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BERLIN: Schon vor der Wende 1989 war die DDR politisch und ökonomisch am Ende

BERLIN

Schon vor der Wende 1989 war die DDR politisch und ökonomisch am Ende

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    Symbol einstiger Macht: verwitterter DDR-Grenzpfosten
    Symbol einstiger Macht: verwitterter DDR-Grenzpfosten Foto: Foto: dpa

    Für Erich Honecker war die Sache klar. „Die Leute brauchen billiges Brot, eine trockene Wohnung und Arbeit“, erklärte der langjährige Staatschef der DDR und Generalsekretär der SED. „Wenn diese drei Dinge stimmen, kann dem Sozialismus nichts passieren.“ Entsprechend sah die Wirtschaftspolitik der DDR aus. Die Lebensmittelpreise wurden mit hohem Aufwand staatlich subventioniert, sodass Brot billiger war als Getreide, an den Rändern der Städte und Gemeinden wurden moderne Plattenbausiedlungen aus dem Boden gestampft, während die unsanierten Altbauwohnungen in den Innenstädten verfielen, und für jeden Bürger gab es einen Job, unabhängig davon, ob es auch genügend Arbeit gab.

    Doch die von Erich Honecker konzipierte „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“, die die Grundbedürfnisse der DDR-Bürger stillen und sie nach der Devise „privater Wohlstand gegen politisches Wohlverhalten“ zu braven Untertanen machen sollte, überforderte die DDR – und führte fast zwangsläufig zu ihrem Untergang. Schon vor dem Fall der Mauer am 9. November 1989 war das SED-Regime nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch und finanziell am Ende, Hilfe und Unterstützung vom „großen Bruder“ Sowjetunion war nicht mehr zu erwarten, da die UdSSR selber vor dem wirtschaftlichen Kollaps stand.

    Ungeschminktes Bild der Lage

    Wie verheerend die Lage der DDR war, wurde am 31. Oktober 1989 deutlich. An diesem Tag legte Gerhard Schürer, der Chef der allmächtigen Staatlichen Planungskommission, dem neuen SED-Chef Egon Krenz ein 22-seitiges Dossier vor, das ein ungeschminktes Bild der Lage enthielt. Die DDR-Wirtschaft sei unproduktiv und nicht wettbewerbsfähig, das Land lebe dauerhaft weit über seine Verhältnisse und sei nicht mehr in der Lage, die Konsumansprüche der Bevölkerung zu befriedigen, die Verschuldung im kapitalistischen Ausland sei enorm, es drohe die Zahlungsunfähigkeit. Schürers bitteres Fazit: „Allein ein Stoppen der Verschuldung würde im Jahre 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25 bis 30 Prozent erfordern und die DDR unregierbar machen.“ Die einzige Chance, die Zahlungsfähigkeit der DDR zu erhalten, sei, „mit der Regierung der BRD über Finanzkredite in Höhe von zwei bis drei Milliarden Valutamark über bisherige Kreditlinien hinaus zu verhandeln.“ Das wäre nichts Neues gewesen. Auf diese Weise hatte die DDR schon einmal die drohende Pleite abgewendet. Nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979 und der Ausrufung des Kriegsrechts in Polen im Dezember 1981 ging die Phase der Entspannungspolitik zu Ende, politisch wie ökonomisch brach eine neue Eiszeit im Verhältnis zwischen den Blöcken aus. Die Rohstoffpreise wie die Kreditzinsen schnellten in die Höhe, 1982 stand das SED-Regime vor dem Bankrott. Nicht der „große Bruder“ im Osten, sondern der kapitalistische Bruder im Westen rettete Honecker in letzter Minute, ein Milliardenkredit westdeutscher Banken, den der DDR-Devisenbeschaffer (und Stasi-Offizier) Alexander Schalck-Golodkowski und der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß (CSU) eingefädelt hatten und für den die Bundesregierung unter Helmut Kohl bürgte, sorgte für das Überleben des Arbeiter- und Bauernstaates.

    Zeichen des Verfalls

    Doch auch dieser Geldregen konnte die Probleme der maroden DDR-Wirtschaft nicht lösen, zumal Staats- und Parteichef Honecker aus Furcht vor Massenprotesten am teuren Konsum- und Sozialprogramm festhielt. Die Zeichen des Verfalls waren allgegenwärtig, der Staat lebte von der Substanz, die öffentliche Infrastruktur zerfiel, notwendige Investitionen unterblieben, die Versorgungslage wurde zunehmend schlechter, dem Regime fiel es schwer, die Ansprüche der Menschen zu befriedigen, selbst bei den „Waren des täglichen Bedarfs“ gab es Versorgungsengpässe. Um an die Devisen zu kommen, verkaufte das Regime praktisch alles, was sich zu Geld machen ließ – von Blutkonserven über Antiquitäten bis zu politischen Gefangenen.

    Während die alten Männer um Erich Honecker und Erich Mielke halsstarrig an der Macht festhielten, brodelte es im Lande. Selbst der allmächtige Stasi-Überwachungsapparat schreckte nicht mehr ab. Unter dem schützenden Dach der Kirche entstanden Friedens-, Umwelt und Menschenrechtsgruppen, die sich auf die Helsinki-Schlussakte beriefen und politische Reformen forderten. Erst recht, als im März 1985 der erst 54-jährige Michail Gorbatschow die Macht in der Sowjetunion übernahm, für ein „neues Denken“ warb und unter den Schlagworten „Glasnost und Perestroika“ (Offenheit und Umgestaltung) eine Modernisierung von Staat, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft anstrebte. Doch die Hoffnung der DDR-Bürger, es werde auch in ihrem Land zu Veränderungen kommen, erfüllte sich nicht. Man müsse nicht die eigene Wohnung neu tapezieren, wenn der Nachbar dies tue, sagte Politbüro-Mitglied Kurt Hager 1987. Und ein Jahr später kam es gar zum Verbot der sowjetischen Zeitschrift „Sputnik“ in der DDR.

    Eine Massenflucht

    Doch dies half nichts mehr, die Macht der SED erodierte. Gorbatschow gab allen sozialistischen Brüderstaaten das Recht, frei über ihre Entwicklung zu entscheiden, ohne dass es zu sowjetischen Militärinterventionen komme. Polen und Ungarn nutzen die neugewonnenen Spielräume sofort für Reformen. Als die Regierung in Budapest im Frühsommer 1989 die Grenzsperren zu Österreich abbaute, kam es zu einer Massenflucht. Innerhalb weniger Wochen flohen 25 000 DDR-Bürger in den Westen, ein bitterer Aderlass.

    Politisch isoliert, ökonomisch am Ende, finanziell nicht mehr handlungsfähig – dem Wunsch der Menschen nach Freiheit und Demokratie, Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit hatte das SED-Regime nichts mehr entgegenzusetzen. Der Sturz Erich Honeckers im Oktober 1989 kam zu spät. Es bedurfte nur noch eines Windhauches, um das morsche Haus einstürzen zu lassen. Da verkündete Günter Schabowski am Abend des 9. November, dass es neue großzügigere Ausreiseregelungen gebe – „unverzüglich, sofort“. Noch in der gleichen Nacht fiel die Mauer.

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