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Potz Posament! Die Dorbaths machen Zierrat nach alter Väter Kunst und Sitte

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Potz Posament! Die Dorbaths machen Zierrat nach alter Väter Kunst und Sitte

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    Potz Posament! Die Dorbaths machen Zierrat nach alter Väter Kunst und Sitte
    Potz Posament! Die Dorbaths machen Zierrat nach alter Väter Kunst und Sitte

    Wie viele Spulen in den Regalen wohl stehen? Und wie viele Garnrollen sich da dicht an dicht bis unter die Decke stapeln? Wie viele Meter Seidenfädchen da wohl aufgewickelt sind? Wie viele Meter glitzernde Borten und Litzen? Wie viele Male sich wohl das Drehrad gedreht hat, das hinten in der Ecke steht und dem Oskar Dorbath gerade Schwung gibt, damit sich lila und mokkabraune Fäden zur feinen Kordel drillen? Überhaupt, wie viele Meter Kordel damit schon gedreht wurden?

    Ach je. Was für Fragen. Gustav Dorbath, der Senior, lächelt mitleidig-milde. Was bedeuten schon Zahlen. Wie viele Meter? Wie viele Kordeln? Ach je. Der Posamentier – 82 Jahre alt und noch immer im Geschäft – versucht gar nicht erst, hochzurechnen und zu überschlagen. Das gusseiserne Drehrad, das auf dem Holzgestell schnurrt und surrt, ist 150 Jahre alt, mindestens. Damit haben vor vier Generationen schon Posamentiere Zierschnüre gedrillt. Haben Garn auf die Eisenstäbchen gespannt, in der Radmitte ein Seil befestigt, an der Kurbel gedreht – und surrend und klackernd wickelten sich die Fäden ums Seil.

    So wie sich jetzt gerade die lila und braunen Fäden quer durch den kleinen Laden in der Würzburger Karmelitenstraße verkordeln. Von der Wand hinten, ein paar Treppenstufen hinab bis zum quastenbehangenen Ständer am Schaufenster und zurück, kann Oskar Dorbath zwei Mal 15 Meter lange Schnüre wickeln. Die Länge muss reichen. Und für die dünnen Quastenfransen, die der Posamentier gerade in Arbeit hat, reicht das allemal. Für ihr Schwert hat eine Kundin die Quaste bestellt, bald wird das Posament die Waffe zieren.

    Gustav Dorbath knotet derweil Ministrantengürtel in leuchtendem Grün. Die Kirche ist immer noch ein guter Kunde. Und die Pfarrei Hergolshausen hatte einen Sonderwunsch: Die Kordeln, die bald um Ministrantenhüften gebunden werden, sollen einen vierfachen Knoten am Ende haben. Nicht dreifach, wie sonst. Aber Wünsche sind kein Problem. „Wir machen alles“, sagt der Senior.

    Quasten für Vorhänge, Fransen für Kissen. Kordeln für Sofas, Absperrungen und Burschenschaftlerkappen. Schnüre und Seile, Litzen und Tressen, Rosetten und Epauletten und Besatz. Zierrat für Faschingsprinzen, Quästli für Doktorhüte, Knöpfe für Pfarrer und Domvikare. „Wir machen alles“, wiederholt Gustav Dorbath. „Alles, was verschönert.“

    Früher, da haben die Dorbaths alles und noch ein bisschen mehr gemacht. Immer das, was gerade gebraucht war. Als im Dritten Reich die katholischen Vereine und Verbände verboten waren und die Kunden ausblieben, verlegten sich die Posamentiers, zu Deutsch Bortenwickler, auf Dekoration und drehten Hutschnüre. Nach dem Krieg überzogen die Dorbaths blecherne Knöpfe für Damenkleider mit Stoff. Sie drehten Schnüre für die Amerikaner, die damit ihre Polstermöbel schmückten. Und sie verkauften Schuhbendel aus Fallschirmseide, die gingen damals gut.

    Anfang der 50er Jahre waren die Dorbaths die letzten verbliebenen ihrer Zunft in der Stadt. „Er will mit seinem Sohn die Tradition hochhalten“, stand damals in der Zeitung über Großvater Oskar geschrieben, den letzten Meister der Bortenwirkerei. Heute sind die Dorbaths die letzten Posamenter im weiten, sehr weiten Umkreis. Das mit der Tradition kann man immer noch schreiben.

    Seit 1863 ist die Familie nun schon im Verschönerungsgeschäft. Urgroßvater Gustav hatte den Würzburger Betrieb damals von seinem Meister übernommen und gab die Kunst des Verschönerns an seine Nachkommen weiter. An Oskar. Der lehrte Gustav. Und wieder Oskar. „Wir wechseln ab, damit wir Stempel sparen“, sagt Dorbath senior, also Gustav, augenzwinkernd.

