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Berlin: Ringen um Kohleausstieg

Berlin

Ringen um Kohleausstieg

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    Wenn die Mitglieder der von der Bundesregierung eingesetzten Kohlekommission am Freitag zu ihrer möglicherweise letzten Sitzung zusammenkommen, liegt zwar ein 133-seitiger Entwurf des Abschlussberichts auf ihrem Tisch, doch die brisantesten Stellen weisen Lücken auf. In welchem Zeitraum werden welche Kraftwerke, die aus Stein- und Braunkohle Strom produzieren, abgeschaltet? Und wann soll das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen?

    Im Entwurf steht an dieser Stelle lediglich ein „X“, alternativ wird ein „Zeitraum 20XX und 20XX“ vorgeschlagen. Ebenfalls ungeklärt ist die Frage, wie viel Geld der Bund – und somit der Steuerzahler – zur Verfügung stellt, um den Strukturwandel in den vier heimischen Braunkohlerevieren in Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg zu finanzieren.

    Die Ministerpräsidenten der betroffenen Länder fordern satte 60 Milliarden Euro. Damit nicht genug: Die Kraftwerksbetreiber fordern Entschädigungen, wenn sie ihre Meiler früher abschalten müssen als geplant. Außerdem ist eine Senkung der Stromsteuer im Gespräch, um die Kunden zu entlasten, zudem fordert die Industrie die Regierung auf, mithilfe staatlicher Unterstützung den Strompreis für besonders energieintensive Unternehmen zu senken.

    „Eine Kohleausstieg muss von Maßnahmen begleitet werden, die den Kostenanstieg für die Industrie auffangen“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie, Utz Tillmann, gegenüber unserer Zeitung. Die energieintensive Industrie brauche einen Strompreis, „der ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht beeinträchtigt“. Daher müsse die Kohlekommission in jedem Falle eine Kompensation für die höheren Kosten aus dem Kohleausstieg beschließen, so Tillmann. All das summiert sich aber.

    Das Ziel ist klar, der Weg dorthin nicht, was die Verhandlungen in der Schlussphase der Kohlekommission nicht einfacher macht. Gleichzeitig steigt der Druck auf die Mitglieder der Kommission. Die Umwelt- und Naturschutzverbände fordern lautstark einen möglichst raschen Kohleausstieg, um die Klimaziele zu erreichen, die Wirtschaftsverbände wie die Gewerkschaften warnen vor Gefahren für die Unternehmen und befürchten soziale Verwerfungen in den betroffenen Regionen, die wiederum nicht ohne Folgen für die Politik bleiben dürften – im Herbst wird in Sachsen und Brandenburg gewählt.

    Manche Indizien deuten daher darauf hin, dass die Kommission mit dem wohlklingenden Namen „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ am Freitag noch zu keinem Ergebnis kommt, sondern in die Verlängerung muss. So steht schon seit längerem der Freitag in einer Woche, 1. Februar, als „Ersatztermin“ fest, zudem empfängt Bundeskanzlerin Angel Merkel am Montag noch einmal die Ministerpräsidenten der vier Braunkohle-Länder.

    Angela Merkel, die einst als „Klimakanzlerin“ internationales Renommee erlangte, steht massiv unter Druck. Längst hat Deutschland seine Vorreiterrolle beim Klimaschutz verloren, in den letzten Jahren stieg der CO2-Ausstoß wieder an, die Klimaziele für das Jahr 2020 werden deutlich verfehlt. Gleichzeitig hat sich die Regierung verpflichtet, bis 2030 den Ausstoß der Treibhausgase um 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu senken und bis 2050 weitgehend treibhausneutral zu werden, um die Ziele des Pariser Klimaschutzziele zu erreichen. Der Ausstieg aus der Kohleverstromung und der Umbau der Energieversorgung gelten dabei als zentrales Element.

    Auf der anderen Seite warnt aber die Wirtschaft vor übereilten Schritten und einem gleichzeitigen Abschalten der letzten Atomkraftwerke und der Kohlekraftwerke. Dies könne die Versorgungssicherheit gefährden. Es wäre „kurzsichtig, in Ostdeutschland moderne Braunkohle-Kraftwerke abzuschalten und stattdessen veraltete Anlagen in Polen oder Tschechien zu betreiben, um die Versorgung in Deutschland zu sichern“, sagte der Experte Joachim Ragnitz vom Ifo-Dienstag am Donnerstag. Auch der Import von Atomstrom aus den Nachbarländern sei „keine Lösung“. Ein langsamer Ausstieg sei auch sozialverträglicher, da der Großteil der Beschäftigten in den Revieren älter als 45 Jahre sei.

    Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos bekannte sich Angela Merkel am Mittwoch ausdrücklich zum Kohleausstieg, ohne allerdings einen konkreten Zeitplan zu nennen. Die Sorge vor Versorgungsengpässen sei unbegründet, sagte Merkel. „Natürlich werden wir ohne grundlastfähige Energie nicht auskommen. Und da wird Erdgas eine zunehmende Rolle spielen noch über einige Jahrzehnte.“ Deutschland werde auf der einen Seite weiter Erdgas aus Russland beziehen, auf der anderen Seite aber auch Flüssiggas aus den USA. Mit dem Energieträger Gas hofft Merkel, beiden Seiten entgegenzukommen und zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Der CO2-Ausstoß wird reduziert – und die Versorgungssicherheit nicht gefährdet.

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