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Putins Spiele

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    Der Herr der russischen Ringe: Präsident Wladimir Putin, wie er auf einer Kunstausstellung in Moskau karikiert wurde.
    Der Herr der russischen Ringe: Präsident Wladimir Putin, wie er auf einer Kunstausstellung in Moskau karikiert wurde. Foto: Foto: dpa

    Der heutige Herrscher im Kreml kommt aus St. Petersburg. Das ist jene russische Stadt, die wie keine andere mit dem Namen eines Zaren verbunden ist – auch wenn sie genau genommen nach dessen Patron benannt wurde, dem Apostel Petrus. Zar Peter der Große jedenfalls wollte mit der Stadtgründung Anfang des 18. Jahrhunderts die Öffnung Russlands nach Westen und den Anspruch des Zarenreichs auf die Ostsee dokumentieren.

    Ein Mann – eine Stadt – eine Mission. Darum geht es auch im Beziehungsgeflecht zwischen Staatspräsident Wladimir Putin, der russischen Schwarzmeermetropole Sotschi und den Olympischen Winterspielen 2014. Der Präsident verfolgt eine Mission wie einst Zar Peter der Große. Anzunehmen, Putin wolle sich mit den Spielen von Sotschi nur ein persönliches Denkmal setzen, wäre zu schlicht. Es geht um mehr.

    Vor Putin war keiner auf die Idee gekommen, die Wettkämpfe, die Eis und Schnee verlangen, ausgerechnet an einem Ort mit subtropischem Klima zu veranstalten, auch wenn sich unmittelbar dahinter die Berge des Nordkaukasus auftürmen. Doch der Mann aus dem Kreml hatte es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, obwohl es in der Region keine einzige Olympia-taugliche Wettkampfstätte gab. Putin persönlich warb mit Engelszungen um den Zuschlag. Und bekam im Juli 2007 den Zuschlag vom Internationalen Olympischen Komitee.

    Sotschi hat einen Ruf in Russland, der vielleicht der Stellung von St. Tropez in Frankreich oder von Acapulco in Mexiko nahekommt. Doch der Glanz des prestigeträchtigen Ortes an der Russischen Riviera ist verblasst. An der Schwelle zum 21. Jahrhundert hatte Sotschi seine besten Tage hinter sich. An den Bauten aus der Stalin-Zeit bröckelte der Putz. Und zu Geld gekommene, sonnenhungrige Russen jetteten nicht ans Schwarze Meer, sondern lieber in die Türkei und in andere Länder rund ums Mittelmeer.

    Doch Sotschi soll wieder auferstehen. Wie auch Russland unter Putin wiederauferstanden ist. Das ist der Plan des heutigen Kremlherrschers. Nach dem Ende der Sowjetunion hatte das Land unter einem schwachen Präsidenten Boris Jelzin chaotische 90er Jahre erlebt. Die Demokratie funktionierte nicht, nachdem die Kommunisten über Jahrzehnte hinweg alle anderen Strömungen unterdrückt und das Bürgertum diskreditiert und bekämpft hatten. Die Wirtschaft kam nicht in Schwung, die Auslandsschulden wuchsen dagegen bedrohlich an. Den einfachen Leuten ging es im neuen System nicht besser, sondern oft schlechter als zu Sowjetzeiten. Andererseits plünderte eine Clique von Oligarchen das ehemalige Volksvermögen und scheffelte immensen Reichtum. Und der Status einer Supermacht, die sich auf Augenhöhe mit den USA befindet, ging verloren.

    Es hat viele überrascht, dass sich um die Jahrtausendwende ausgerechnet Putin als Jelzin-Erbe durchsetzen konnte. Zwar hatte ihn der alte Präsident 1999 zum Regierungschef berufen, aber nicht zu seinem Nachfolger erkoren. Doch der ehemalige Geheimdienstoffizier aus St. Petersburg verstand es, sich gut zu vernetzen. Ihm halfen nicht nur alte Kameraden aus dem KGB, sondern auch Oligarchen, die sich auf seine Seite schlugen – und seine Judo-Freunde. Mehrere von ihnen sitzen heute noch in Schlüsselpositionen und unterstützen ihn tatkräftig.

    Putin änderte die Staatsdoktrin. An die Stelle von Gewährenlassen und Demokratie um jeden Preis setzte er den starken Staat. Was in den folgenden Jahren in Russland entstand, nennen Politikwissenschaftler „gelenkte Demokratie“. Die Moskauer Soziologen Lew Gudkow und Victor Zaslavsky wiesen darauf hin, dass Putins System die weitere demokratische Entwicklung des Landes verhindert hat. Andererseits hätten sich nach den Jelzin-Jahren aber „viele Russen eine Rückkehr zum alten, vertrauten System des Paternalismus“ gewünscht. Fast wie zu Sowjet-Zeiten gab es wieder einen Staat, der seinen Bürgern das Denken abnahm.

    Putins Wirken als Präsident in den Jahren 2000 bis 2008, als Ministerpräsident von 2008 bis 2012, und seither wieder als Präsident ist durchaus mit Erfolgen verbunden. Der Durchschnittsrusse verdient statt 60 Euro wie zur Jahrtausendwende heute das Siebenfache, nämlich 420 Euro. Die Auslandsschulden konnten komplett getilgt werden, weil sich russisches Erdgas und Erdöl teuer verkaufen ließen. Dem Land gelang es sogar, beträchtliche Summen anzusparen.

