Der Islam erscheint nach außen als männerdominierte Religion. Dabei gibt es etliche Frauen, die großen Einfluss auf die islamische Geschichte hatten. In ihrem im Februar erschienenen Buch „Emanzipation im Islam – Eine Abrechnung mit ihren Feinden“ rückt Sineb El Masrar autonome Frauen in der islamischen Welt in den Fokus. An diesem Samstag, 30. April, stellt sich die Berliner Autorin beim FemFest in Würzburg vor.
Frage: Sie zeigen auf, dass Frauen im Islam bis heute durch patriarchale Strukturen unterdrückt werden. Gleichzeitig weisen Sie darauf hin, dass es ohne Frauen gar keinen Islam gäbe. Was meinen Sie damit?
Sineb El Masrar: Nun, der erste gläubige Mensch im Islam war kein Mann, sondern eine Frau, nämlich Mohammeds erste Frau Khadija. Aischa, Mohammeds jüngste Frau, war eine der wichtigsten Übermittlerinnen der Prophetentradition. Auch hatte der Prophet vor allem Töchter. Leider hatten männliche Gelehrte über die Jahrhunderte hinweg die Deutungshoheit, sie drängten die Frauen zurück. Wobei es natürlich auch Frauen gab und gibt, die diese patriarchalen Strukturen unterstützen.
Das ist ein bemerkenswertes Phänomen. Warum, glauben Sie, übernehmen Muslima das repressive System islamischer Männer?
El Masrar: Das hat viel mit der Sozialisation zu tun. Mütter, Tanten und Großmütter kennen dieses System von vielen Generationen her und halten es aufrecht. Sie sind es gleichzeitig, die zu Hause erziehen und ihren Glauben in die nächste Generation hineintragen. Als ich an meinem Buch gearbeitet habe, war ich in Neukölln in einem Mädchentreff, wo vor allem libanesischstämmige Mädchen präsent sind, die schon in vierter Generation in Deutschland leben. Dennoch gibt es immer noch die Vorstellung, dass man mit 16 heiraten muss.
Aus den Traditionen auszubrechen, ist sicher nicht leicht . . .
El Masrar: Nein, es ist schwer, als Muslima aus der Reihe zu tanzen und zu sagen: Ich gehe einen anderen, neuen Weg. Das bedeutet Konfrontation und gleichzeitig, sich auf ein ganz und gar unbekanntes, unsicheres Terrain zu begeben. Man trifft auf Tabus und zum Teil auch auf fehlende Solidarisierung. Etwa, wenn es darum geht, dass eine Muslima ihren nicht-muslimischen Partner heiraten möchte.
Ihr jüngstes Buch stellt eine „Abrechnung“ mit dem unterdrückerischen System des Islam dar. Das klingt nach einer Kampfansage. Welche Reaktionen erhielten Sie denn bisher?
El Masrar: Muslimische Männer kommen in meinem Buch ziemlich schlecht weg, weil sie als Gelehrte, Väter und Familienoberhäupter Frauen das Leben schwermachen. Muslime, die nicht bereit sind, verkrustete Strukturen zu hinterfragen und auch einmal kritisch mit der einen oder anderen Tradition ins Gericht zu gehen, haben deshalb ein großes Problem mit dem Buch. Sie befürchten, dass ihr Islam dadurch verwässert wird. Allerdings kommen zu meinen Lesungen, was ich spannend finde, auch muslimische Männer, die äußern, dass sie die Positionen, die ich nach außen trage, gut finden.
Sind Sie persönlich angegriffen worden?
El Masrar: Also, Drohungen gab es nicht. Darüber bin ich auch sehr froh. Im Übrigen kritisiere ich zwar, dass der Islam eine patriarchale Religion ist, die sich auch keineswegs friedlich verbreitet hat. Aber man muss ebenfalls zur Kenntnis nehmen, dass er den Frauen gewisse rechtliche Verbesserungen brachte. Frauen, die wenig Rechte haben, weil sie in Ländern leben, wo der Sozialstaat nicht funktioniert, können mit Verweis auf den Islam als der unumstrittenen, höchsten Instanz Rechte durchsetzen.
