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MESSKIRCH: Schlag auf Schlag im Klosterwald

MESSKIRCH

Schlag auf Schlag im Klosterwald

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    Wie vor 1200 Jahren: Holzhandwerker Andreas Herzog schlägt im Campus Galli ein Klangholz, um das Signal für die Pause zu geben. Die Näherinnen (von links) Karin Kohler, Laura Victoria Hempel, Patrizia Kruse und Lydia Wagner haben in der Klosterstadt offenbar ihren Spaß (unten links), und Archäologe Martin Rogler töpfert ein Trinkgefäß aus Lehm (unten rechts).
    Wie vor 1200 Jahren: Holzhandwerker Andreas Herzog schlägt im Campus Galli ein Klangholz, um das Signal für die Pause zu geben. Die Näherinnen (von links) Karin Kohler, Laura Victoria Hempel, Patrizia Kruse und Lydia Wagner haben in der Klosterstadt offenbar ihren Spaß (unten links), und Archäologe Martin Rogler töpfert ein Trinkgefäß aus Lehm (unten rechts). Foto: Fotos: Sabine Tesche (2), Felix Kästle, dpa

    Hier wummern keine Presslufthämmer, hier nagen keine Kreissägen am Trommelfell. Dennoch liegt in diesem Wald bei Meßkirch eine Großbaustelle. Ein Schauplatz der neuen Langsamkeit. Denn bis hier der letzte Nagel eingeschlagen ist, dürften noch 40 oder 50 Jahre ins Land gehen.

    Dann soll der Campus Galli Wirklichkeit sein, soll jene Klosterstadt stehen, die Benediktiner-Mönche auf der Insel Reichenau vor 1200 Jahren als Sankt Galler Klosterplan kühn wie an einem Reißbrett entwarfen. Ihre Vision: Glaube, Ökonomie und Effizienz zu vereinen und damit eine Blaupause für ein Kloster als wirtschaftliches Verwaltungszentrum zu liefern, die Säule eines Großprojekts, das Historiker heute Christianisierung Europas nennen.

    Hannes Napierala möchte heute niemand missionieren. Dennoch brennt der promovierte Archäologe, seit einem Jahr Geschäftsführer des Vorhabens Campus Galli, für eine große Aufgabe. „Wir arbeiten uns voran“, sagt er, „Stück für Stück“. Man könnte auch sagen: Axthieb für Axthieb, Hammerschlag für Hammerschlag, Holzschaufel für Holzschaufel, Wollfaden für Wollfaden. Das sind Stoffe und Werkzeuge der experimentellen Archäologie, die hier am Fuß des Heubergs verwirklicht wird, wenn das dumpfe Dröhnen eines Klangholzes die Handwerker zur Arbeit ruft.

    30 von ihnen stehen fest in Lohn und Brot. Um sie gruppiert sich ein Kreis von etwa 20 Helfern und freiwilligen History-Praktikanten.

    Das große Ganze des Plans

    Der Kies knirscht unter den Sohlen der Besucher, die sich auf den Trip durch das frühe 9. Jahrhundert machen. 35 000 waren es 2014, in diesem Jahr werden es rund 45 000. 200 000 sollen es jährlich einmal sein, wenn die Anschub-Euros wegfallen und der Campus auf eigenen Beinen stehen muss. Aller Anfang ist schwer, und so ist auch der Rundweg zunächst durch Dickicht gesäumt, in dem sich Männer und Frauen in leinenen weißen Tuniken Rodungsinseln geschaffen und geduckte Grubenhäuser errichtet haben. Hier der Schmied, zwei Steinwürfe weiter der Töpfer, weiter hinten der Drechsler, dazwischen ein Kräutergarten, umgeben vom Weidenzaun und weiter hinten die noch lückenhafte Bruchsteinmauer des Friedhofs. Das große Ganze des Plans zeichnet sich nur in der Fantasie ab, man schafft im Stadium des Provisoriums. Bei Sonne und Regen.

