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HANOI: Röslers Reise zu seinen Wurzeln

HANOI

Röslers Reise zu seinen Wurzeln

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    Besuch im Geburtsland: Philipp Rösler im Literaturtempel der vietnamesischen Stadt Hanoi.
    Besuch im Geburtsland: Philipp Rösler im Literaturtempel der vietnamesischen Stadt Hanoi. Foto: Foto: dpa

    Huong und Mang sind zwei fröhliche kleine Kerle, die nicht jeden in ihr Revier lassen – und einen fremden Minister schon gar nicht. Philipp Rösler will gerade einen Blick in ihr Zimmer werfen, als Huong ihm grinsend die Tür vor der Nase zuschlägt und dann wild seinem Freund zuwinkt. Miteinander reden können sie nicht, die beiden Sechsjährigen sind stumm, geistig etwas zurückgeblieben und nicht viel größer als gesunde Kinder, die nur halb so alt sind wie sie – sie gehören zu den späten Opfern eines Krieges, der die ganze Welt erschüttert hat. Eines Krieges, ganz nebenbei, den der deutsche Vizekanzler selbst noch erlebt hat, wenn auch nur kurz und unbewusst.

    Als seine späteren Eltern in Deutschland Anfang der 70er Jahre in jeder Nachrichtensendung die schockierenden Bilder aus Vietnam sehen, entscheiden sie sich, ein Kind von dort zu adoptieren – ein neun Monate altes Baby aus einem Nest in der Nähe von Saigon im umkämpften Süden des Landes. 39 Jahre später steht das Baby von damals im Dorf der Freundschaft, eine knappe Autostunde westlich von Hanoi, und sagt: „Man stellt sich schon die Frage, was gewesen wäre, wenn sie sich nicht so entschieden hätten.“ Hätte er den Krieg überlebt, irgendwo in einem heruntergekommenen Waisenhaus? Wären seine Kinder heute womöglich ähnlich schwer behindert wie Huong und Mang oder der 14-jährige Loa, der neben ihnen auf einem Schemel sitzt und nicht nur blind ist, sondern auch noch taub und stumm und deshalb nur zuckend und tastend auf sich aufmerksam machen kann?

    Die Großeltern der drei gehörten zu den mehr als zwei Millionen Menschen, die während des Krieges in eine Giftgaswolke geraten waren und einen der verhängnisvollen genetischen Defekte weitervererbt hatten, an denen in Vietnam Tausende leiden. 80 Millionen Liter an chemischen Kampfstoffen hat das amerikanische Militär über dem Land versprüht, darunter auch das berüchtigte Agent Orange, ein Herbizid, mit dem die US-Truppen Wälder entlaubten und Reisfelder zerstörten, alles in allem ein Viertel der Fläche des damaligen Südvietnam. Hunderttausende von Vietnamesen wurden sofort krank, viele ihrer Kinder und Kindeskinder sind es heute: Krebs, Immunschwächen und schwere körperliche Fehlbildungen, die sich teilweise erst jetzt zeigen. Zwei Generationen später, also auch in der Generation von Philipp Rösler. „Ihr Besuch“, sagt der Direktor des Dorfes, ein ehemaliger Oberst der Armee, deshalb zu Rösler, „ist eine große Freude für uns.“

    Im Dorf der Freundschaft, von einem ehemaligen amerikanischen Soldaten vor 14 Jahren gegründet, werden 120 behinderte Kinder behandelt und betreut, die alle mit den Spätfolgen von Agent Orange zu kämpfen haben, aber auch 60 Veteranen des Vietnamkrieges, die zu sechst in engen Zimmern liegen und sich teilweise kaum noch bewegen können, weil das Gift mit der Zeit ihre Nerven und Muskeln zerfressen hat. Röslers Besuch bei ihnen ist auch eine Reise zurück in eine andere Zeit, die irgendwo ja auch seine Zeit ist. Natürlich gehe ihm hier seine eigene Geschichte durch den Kopf, sagt er etwas verlegen, als er aus der kleinen Werkstatt kommt, in der ein paar Jugendliche Stoffe mit einfachen Mustern besticken. Zum Abschied schenkt der Deutsche, der aussieht wie ein Vietnamese, den Kindern des Dorfes bunte Laternen. Sie sind in Vietnam ein Zeichen der Versöhnung.