Wie sieht denn nach Ihren Beobachtungen die Alltagswirklichkeit jüngerer muslimischer Frauen heute in Deutschland aus? Wie selbstbestimmt leben sie?
El Masrar: Das Spektrum ist wirklich sehr breit. Das hat mit dem sozialen Milieu zu tun, mit dem Bildungsgrad der Eltern sowie damit, welches Islamverständnis vermittelt wurde. Es gibt junge Frauen in Deutschland, die sich plötzlich dem Salafismus zugewandt fühlen, andere, die konsequent ihren Weg gehen, so wie sie ihn für richtig halten, und schließlich Frauen, die mit der Religion gar nichts mehr zu tun haben möchten. Wieder andere wollen ihre Religion nach außen zeigen, darum tragen sie das Kopftuch. Was nicht bedeuten muss, dass sie keine emanzipierte Frauen wären.
In Ihrem Buch führen Sie aus, dass Arbeit der erste Schritt zur Emanzipation ist. Ist aber die muslimische Putzfrau tatsächlich per se emanzipierter als ihre Glaubensgenossin, die keiner bezahlten Beschäftigung nachgeht?
El Masrar: Erwerbsarbeit ist in der Tat eine ganz wichtige Grundlage für Emanzipation. Sicher geht es auch um Bildung.
Aber selbst wenig gebildete Frauen, die einen einfachen Job machen, etwa als Putzfrau, können, sofern sie das Geld nicht zu Hause beim Ehemann abgeben müssen, unabhängiger sein und selbstbestimmter leben als eine akademisch gebildete Frau, die mit einem gut situierten Mann verheiratet ist, vielleicht als Professorin arbeitet, sich aber von ihrem Mann schlecht behandeln lässt.
Emanzipation hat aber schon auch etwas mit Bildung zu tun. Haben denn junge Muslima in Deutschland nach Ihrer Einschätzung inzwischen denselben Zugang zu Bildung wie nicht-muslimische Mädchen und Frauen?
El Masrar: Es hat sich vieles verbessert im Vergleich zu den 1980er Jahren, wo man davon ausgegangen ist, dass aus Mädchen aus Nordafrika oder der Türkei sowieso nichts wird. Die Mädchen selbst sind heute auch wesentlich selbstbewusster. Gerade junge Frauen mit Kopftuch sind darauf bedacht, zu beweisen, dass sie kluge Frauen sind, die Karriere machen können. Sie ergreifen ihre Bildungschancen – teilweise mit Unterstützung ihrer Eltern, teilweise in Konfrontation zu ihnen. Die meisten Eltern haben jedoch spätestens in der zweiten Generation erkannt, dass Bildung ganz wichtig ist für ihre Töchter.
Viele motivieren ihre Töchter darum, zu studieren, und sind dann ganz enttäuscht, wenn die jungen Frauen ihr Studium nicht beenden, heiraten und zu Hause bleiben.
Sineb El Masrar
Die 34-jährige deutsche Autorin mit marokkanischen Wurzeln gilt als feministische Stimme der Muslima in Deutschland. 2006 gründete sie das multikulturelle Frauenmagazin „Gazelle“. Vier Jahre später erschien ihr Buch „Muslim Girls – wer wir sind, wie wir leben“. Im Februar veröffentlichte sie ihre Schrift „Emanzipation im Islam – eine Abrechnung mit ihren Feinden“. Beim FemFest in Würzburg an diesem Samstag, 30. April, wird sie um 16 Uhr im Jugendkulturhaus Cairo ihre Sicht auf die Lebenswirklichkeit von Muslima in Deutschland darlegen und aufzeigen, welche Widerstände der Forderung nach Gleichberechtigung entgegenstehen. FOTO: El Masrar