    So soll es sein. Organisch muss alles wachsen und sich verbinden im Meßkircher Geschichtshain. „Den Klosterplan hätte man auch im Frühmittelalter eins zu eins gar nicht verwirklicht“, erklärt Hannes Napierala vor dem großen Lageplan am Waldrand. Die verwirrende Vielzahl von 52 Gebäuden, die funktional eng aufeinander abgestimmt sind, hätte man damals an das Geländeprofil vor Ort, die vorhandenen Baustoffe und die Erfordernisse der Baustelle angepasst.

    So geschieht es auch heute. Dabei steht der lange Atem im Mittelpunkt dieser unendlichen Geschichtsstunde, deren Zeiger langsam aber sicher weiterkriechen. „Der Bau der Scheune wird nächstes Jahr begonnen, in zwei Jahren werden wir wohl fertig sein“, sagt Archäologe Napierala. Eine moderne Scheune steht heute in ein paar Tagen. Wer auf dem Campus mitmacht, muss sich geistig einbremsen. Der Weg bringt die Erkenntnis, ist Erfüllung, macht das Hirn frei. So wie bei Silke Köhler, einer der Korbmacherinnen. „Es ist schön, etwas herzustellen, was hier gebraucht wird“, sagt die Frau aus Zell im Wiesental, die hier elf Wochen lang Arbeitsferien und Weidenkörbe macht. Die werden als Transportmittel genutzt, für Steine oder für die Waren von Martin Rogier.

    Der sitzt an einer Drehscheibe und formt aus Lehm Gefäße, aus denen die Karolinger-Mannschaft trinken kann. In Tübingen hat er Archäologie studiert, jetzt macht und brennt er selbst, was seine Kollegen an Originalen ausgraben. Wenige Meter entfernt gähnt ein Loch im Boden. Etwa einen Meter breit. Das ist der Brennofen. Holz aus dem Campus-Wald liefert die nötige Hitze.

    Pock, Pock, Pock. Jürgen Mädler aus St. Georgen, gelernter Werkzeugmacher und ehemaliger Betonbauer, schlägt mit einem Hammer aus bockelhart gewickelter Rinderschwarte auf zwei Spalteisen. Sie trennen einen zentnerschweren Zylinder aus Fichtenholz wie Butter in zwei Hälften. Pock, Pock. Zum Reden muss Mädler nicht innehalten, denn – Pock, Kracks – „es macht mir einfach Spaß und ist gar kein Stress“. Was einen wundert, denn Mädler muss liefern: Bestellt sind 15 000 Schindeln für das Dach der Holzkapelle, das bis zum Herbst noch gedeckt werden soll. „Die Zahl hat mich nicht geschreckt“, sagt der bärtige Hammerschwinger, denn – Pock, Pock, Kracks – „hier läuft alles Hand in Hand. Wunderbar.“ Pock, Kracks. Und wieder landen zwei Schindeln auf dem großen Haufen.

    Man könnte meinen, auf dem Abbundplatz im Zentrum der Anlage seien gerade zwei Langholz-Lkw aus dem Schwarzwald entladen worden. Doch Hannes Napierala klärt auf: „Was der Wald hier liefert, das nutzen wir.“ Man sieht es. Die Stümpfe vieler Fichtenstämme künden davon, die Lichtung wächst. Schindeln, Bauholz, Gerüste, Holzkohle für den Schmied – hier zeigt sich ein neues Meßkircher Holzzeitalter gefräßig. Fichten und Lärchen stehen zahlreich hinter der Lichtung, Eiche und Buche werden herbeigeschafft, kommen aber aus dem nahen Umkreis. „Alles aus der Region“, sagt Napierala und deutet auf einen Haufen imposanter Kalksteine: „Die sind von einem Meßkircher Abbruchhaus.“

    Michael Straub ist Zeitreisender in Zimmerer-Arbeit. Mit Andreas Herzog und dem fahrenden Gesellen Samuel Haupt müht er sich an der Giebelwand der künftigen Kapelle ab. Deren mächtiges Fachwerk ist wenige Meter entfernt aus dem Fundament gewachsen. Abmühen trifft es. Denn die Schwalbenschwanz-Verblattung für den Eichenbalken will und will nicht passen. Es klemmt. Jetzt wird nachgearbeitet. Mit der Axt. Tack, Tack. Der heutige Zimmerer würde das Stemmeisen vorziehen.

