Wer am Mittwochmorgen auf der A 3 unterwegs war, dem bot sich kurz vor Frankfurt ein ungewohntes Bild am Himmel. Trüber als sonst wirkte die Luft über der Stadt und schimmerte gelblich. Und etwas ruhiger als sonst schien es am Himmel zu sein. War an der sonderbaren Färbung der Sahara-Staub schuld, der derzeit über Deutschland weht, waren es die Lufthansa-Piloten, die für die Ruhe verantwortlich waren? Zumindest am Himmel. Denn auf dem Boden, vor der Lufthansa-Basis an Tor 21 des Frankfurter Flughafens, sorgten die Kapitäne und Copiloten für Betrieb.
450 der 5400 streikenden Flugzeugführer demonstrierten in Frankfurt – in Uniform und meist mit Fliegerbrille – am ersten von insgesamt drei angekündigten Streiktagen. Für zehn Prozent mehr Gehalt und den Erhalt der Übergangsrenten, die den Piloten bislang ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Beruf ermöglichten und von der Lufthansa einseitig gekündigt wurden.
Als sich der Tross gegen 10.45 Uhr eine Dreiviertelstunde später als angekündigt endlich auf den kurzen Weg zur Konzernzentrale macht, lästern einige der zahlreich erschienenen Journalisten, man sei ja von Piloten nichts anderes gewohnt als Verspätungen. Waren das noch kleine Frotzeleien, stößt der Streik der Piloten bei ihren nicht fliegenden Kollegen in der Konzernzentrale scheinbar auf Unverständnis. Hinter der Glasfassade des Gebäudes machen Mitarbeiter mit eindeutigen Gesten und einem Plakat mit der Aufschrift „Ich bin Lufthansa – und Ihr?“ deutlich, was sie von dem Ausstand halten – offensichtlich nicht viel.
Die anschließende Kundgebung der Piloten selbst birgt dagegen wenig Überraschendes: „Man kann einen Piloten nicht ins Cockpit zwingen, der sich nicht fit genug fühlt, nur weil sich Lufthansa nicht mehr an der Übergangsversicherung beteiligen will“, ruft Ilja Schulz, Präsident der Gewerkschaft „Vereinigung Cockpit“, den Streikenden zu und spielt damit auf das Argument für den Streik an, von dem man sich wohl erhofft, dass er bei der Bevölkerung am ehesten auf Verständnis stoßen könnte: den Sicherheitsaspekt.
Nur wenige Meter entfernt steht Stoßstange an Stoßstange eine Berufsgruppe, die nicht nur vom Ausstand der Piloten betroffen ist, sondern auch ihr Geld mit dem Befördern von Menschen verdient. „Personenbeförderung ist Personenbeförderung“, findet ein Taxifahrer mit grauem Bürstenhaarschnitt. Verständnis für die Piloten hat er nicht. „Wenn ich mir überlege, was die verdienen“, schimpft er in breitem Hessisch, „und wie viel ich bekomme... Dann sollen sie eben mit Abzügen in Rente gehen. Die verdienen sowieso genug.“
Zu den schlecht Verdienenden gehören Piloten sicher nicht. Zwar klafft die Gehaltsschere international weit auseinander. Doch Flugkapitäne der Lufthansa zählen zu den besonders gut bezahlten Piloten: Die Grundvergütung liegt bei maximal 193 000 Euro im Jahr, inklusive Zulagen können es mehr als 255 000 Euro brutto werden. Laut Lufthansa entsprechen die Gehälter in etwa denen anderer europäischer Ex-Staatsfluglinien wie Air France oder British Airways.
Da sieht es bei den Taxifahrern schon deutlich mauer aus. Vor allem an diesem Tag. „Keine Flieger, keine Fahrgäste“, lautet die einfache Gleichung. So spielen einige in der Sonne Karten, viele sind auch gar nicht erst zum Flughafen gekommen oder versuchen ihr Glück vor Terminal 2. Die bestreikten Lufthansa-Maschinen starten alle von Terminal 1.