    Für den jüngsten in der Posamentier-Reihe war es keine Frage, den Handwerksbetrieb zu übernehmen. Erstens, weil das damals so war. Und zweitens, weil Oskar Dorbath reingewachsen ist ins Bortenwickeln und Quastenmachen. Als Bub hat er am heimischen Küchentisch die Einlagen für Speisekarten geknotet. Die Handgriffe lernte er vom Großvater – „der hat viel Geduld gehabt“.

    Zuhören, hingucken, abschauen, nachmachen. Die alte Kunst des Posamentenmachens ist in keinem Lehrbuch niedergeschrieben, nirgends festgehalten. Wie man dreht, klöppelt, knüpft und wirkt, haben die Dorbaths im Kopf und in den Fingern. Das Drehrad wird heute noch so geschwungen wie vor 150 Jahre. Der Knopf für die Bischofssoutane wird nach dem gleichen Muster wie immer schon gestickt, wie immer schon braucht der Posamenter dafür eine halbe Stunde. Die Nadeln sind ja auch die von früher. Das kleine eiserne Maschinchen, mit dem am Tisch die Knebel für Studentenverbindungen umwickelt werden – so was gäb's heute gar nicht mehr. „Wir haben zwar nicht viel, aber das, was wir haben, sind einmalige Stücke“, sagt der Junior. „Früher hat man zum Glück für die Ewigkeit gebaut.“ Und weil alles ständig in Benutzung ist, rostet auch nichts. Nur der alte Webstuhl, der steht inzwischen im Keller. Sein Großvater habe noch Fransen selbst gewoben, erzählt Dorbath junior. Das rentiert sich schon lange nicht mehr.

    Die Schneider sind weg, die Polsterer sind weg, Sessel mit Fransen stellt sich keiner mehr ins Wohnzimmer, Gardinen haben keine Schabracken mehr. Das Theater kommt nur noch zwei Mal im Jahr und nicht mehr zwei Mal in der Woche. Aber Dorbaths sind noch da und halten die Fahne hoch. Oder zumindest die Fransen und Quasten für die Fahne.

    „Unser Zeug ist eigentlich Schnickschnack“, sagt Gustav Dorbath lächelnd. Eine Lampe hängt auch gut am nackten Kabel. Am umklöppelten Kabel hängt sie halt schöner. Großvater Oskar hatte anno 1935 noch den Meister machen können – aber das war schon ein Ereignis und Gespräch in der Stadt. Als Gustav Dorbath 1943 den Gesellenbrief erhielt, stand das groß in der Zeitung. Den Meister konnte er schon nicht mehr machen. Weil es im gesamten deutschsprachigen Raum keine drei Meister mehr gab, die ihm die Prüfung hätten abnehmen können. Und Oskar, der junge? Hat Einzelhandelskaufmann gelernt. Und ist – immerhin – Ehrenoffizier. Die Würzburger Ranzengarde hat ihn in diesem Frühjahr seiner Verdienste ums Faschingswesen wegen dazu ernannt.

    Aber apropos Kaufmann. „Das Material zu beschaffen, ist schwierig geworden“, sagt Oskar Dorbath und dreht wieder am surrenden Rad. Von dieser hibiskusfarbenen Tresse zum Beispiel, die gerade für einen Kundenspezialwunsch gebraucht wird, würde er bei der Firma vielleicht 50 Meter kaufen wollen. Mindestabnahmemenge: zwei Kilometer. „Wir sind auf gute Kontakte angewiesen.“ Und auf die Güte, „dass mal jemand kurz für uns ins Lager geht“. Wie gut, dass nichts wegkommt bei den Posamentiers. Bestickte Stoffstücke von alten Messgewändern, von noch älteren Himmeln und Trachten haben sie im Bestand. Und Spitzen aus dem vorvorigen Jahrhundert. Für alles ist irgendwo Verwendung, jeder Rest taugt irgendwann zur Zier.

    In der Adventszeit zwei Dutzend Ministrantengürtel zu knoten – undenkbar war das früher. Da kamen vor Weihnachten Omas mit ihren Enkeln und kauften zentimeterweise Borten und Spitzen und andere hübsche Kleinigkeiten. Da beklebte man Dosen mit Meterware, da stickte und schmückte man selbst. Da herrschte Hochbetrieb im kleinen Laden, die Dorbaths kamen aus dem Bedienen nicht mehr heraus. Und Brokat war im Dezember schwer gefragt. Heute fragt keiner mehr nach dem durchstickten schweren Stoff. „Und seit acht bis zehn Jahren wird nicht mehr gebastelt“, sagt der Senior. Zeit also fürs Zingulummachen. Und für ein Schwätzchen. Das moderne Weihnachtsgerenne passt sowieso so gar nicht zum Posamentengeschäft. „Bei uns darf keine Hektik sein.“ Die Arbeit gibt das Tempo vor. „Wenn man versucht, es schneller zu machen, wird's meistens Murks.“ So ist das halt, wenn man zuständig ist für ein wenig Verschönerung.

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