Kurz vor Weihnachten beschert das Amt Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) wenig Erbauliches. Ein Flughafen in Berlin, dessen geplante Eröffnung im Oktober 2013 vielleicht schon wieder nicht zu halten ist. Und ein Bahnhof in Stuttgart, der deutlich teurer werden dürfte als geplant. Wie gut, dass da wenigstens ein Prestigeprojekt nun Formen annimmt. Aber auch die am Mittwoch vom Bundeskabinett beschlossene Reform der Flensburger Verkehrssünderkartei ist eine schwere Geburt: Mehrfach besserte Ramsauer seine Reform nach – vor der Bundestagswahl dürfte sie daher nicht mehr in Kraft treten. Zudem ist noch nicht sicher, ob die Länder die Flensburg-Reform durchwinken werden. Wahrscheinlich startet die Reform erst 2014. Dann werden die bisher angesammelten mehr als 47 Millionen Punkte umgerechnet.
Künftig muss sich der Autofahrer erst mal an einen neuen Namen gewöhnen. Das seit 1958 bestehende Verkehrszentralregister beim Kraftfahrt-Bundesamt in Flensburg – kurz: Flensburg-Kartei – wird in „Fahreignungsregister“ (Abkürzung: FaER) umbenannt. Statt sieben verschiedenen Punktekategorien gibt es nur noch drei: 1, 2 oder 3 Punkte. Statt bei 18 Punkten ist der Lappen bei 8 Punkten weg.
Nicht die Verkehrssicherheit gefährdende Verstöße werden nicht mehr mit Punkten geahndet. Bisher gespeicherte Punkte für solche Vergehen, etwa für das Einfahren in Umweltzonen ohne Plakette, werden bei der Umrechnung in das neue System gestrichen. Dafür sind hierfür auf Druck des Umweltministeriums künftig 80 statt 40 Euro zu zahlen. Auch das Handy-Telefonieren am Steuer wird teurer: 60 statt 40 Euro.
Zunächst wollte Ramsauer nur noch zwei Punktekategorien – schwere Verstöße, für die es einen Punkt gibt, und besonders schwere Verstöße, die mit zwei Punkten geahndet werden. Doch das war vielen Bürgern bei dem Reform-Dialog zu wenig Differenzierung, zumal der Führerschein dann erst bei vier besonders schweren Verstößen weggewesen wäre, nun ist beim dritten drastischen Verstoß Feierabend mit dem Autofahren.
Bei mehrmonatigen Fahrverboten für einzelne Straftaten bleibt es. Wer 6 oder 7 Punkte auf dem „Punkte-Tacho hat“, muss an einem Fahreignungsseminar teilnehmen. Ein Freikaufen soll es nicht mehr geben. Derzeit können durch die Teilnahme an Schulungen bis zu 6 Punkte eliminiert werden. Ramsauers Maxime: „Keine Rabatte für notorische Verkehrsrowdys.“ Hier ist er standhaft geblieben – auch gegen die mächtige Autolobby des ADAC, der die Reform grundsätzlich lobt. Der Leiter Verkehrsrecht, Markus Schäpe, kritisiert aber: „Es ist bedauerlich, dass keine Punkterabatte mehr vorgesehen sind.“
Bisher werden jährlich rund 5000 Führerscheine eingezogen, erst nach einem Jahr Praxistest wird sich zeigen, ob die Reform wirklich mehr Transparenz, Gerechtigkeit und Verkehrssicherheit bringt, wie Ramsauer es verkündet. Die Gewerkschaft der Polizei hatte schon zu Beginn der Initiative gemahnt, ein Herumschrauben am Punktekatalog sei das eine. Notwendig sei vor allem mehr Personal für Kontrollen.
Zeigen muss sich auch noch, ob die neue Kartei unbürokratischer ist. Ursprünglich sollten die sogenannten Überliegefristen wegfallen – doch das Justizministerium blockte das ab. Dabei werden Punkte nach der Tilgung noch ein Jahr „aufbewahrt“. So soll garantiert werden, dass neue Verstöße oder erst später ergangene Urteile für Taten, die sich während der Tilgungsfrist ereignet haben, noch berücksichtigt werden können. Künftig werden Vergehen wie volltrunken am Steuer erst nach elf Jahren (zehn Jahre Tilgungs- und ein Jahr Überliegefrist) endgültig gestrichen. Allerdings soll jeder Verstoß künftig für sich verjähren. Bisher verhindert jede neue Tat, dass Punkte wegfallen.
