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Berlin: Reizdarm – das unterschätzte Volksleiden

Berlin

Reizdarm – das unterschätzte Volksleiden

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    Bei der Präsentation des aktuellen Arztreports der Krankenkasse Barmer am Donnerstag in Berlin wurde schnell klar: Das Reizdarm-Syndrom ist ein überaus ernstes Thema. Betroffen sind laut der Studie in Deutschland bis zu elf Millionen Erwachsene, für die der Alltag oft stark eingeschränkt ist.

    Professor Christoph Straub, der Barmer-Vorstandsvorsitzende, sagt: „Allein der Weg zur Arbeit, aber auch das Treffen mit Freunden oder der Kinobesuch kann quälend sein, wenn der Darm nicht so funktioniert, wie er sollte.“ Doch das Leiden werde nur in einem Bruchteil der Fälle erkannt. Viele Betroffene meiden demnach aus Scham den Gang zum Arzt. Gerade einmal eine Million Menschen hat 2017 die Diagnose Reizdarm erhalten. Nach wie vor sei die Erkrankung ein Tabuthema. Und betroffen seien längst nicht nur ältere Menschen. Die Anzahl der Patienten im Alter zwischen 23 und 27 Jahren sei zwischen 2005 und 2017 von 40 000 auf 68 000 gestiegen – ein Zuwachs von 70 Prozent.

    Defizite bei der Diagnose

    Der Kassen-Chef spricht von gravierenden Defiziten bei der Diagnose: „Bis erkannt wird, dass ein Patient unter Reizdarm-Syndrom leidet, vergehen oft Jahre.“ Computertomografien (CT) oder Magnetresonanztomografien (MRT) seien nicht das Mittel der Wahl, um die Krankheit zu erkennen. Gerade CT solle aufgrund der hohen Strahlenbelastung nur zurückhaltend eingesetzt werden, fordert Straub.

    Mit Reizdarmsyndrom wird eine Gruppe funktionaler Darmerkrankungen bezeichnet, doch einen einheitlichen Verlauf gibt es nicht. Das Leiden kann mit Symptomen verschiedenster Darmerkrankungen verwechselt werden – bis hin zu Darm- oder Magenkrebs. Wenn andere Krankheiten ausgeschlossen sind, ist das Reizdarmsyndrom ungefährlich, für die Betroffenen aber meist äußerst belastend.

    So vielfältig wie die Erscheinungsformen sind laut Barmer auch die Ursachen des Reizdarmsyndroms – das heißt die mutmaßlichen. Denn noch immer ist teilweise unklar, wie und warum es entsteht. Nicht selten würden die Beschwerden nach dem Einsatz von Antibiotika auftreten. Barmer-Chef Straub geht davon aus, dass aber auch geänderte Ernährungsgewohnheiten und gewachsenes Stressempfinden Hauptrollen spielen. „Menschen mit Reizdarmsyndrom leiden nicht an einer rein körperlichen Erkrankung“, sagt er. Ärzte sollten deshalb einen ganzheitlichen Blick auf Körper, Geist und Lebensumstände der Patienten richten, statt sich zu sehr auf rein organische Ursachen zu konzentrieren.

    Ebenso sei bei der Therapie eine reine Gabe von Medikamenten der falsche Ansatz – laut Arztreport sei sie mitunter gar gefährlich. So würden häufig sogenannte Magensäureblocker verabreicht, doch deren Wirksamkeit bei Reizdarmsyndrom sei umstritten, gleichzeitig erhöhe sich das Osteoporose-Risiko. Opioidhaltige Schmerzmittel werden laut Barmer ebenfalls gern verschrieben. Die Krankenkasse: „Hier ist nicht nur die Wirkung fraglich, sondern auch das Risiko einer Medikamentenabhängigkeit gegeben.“ Auch frei erhältliche Medikamente seien in ihrer Wirkung begrenzt, so Straub.

    Betroffene müssten sich aber keinesfalls dem Schicksal Reizdarmsyndrom ergeben. Den größten Erfolg in der Behandlung verspreche ein „multidisziplinärer Ansatz“. Wenn Hausärzte, Internisten, Schmerztherapeuten, aber auch Psychotherapeuten und Ernährungsexperten eng zusammenarbeiten, glaubt Barmer-Chef Straub, lass sich dem Reizdarm-Syndrom der Schrecken nehmen. Auch die Patienten selbst könnten viel dazu beitragen, die Beschwerden zu lindern. Etwa indem sie sich mit ihrer Ernährung und ihrem Essverhalten auseinandersetzen. Sport und Entspannungstechniken könnten ebenfalls helfen. Straub: „Wichtig ist, dass die Betroffenen lernen, mit psycho-sozialen Stressfaktoren umzugehen.“

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