Fast 28 Jahre später öffnen sich jetzt für Agca die Gefängnistore. Am 18. Januar soll der Türke aus dem Hochsicherheitsgefängnis Sincan bei Ankara entlassen werden. In der Haft ergraut, setzt der heute 52-Jährige auf ein neues Leben: Zwei Millionen Dollar habe ihm ein internationaler Fernsehsender für ein Exklusiv-Interview angeboten, in dem er die wahren Hintergründe des Papst-Attentats enthüllen werde. Auch Anfragen von rund 100 Zeitungen lägen ihm bereits vor, lässt Agca über Anwälte und Freunde verbreiten. Außerdem will er in einer großen Zeremonie vom Islam zum Katholizismus übertreten – auf dem Petersplatz in Rom, dort, wo er den Papst zu ermorden versuchte.
Üppiges Strafregister
Die Hintergründe des Attentats liegen immer noch im Dunkeln. Handelte Agca auf eigene Initiative? Oder im Auftrag anderer? Der Türke kam aus dem Umfeld der ultra-nationalistischen „Grauen Wölfe“ und verfügte über ein umfangreiches Strafregister:
In den 1970er Jahren verübte er mehrere Banküberfälle, 1979 erschoss er den liberalen türkischen Journalisten Abdi Ipekci. Agca wurde gefasst und verurteilt, konnte aber bereits nach drei Monaten mit Hilfe rechtsgerichteter Soldaten aus dem Gefängnis fliehen und sich ins Ausland absetzen. Über Bulgarien führte ihn sein Weg nach Rom, wo er 1981 die Schüsse auf Johannes Paul II. abgab. Schon drei Tage nach dem Attentat verurteilte ihn ein italienisches Gericht zu lebenslanger Haft. Ein Untersuchungsausschuss des italienischen Parlaments kam später zu dem Ergebnis, Agca habe den Auftrag zum Attentat auf den Papst von sowjetischen Stellen bekommen, in Zusammenarbeit mit dem bulgarischen Geheimdienst und der Stasi. Beweise für diese Theorie gibt es zwar nicht, aber sie erscheint nicht ganz abwegig, wenn man bedenkt, welche Rolle der polnische Papst beim Untergang des Kommunismus spielte – etwa durch seine aktive Unterstützung für die polnische Gewerkschaft Solidarnosc.
Üppige Honorarforderungen
Zwei Jahre nach dem Attentat besuchte Johannes Paul II. Agca im Gefängnis und verzieh ihm. Nach 19 Jahren Haft begnadigte der italienische Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi den Attentäter auf Bitten des Papstes. Agca wurde in die Türkei überstellt, wo er die Reststrafe für den Mord an Ipekci absitzen musste. In drei Wochen kommt er frei.
In der Haft hat Agca zwei Bücher geschrieben: „Mükemmel Incil“ (Die perfekte Bibel) und „Vatikan Sifresi“ (Der Vatikan-Code). Einen Verleger hat er bisher allerdings nicht gefunden: Agca verlangte ein Honorar von fünf Millionen Dollar, heißt es in türkischen Medien. Schließlich ist er kein gewöhnlicher Autor: In Briefen aus der Haft bezeichnete er sich als „Messias Mehmet Ali Agca, der erste universelle Diener und Sprecher des einen Gottes, der das Universum geschaffen hat“.
Nach seiner Entlassung will Agca als erstes nach Rom fliegen, um am Grab des 2005 gestorbenen Papstes Johannes Paul II. zu beten. Sein weiteres Leben wolle er in dessen Heimat Polen verbringen, kündigte Agca bereits vor zwei Jahren an. Was aus seinen Plänen wird, muss die Zukunft zeigen.
Tröstlich immerhin: Seinen Militärdienst in der Türkei, den er wegen der fast drei Jahrzehnte langen Haft bisher nicht antreten konnte, braucht er nicht zu absolvieren. Ein jetzt erstelltes Gutachten der Gülhane Militärakademie bescheinigt Agca Untauglichkeit – wegen einer „antisozialen Persönlichkeitsstörung“.