Rainer Hillgärtner vom Auto Club Europa (ACE) sieht die Reform kritisch. Er verweist auf eine eigene Umfrage unter mehr als 1000 Bürgern, von denen 59 Prozent das bisherige Punktesystem behalten oder nur eine Modifizierung der bisherigen Flensburg-Kartei wollen. „Jetzt aber soll das herrschende komplizierte System durch ein nicht minder kompliziertes System ersetzt werden, kritisiert Hillgärtner. „Das Problem der sogenannten Überliegefristen bleibt bestehen. Normalbürger verlieren dabei schnell den Überblick.“
Was die Reform Neues bringt
Das Verkehrszentralregister in Flensburg soll künftig Fahreignungsregister heißen – und das Punktesystem kräftig entschlackt werden. Ein Überblick über Kernpunkte der Reform.
Punkte: Wer 6 oder 7 Punkte erreicht, muss an einem Fahreignungsseminar teilnehmen. Verstöße, die nicht die Sicherheit gefährden, werden nicht mehr mit Punkten geahndet. Dazu zählt das Einfahren in eine Umweltzone ohne Berechtigungsplakette oder Verstöße bei Sonntagsfahrverboten und Fahrtenbüchern.
Abbau von Punkten: Die Maxime von Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) lautet: „Keine Rabatte für notorische Verkehrsrowdys“. Ein Freikaufen soll es nicht mehr geben.
Verjährung: Künftig soll jeder Verstoß für sich verjähren. Punkte für Straftaten mit Führerscheinentzug sollen nach elf Jahren gelöscht werden. Straftaten ohne Führerscheinentzug nach sechs Jahren, Ordnungswidrigkeiten nach sechs bis drei Jahren. Ein erster Antrag auf Neuerteilung des Führerscheins ist nach sechs Monaten möglich.
Führerschein mit 17: Wer mehr als zwei Punkte hat, darf nicht mehr als Begleiter für Fahranfänger eingetragen werden, die vom 17. bis Erreichen des 18. Lebensjahrs nur in Begleitung fahren dürfen. Wer drei Punkte hat, kann Begleiter werden – aber nur nach einem Eignungsseminar.
Höhere Bußgelder: Ein Einfahren in die Umweltzone ohne Plakette wird zwar nicht mehr mit Punkten geahndet, kostet aber künftig 80 statt 40 Euro. Wer mit dem Handy telefoniert oder die Kinder nicht vernünftig anschnallt, muss 60 statt bisher 40 Euro zahlen. Ein Verstoß gegen die Winterreifenpflicht kostet auch 60 statt 40 Euro, ein Missachten der Kindersicherungspflicht bis zu 70 Euro.
Bei Rot über die Ampel: Wer bei Rot über die Ampel fährt, bekommt zwei Punkte (drei bei Todesfolge). Unfallflucht und Trunkenheit am Steuer werden mit drei Punkten bestraft. Zwei Punkte gibt es für deutliche Geschwindigkeitsüberschreitungen, Drängeln, Teilnahme an illegalen Autorennen oder Missachten von Bahnschranken. Einen Punkt gibt es unter anderem für unerlaubtes Überholen, Behinderung von Rettungsfahrzeugen und kleinere Verstöße. Nicht mehr mit Punkten geahndet werden Vergehen wie das unerlaubte Einfahren in Umweltzonen oder Verstöße gegen Sonntagsfahrverbote.
Inkrafttreten: Wahrscheinlich erst Anfang 2014. Da es mehrfach Korrekturen gegeben hat, konnte das Kabinett die Reform erst jetzt verabschieden. 2013 müssen sich Bundestag und Bundesrat damit befassen. Sechs Monate nach Verkündigung im Gesetzblatt soll die Neuregelung gelten. Blockieren die Länder das zustimmungspflichtige Gesetz im Bundesrat, ist ein Starttermin Anfang 2014 nicht zu halten.