang Oktober die DDR der Bundesrepublik beitreten könnte. Zu kompliziert schienen die Probleme zu sein, die geregelt werden mussten. Der 2. Dezember 1990 galt gemeinhin als frühest möglicher Termin. An diesem Tag sollten in der Bundesrepublik die regulären Bundestagswahlen stattfinden. Es bot sich an, daraus gesamtdeutsche Wahlen für den ersten gesamtdeutschen Bundestag zu machen. „Die gesamtdeutschen Bundestagswahlen“, plante Bundeskanzler Helmut Kohl, „sollten eine Abstimmung des deutschen Volkes über die Wiedervereinigung sein.“ Doch es kam ganz anders. Bereits am 17. Juni 1990, dem „Tag der deutschen Einheit“, forderte die konservative DSU (Deutsche Soziale Union) völlig überraschend in einer Sondersitzung der DDR-Volkskammer in Ost-Berlin, die DDR möge „mit dem heutigen Tag“ der Bundesrepublik beitreten. Die Emotionen schlugen hoch. Nur mit Mühe gelang es Ministerpräsident Lothar de Maiziere (CDU), durch eine Überweisung dieses Antrags in die Ausschüsse Zeit zu gewinnen. Nach seinen Vorstellungen sollte die Ost-Berliner Regierung erst die Probleme in der DDR in Ordnung bringen und einen Tag vor der Bundestagswahl, also am 1. Dezember, der Bundesrepublik beitreten.

    Doch die Vorstellungen Lothar de Maizieres von einem langsamen, gesteuerten Prozess erwiesen sich zunehmend als illusorisch. Im Sommer 1990 kam es zu einer dramatischen Zuspitzung der Lage in der DDR, die Regierung drohte von den Ereignissen überrollt zu werden. Die Wirtschaft der DDR stand nach der Einführung der D-Mark vor dem Kollaps, gleichzeitig siedelten nach wie vor Hunderttausende DDR-Bürger in den Westen über, Gerüchte machten die Runde, Stasi, Armee und Volkspolizei würden putschen. Aus Furcht, das Land könne „jeden Tag wirtschaftlich zusammenbrechen und im allgemeinen Chaos versinken“, trat der DDR-Ministerpräsident die Offensive an und schlug am 3. August im Alleingang vor, den Beitritt der DDR wie die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen auf den 14. Oktober vorzuziehen – an diesem Sonntag sollten in allen fünf neuen Bundesländern die ersten Landtagswahlen stattfinden.

    Zwar hatte de Maiziere am Vorabend bei einem Blitzbesuch Bundeskanzler Helmut Kohl von seinem Vorhaben informiert, nicht jedoch dessen Bedenken ernst genommen. Eine Vorverlegung der Bundestagswahl, so hatte der Kanzler seinem ostdeutschen Kollegen unmissverständlich erklärt, sei nur über eine Änderung des Grundgesetzes möglich, wofür aber eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig ist. Die sei nicht in Sicht. Entsprechend groß war das Entsetzen Kohls, als de Maiziere am Morgen darauf mit seinem Vorschlag an die Öffentlichkeit trat. Die SPD, in Ost-Berlin Regierungspartner in der Großen Koalition, in Bonn Oppositionspartei, vermutete hingegen einen gemeinsamen Coup von Kohl und de Maiziere, „die mit ihrem Latein am Ende sind“, und sprach von einem „Komplott“, um die Chancen der SPD bei der Bundestagswahl zu verringern.

    Die Diskussion um den Beitrittstermin war zu diesem Zeitpunkt ohnehin rein theoretischer Natur. Noch immer waren weder die inneren noch die äußeren Aspekte der Einigung geklärt. Delegationen beider deutscher Regierungen, angeführt von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und vom DDR-Staatssekretär Günther Krause, handelten den „Einigungsvertrag“ aus, parallel dazu liefen die „Zwei-plus-vier-Verhandlungen“ zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion.

    Die Zeit drängte. Der politische wie wirtschaftliche Zerfall der DDR war kaum mehr aufzuhalten, in Ost-Berlin brach die Große Koalition auseinander, in der Bundesrepublik begann der Wahlkampf den Einigungsprozess zu überschatten, außenpolitisch rückte die Krise am Persischen Golf nach dem Einmarsch des Irak in Kuwait in den Mittelpunkt. Als weder der 14. Oktober noch der von Lothar de Maiziere vorgeschlagene 9. Oktober – der Jahrestag der ersten friedlichen Leipziger Montags-Demonstration –, in der Volkskammer eine Mehrheit fanden, einigten sich die Parteien in einer dramatischen Sitzung in der Nacht vom 22. auf den 23. August auf den 3. Oktober als Beitrittstermin. Dieser Tag war der Erstmögliche nach dem geplanten Abschluss der Zwei-plus-vier-Verhandlungen und der KSZE-Konferenz in New York.

    Danach ging es ganz schnell. Nachdem am 12. September in Moskau der „Vertrag über die abschließenden Regelungen in Bezug auf Deutschland“ unterschrieben worden war und am 20. September sowohl die Volkskammer wie der Bundestag dem Einigungsvertrag mit großen Mehrheiten zugestimmt hatten, war der Weg für die Vereinigung am 3. Oktober 1990 frei. Die neuen Länder, die eigentlich nach Artikel 23 des Grundgesetzes beitreten sollten, gab es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Die entstanden erst elf Tage später.

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