    Vor allem aber kehrten in Russland wieder Ruhe und Ordnung ein. „Stabilität“ sei das entscheidende Schlüsselwort, das für Wladimir Putin steht, sagt der deutsche Journalist und Russland-Kenner Boris Reitschuster. Aber sie habe einen hohen Preis: Es gebe einen zu mächtigen Staatsapparat, die Medien würden gezielt manipuliert und zur Desinformation genutzt, und Putin kontrolliere sogar das Parlament. In dieses autoritäre System fügt sich das Projekt Olympia in Sotschi. Putin hat nach Aussagen von Sotschis Bürgermeister Anatoli Pachomow „von Anfang an“ bei der Realisierung des Projekts „alles kontrolliert“ – es besteht kein Zweifel, dass dies seine Spiele sind. In der Öffentlichkeit gibt er sich zwar betont bescheiden. „Dies wird nicht mein persönlicher Erfolg sein, sondern ein Erfolg des Landes“, sagte er vor wenigen Tagen in der Olympiastadt. Aber in Wahrheit ist es doch so, wie Steven Lee Myers schreibt, der Moskauer Bürochef der „New York Times“: „Die Spiele in Sotschi werden zu einem Triumph werden, zu einer Bestätigung von Putins Herrschaft – außer es kommt zu einem Terroranschlag oder einer anderen Tragödie.“

    Es geht also um mehr, als um die Person Putins, der vom US-Magazin Forbes zur „mächtigsten Person der Welt“ gekürt worden ist. Es geht ebenso um den Fortbestand des politischen Systems, das er über 14 Jahre hinweg in Russland geprägt hat, die gelenkte Demokratie. „Sotschi war und ist als Krone der Putin’schen Konsolidierung des russischen Staates gedacht“, analysiert Jens Siegert, der die Niederlassung der Heinrich-Böll-Stiftung in Moskau leitet. „Das wiedererstarkte Putin’sche Russland zeigt sich und seine wiedergewonnene Kraft und Herrlichkeit der Welt.“ Sotschi wird der Opposition wehtun. Putins Botschaft an das Volk heißt: Ihr dürft wieder stolz sein, Veränderungen sind nicht nötig. Und an das Ausland: Schaut her, was wir leisten können, mit uns ist wieder zu rechnen.

    Für Putins Russland sind die Spiele von Sotschi zweifellos ein enormer Prestigegewinn. Noch nie fanden Olympische Winterspiele zwischen St. Petersburg und Wladiwostok statt. Und Russland tritt auch erstmals wieder in den Kreis der Olympia-Gastgeber seit jenen Sommerspielen 1980 in Moskau, die durch einen Boykott beeinträchtigt waren. Viele westliche Länder hatten damals wegen des Einmarsches der Roten Armee in Afghanistan ihre Teilnahme verweigert. Auf Putin zurückfallen könnten indes die hohen Kosten, die in Sotschi anfallen. Aus den ursprünglich kalkulierten neun sind mittlerweile 38 Milliarden Euro geworden – kein Pappenstiel, selbst für ein Erdgas und Erdöl exportierendes Land. Allein die Schienen- und Straßenanbindung des Wintersportorts Krasnaja Poljana an Sotschi verschlang sechs Milliarden Euro.

    Die vom Westen beklagten Demokratiemängel will der Kreml in Sotschi möglichst wenig zutage treten lassen. So sollen sogar Demonstrationen zugelassen werden, und Homosexuelle müssen nicht befürchten, von der Polizei belästigt zu werden. „Wir verbieten nichts und schnappen niemanden“, sagte Putin zu diesem Thema. „Nicht-traditionelle Sexverhältnisse“ seien in Russland nicht verboten, nur die „Propaganda für diese Verhältnisse“ gegenüber Minderjährigen. Offenkundige Angriffsflächen wurden vor den Spielen noch rasch aus dem Weg geräumt. So verkündete der Präsident eine Amnestie, von der auch die inhaftierten Pussy-Riot-Musikerinnen und die in der Arktis festgesetzten Greenpeace-Aktivisten profitierten. Und er ließ den Kremlkritiker und ehemaligen Oligarchen Michail Chodorkowski nach zehn Jahren Lagerhaft frei.

    Nur begrenzten Einfluss hat Putin allerdings auf den Terrorismus. Der tschetschenische Rebellenführer Doku Umarow, dem der Anschlag auf die Moskauer U-Bahn im März 2010 und auf den Hauptstadt-Flughafen Domodedowo im Januar 2011 zugeschrieben werden, hat seine Anhänger aufgefordert, die Spiele zu verhindern. 700 Kilometer entfernt von Sotschi, in Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad, gab es im Dezember vor dem Bahnhof und in einem Linienbus Sprengstoffanschläge, die womöglich mit diesem Aufruf in Zusammenhang standen.

    Die russischen Sicherheitskräfte machen Sotschi zur Festung. Die größere Gefahr ist aber wohl, dass es während der Spiele andernorts im riesigen Russland zu einem Terrorakt kommen könnte. Auch ein Putin kann die Terroristen nicht einfach „vernichten“, wie er das angekündigt hat.

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