    Straub nicht. „Man kann, wenn man Übung hat, mit der Axt sehr fein arbeiten“, erklärt der Schreiner aus Ablach bei Krauchenwies. Gefühlvoll pickelt er mit dem geschärften Eisen Eichenspäne ab wie Salamischeiben. Tack. Als würde man mit einer Papierschere Fingernägel schneiden. Übungssache. Es geht, sehr gut sogar. Die Axt als Präzisionsinstrument. Oder als baumtodbringende Waffe: Heute Morgen trieb Straub die Klinge in einen Fichtenstamm. Frühmittelalter im Schweiß des Angesichts. Tack, Tack.

    Ein Sud über Buchenholzfeuer

    Damit Straub und die anderen frühmittelalterlich gewandet sind – nur Stahlkappenschuhe sind der Tribut an die Arbeitssicherheit – steht Karin Kohler aus Engelswies unter der Plane ihrer Hütte. „Meine Hauptaufgabe ist das Färben der Wolle“, sagt sie und deutet auf einen Korb rotbrauner Wollflocken. Sie werden von Hand gesponnen (ohne Spinnrad, denn das gab es vor 1200 Jahren noch nicht) und fein gewebt. Die Farbe liefert der Wald. Der Wald? „Ja, Rinde, Wurzeln, Blüten“, sagt Färberin Kohler. Alles trocknet sie in der Hütte, dann macht sie über dem Buchenholzfeuer „einen Sud“, wie sie lächelnd sagt. Schade, dass der Topf gerade leer ist, denn sonst hätte man das Mittelalter hier auch riechen können.

    Wie im Gehege von Raphael Schramm. Der gelernte Zootierpfleger aus Heidelberg ist der Herr der Ziegen, Schweine, Schafe und der Ochsen Korbinian und Jonathan, die als Schwerstarbeiter Dienst tun und dicke Baumstämme ziehen. „Ziegen und Schafe helfen beim Roden des Grünzeugs im Wald“, sagt Schramm, der ohne Innehalten mit der Reparatur des Weidengeflechts beschäftigt ist.

    Der Wald muss weichen. Die 70 Meter lange Klosterkirche mit zwei Türmen wird Platz brauchen. „Wir müssen vorher noch Erfahrungen sammeln“, sagt Hannes Napierala. Dazu dient der Bau des ersten ganz aus Stein ausgeführten Gebäudes, des Klosters hinter der Apsis der Kirche. „Frühestens in fünf Jahren fangen wir damit an.“ Ein Städtebau in Zeitlupe? Nein. Trotz aller scheinbaren Gemächlichkeit ist Campus Galli keine Schnecke. „Kein Tag ist wie der andere“, sagt Napierala. „Alles ist in Bewegung.“ Pock, Kracks!, schallt es herüber. Tack, Tack, Tack, antwortet die Axt.

    Campus Galli

    Die Idee Der Plan für die Klosterstadt wurde vor 1200 Jahren zur Zeit Kaiser Karls des Großen auf der Insel Reichenau gezeichnet. Erst jetzt wird er umgesetzt, begonnen wurde im Jahr 2012 – ohne modernes Werkzeug. Besucher können hautnah erleben, wie bei Meßkirch ein Stück Geschichte zum Leben erwacht. Öffnungszeiten Die Saison dauert vom 1. April bis zum 1. November. Geöffnet ist der Campus von Dienstag bis Sonntag jeweils von 10 bis 18 Uhr. Erwachsene zahlen neun Euro, Kinder von sieben bis 16 Jahren sechs Euro Eintritt. Buchungen und Informationen telefonisch unter Tel. (0 75 75) 2 06 - 47. Internet: Das Projekt im Überblick mit interaktiver Karte des Rundwegs, Fotos, Videos und Informationen über einen freiwilligen Einsatz auf dem Gelände gibt's im Internet unter: www.campus-galli.de

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