Doch genauso wie an den Taxi-Ständen oder am Fernbahnhof des Flughafens bleibt auch dort das Chaos aus. Man ist gerüstet. Auf den Feldbetten, die im Transitbereich zwischen den Hallen B und C des Terminals für gestrandete Passagiere aufgebaut sind, liegt kaum jemand, bestätigen Service-Mitarbeiter am Flughafen. Vor den Lufthansa-Schaltern schlagen zwar einige Passagiere die Zeit tot. Aber einen unzufriedenen Eindruck machen sie nicht. „Ich hatte Glück“, erzählt eine Frau mit Bordkarte in der Hand. Ihren Flug nach Verona übernimmt die Lufthansa-Tochter Air Dolomiti, deren Piloten nicht streiken. In Italien will sie sich mit einer Freundin treffen, die aus Helsinki anreist. „Sie konnte auch umgebucht werden“, freut sie sich.
Zufrieden ist auch ein Ehepaar, das den Lufthansa-Schalter verlässt – obwohl die beiden einen Tag verloren haben. „Wir sind gestern aus Malaga gekommen und wollen weiter nach Stavanger“, erzählen sie. Da ihr Flug nach Norwegen am Dienstag gestrichen wurde, mussten sie eine Nacht im Hotel verbringen. Nun bringt sie eine Maschine der Lufthansa CityLine nach Hause. „Hauptsache, es geht weiter“, sagen sie.
Pech hatte dagegen die deutsche Nationalmannschaft der Freiwasserschwimmer: Am Mittwoch sollte das komplette Team von Frankfurt aus aufbrechen ins mexikanische Cancun, wo am Wochenende ein Weltcuprennen über zehn Kilometer ausgetragen wird. „Immerhin haben wir die Sportler noch in die Luft gebracht“, sagt Bundestrainer und Sportdirektor Stefan Lurz vom SV 05 Würzburg. Rekordweltmeister Thomas Lurz und seine Kollegen flogen auf geänderter Route über die US-Städte Chicago und Houston nach Cancun.
Stefan Lurz sowie Lutz Buschkow, Sportdirektor des Deutschen Schwimmverbandes, und Beckenbundestrainer Henning Lambertz mussten dagegen wie alle Betreuer am Boden bleiben. „Für uns war keine Alternative möglich“, so Lurz, der über das Flugchaos nicht sehr erfreut war: „Ehrlich gesagt frage ich mich, ob bei dem Pilotenstreik die Verhältnismäßigkeit noch stimmt. Da legt eine gut bezahlte Berufsgruppe für drei Tage das halbe Land lahm.“ – Das halbe Land und den halben Flughafen.
Denn was für Taxifahrer gilt, gilt auch für andere, die am Flughafen ihr Geld verdienen. „Es ist deutlich weniger los, obwohl die anderen Airlines ja normal fliegen“, klagt ein Barkeeper in einem Flughafenrestaurant. Für die Kasse sei der Streik des Sicherheitspersonals vor einigen Wochen besser gewesen. „Da konnte keiner weg und entsprechend viel war los“, erinnert er sich. Ein anderer ärgert sich, dass die Lufthansa in Sichtweite seines Cafés kostenlose Getränke und Snacks bereitgestellt hat – an denen sich nicht nur Lufthansa-Kunden bedienen. „Wenn die Flasche Wasser hier 3,30 Euro kostet und da drüben nichts, ist klar, wo man zugreift.“ Wenig zu tun hatten auch die Angestellten in den Läden und Boutiquen. Dass einige ihre Shops nicht geöffnet hätten, war allerdings nicht mehr als ein Gerücht, das sich am Flughafen verbreitet hatte. Die Öffnungszeiten der Läden im öffentlichen Bereich bestimmt die Fraport AG, nicht der Ladenbetreiber.
Während am Frankfurter Flughafen bald wieder Normalität einkehrt, ist eine Einigung zwischen Lufthansa und „Cockpit“ trotz des härtesten Streiks der Unternehmensgeschichte nicht in Sicht. Konzernsprecherin Barbara Schädler betonte: „Wir glauben, dass wir Angebote vorgelegt haben, auf deren Basis man miteinander sprechen kann.“ Die Piloten verlangen dagegen ein neues Angebot.