    Auch wenn er in Wirklichkeit hier mit niemandem seinen Frieden machen muss, holt den Wirtschaftsminister zehn Flugstunden von Deutschland entfernt seine Vergangenheit wieder ein – ob er es will oder nicht. Am Abend zuvor, zum Beispiel, steht Rösler auf einer kleinen Bühne in einem schon etwas angejahrten Hörsaal der Nationalen Wirtschaftsuniversität von Hanoi, die ihn gerade zum Ehrendoktor ernannt hat. Und natürlich spielt seine Herkunft auch hier eine Rolle, einer der Professoren sagt ganz offen: „Sie sind der erste deutsche Minister, der aus Asien stammt.“ Der Besucher aus Berlin jedoch entgegnet freundlich, aber bestimmt: „Mein Heimatland – das ist Deutschland.“

    Vor ein paar Stunden noch saß er unrasiert, in abgewetzten Jeans und im T-Shirt, in seiner Regierungsmaschine, ein freundlicher junger Mann, der sich nicht anmerken lässt, dass die Umfragen für die FDP nach wie vor schlecht sind und die Union sich schon nach der Großen Koalition zurücksehnt. Jetzt trägt er einen imposanten Doktorhut und wird einmal mehr mit großen Erwartungen konfrontiert, die er vermutlich nie erfüllen kann. „Schon in jungen Jahren“, lobt der Präsident der Hochschule etwas überschwänglich, „haben Sie große Willenskraft bewiesen.“ Von Röslers Herkunft, so hofft er, wird nun auch das Land profitieren, aus dem er stammt.

    Mehr Entwicklungshilfe, eine noch engere wirtschaftliche Zusammenarbeit: „Mit Ihnen kann Deutschland Vietnam besser verstehen.“

    Es ist ein etwas unwirkliches Ambiente, weil alles so gestrig wirkt, wie damals, im sozialistischem Bruderstaat DDR. Der vorauseilende Gehorsam, in dem der Moderator die erweiterte Parteiführung begrüßt, die hier noch immer Politbüro heißt. Die vielen Studenten, die wie bestellt Spalier stehen und so begeistert applaudieren, als sei Ho Chi Minh höchstselbst von den Toten auferstanden. Die Frage eines besonders linientreuen Zuhörers nach den Schattenseiten der sozialen Marktwirtschaft, die Rösler routiniert weglächelt. „Der Staat“, hat er in seiner Rede zuvor gewarnt, „ist nicht der bessere Unternehmer. Er muss loslassen können.“

    In einem Land, in dem die sozialistische Partei und der Staat gewissermaßen eins sind, ist das fast schon ein diplomatischer Affront. Vietnam ist mit seiner jungen, konsumhungrigen und stark wachsenden Bevölkerung zwar auch für deutsche Unternehmen ein interessanter Markt und eine Art Einfallstor in andere aufstrebende Länder der Region. Aber auch in der Wirtschaftsdelegation, die Rösler begleitet, sitzen Unternehmer, die Waren nach Vietnam geliefert oder große Bauprojekte betreut haben und noch auf ihr Geld warten. Immer wieder mahnt der Minister deshalb eines an: Vertragstreue.

    Natürlich verbindet sich hier in Vietnam, für Philipp Rösler das Private mit dem Politischen. Hier wurde er geboren, hier bewundern ihn viele Menschen für den fast märchenhaften Aufstieg vom Adoptivkind zum Wirtschaftsminister und Vizekanzler einer Wirtschaftsmacht. Hier hätte er, wenn er gewollt hätte, auch mit einem Dutzend Reportern und Kameraleuten im Schlepptau das Dorf besuchen können, aus dem er stammt. Genau das aber will er nicht: in Vietnam nur der Vietnamese sein, sich anbiedern und vereinnahmen lassen. Schräg hinter ihm steht an der Universität eine goldene Büste des kommunistischen Revolutionsführers Ho Chi Minh. Rösler selbst beruft sich in seinen Reden in Vietnam lieber auf Ludwig Erhard.

    Als seine vierjährigen Töchter am Wochenende wissen wollten, wohin er denn jetzt schon wieder fliege, habe seine Frau ihm die Antwort abgenommen, erzählt Rösler. Der Papa, habe sie gesagt, fahre für ein paar Tage in das Land, in dem er geboren wurde. Deshalb sehe er auch ein wenig anders aus als die meisten anderen Menschen in Deutschland, hat Wiebke Rösler den Zwillingen dann noch schnell erklärt. „Und eine von euch beiden übrigens auch.“

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