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COLOMBO: Sri Lanka: Die Attentäter kamen zum Gottesdienst

COLOMBO

Sri Lanka: Die Attentäter kamen zum Gottesdienst

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    Sicherheitspersonal inspiziert nach den Anschlägen vom Ostersonntag eine der zerstörten Kirchen.
    Sicherheitspersonal inspiziert nach den Anschlägen vom Ostersonntag eine der zerstörten Kirchen. Foto: Foto: Jewel Samad, afp

    Einen Tag, nachdem der Terror Sri Lanka getroffen hat, knallt es wieder. Wieder steigt über der Hauptstadt Colombo ein Feuerball in die Luft, wieder explodiert eine Bombe ganz in der Nähe von St. Antonius. Menschen schreien, rennen in Panik davon, weg von der Kirche, in der in der Ostermesse am Tag zuvor so viele Christen zu Tode kamen. Ein paar Minuten später erneut ein gewaltiger Knall. Panik macht sich breit. Die Polizisten haben Mühe, die Menschen zu beruhigen. Erst später wird klar, dass es eine Autobombe war, die von Experten gesprengt wurde. Und dass die Polizei an der zentralen Busstation 87 Bombenzünder sicherstellen konnte.

    Es ist eine äußerst angespannte Stimmung, die an diesem Montag über der Insel liegt. Die meisten Geschäfte sind geschlossen, Schulen und Universitäten ebenso, öffentliche Veranstaltungen wurden abgesagt. Was bleibt, ist die Angst, nachdem tags zuvor bei einer Anschlagsserie auf Kirchen und Hotels mindestens 290 Menschen ums Leben kamen und mehr als 500 verletzt wurden.

    Sr. Antonius, Viertel vor neun

    Die Zeiger der Kirchturmuhr von St. Antonius stehen auch am Montagnachmittag noch immer auf Viertel vor neun. Die katholische Kirche mit ihrer weißen Fassade ist ein Wahrzeichen von Colombo. Nicht nur Christen pilgern hierher, um Hilfe zu erbitten. Doch am Ostersonntag blieb das Wunder aus. Dutzende Menschen, die in St. Antonius zur Messe zusammengekommen waren, starben, als ein Selbstmordattentäter sich in die Luft sprengte. „Ein Priester kam aus der Tür gelaufen, sein Gewand war voll von Blut“, berichtet ein Anwohner.

    Nur ein paar Augenblicke später explodierte ein Sprengsatz in St. Sebastian im malerischen Strandort Negombo, 35 Kilometer nördlich der Hauptstadt. Das Gotteshaus war an diesem Morgen bis zum letzten Winkel gefüllt, mehr als 1000 Gläubige waren zur Ostermesse gekommen. Mindestens 102 von ihnen starben. Überlebende schildern, sie hätten den Selbstmordattentäter gegen Ende der Messe in die Kirche kommen sehen. Er habe eine große Tasche bei sich gehabt.

    „Es ist ein sehr, sehr trauriger Tag für uns alle“, sagt der Erzbischof von Colombo, Malcolm Ranjith. Auch am Montag. Hilfskräfte durchkämmen St. Sebastian. Die betende Jesus-Skulptur an der Wand ist mit Blutspritzern übersät, der Statue daneben fehlt der Kopf. Überall liegen Kirchenbänke und Dachziegel. Die Detonation war so stark, dass das gesamte Kirchendach einstürzte. Ein Mann, der im Gottesdienst war, sagt in die Fernsehkameras: „Ich hörte die Explosion, dann ist das Dach auf uns gefallen. Wir nahmen die Kinder und rannten raus.“ Dann stockt seine Stimme. Der Mann beginnt zu weinen.

    Der Attentäter kam mit dem Rucksack

    Nahezu zeitgleich gab es am Sonntagmorgen weitere Explosionen: In Batticaloa, im Osten der Insel, wurde die Zionskirche von einem Selbstmordattentäter angegriffen. Der Mann habe einen schweren Rucksack getragen, sagt ein Anwohner. Mindestens 28 Menschen starben. Zudem traf es drei Luxushotels in Colombo: das Shangri-La, das Kingsbury-Hotel und das Cinnamon Grand, wo sich der Attentäter mit einem Teller in die Schlange vor dem Frühstücksbüfett einreihte, bevor er seinen Sprengsatz zündete. „Es war das absolute Chaos“, beschreibt ein Hotelmanager die Szene. Am Nachmittag detonierten Bomben in der Hauptstadt Colombo in einem kleineren Hotel und einem Privathaus, mindestens fünf Menschen starben. Am Abend wurde auf der Straße zum internationalen Flughafen von Colombo eine Rohrbombe entdeckt und entschärft.

    Die Regierung in Colombo machte am Montag die örtliche islamistische Splittergruppe National Thowheeth Jamath (NTJ) für die Anschläge verantwortlich. Alle sieben Selbstmordattentäter seien Bürger von Sri Lanka, sagte ein Sprecher des Kabinetts. Sie hätten jedoch Hilfe eines internationalen Netzwerks gehabt.

    Stecken El Kaida oder IS hinter der Tat?

    Terrorexperten hatten schnell den Verdacht geäußert, dass die Handschrift des Anschlages auf die Terrormiliz IS oder El Kaida hindeute. Zudem gibt es Anzeichen dafür, dass IS-Kämpfer, die aus dem Mittleren Osten nach Sri Lanka zurückgekehrt sind, eine neue Gefahr für die Tropeninsel darstellen. Die Regierung hatte 2016 die Zahl ihrer Bürger, die in Syrien für den IS kämpfen, mit 32 angegeben. Islamistische Terrorangriffe hatte es auf der Sri Lanka bisher nicht gegeben. Auch deshalb sprach Wohnungs- und Kulturminister Sajith Premadasa von einer „völlig neuen Art von Terrorismus. Dies ist ein Schock, und wir werden mit einer Schocktherapie antworten.“

    Der blutige Ostersonntag weckt auf der südasiatischen Insel Erinnerungen an düstere, längst vergangen geglaubte Zeiten. Mehr als 25 Jahre dauerte der Bürgerkrieg, in denen die tamilische Separatistenorganisation „Tamil Tiger“ (LTTE) gegen die Regierung kämpfte. Nach dem Ende des Kriegs 2009 schien der Inselstaat die Gewalt hinter sich gelassen zu haben. Der Tourismus blühte, allein aus Deutschland kommen jedes Jahr Zehntausende Urlauber. Am Sonntag nahm innerhalb einer halben Stunde beides schweren Schaden.

    Offenbar gab es vor zwei Wochen Hinweise

    Schon wird Kritik laut. An der Polizei, die offenbar bereits vor zwei Wochen vor Ostern Hinweise über Anschlagspläne der wenig bekannten Gruppe erhalten haben soll, diese aber wohl nicht ernst genug nahm. Unter den Regierungsmitgliedern der Fraktion von Premierminister Ranil Wickremesinghe ist der Ärger groß, dass sie darüber nicht informiert worden seien. Bislang wurden im Zusammenhang mit der Terrortat 24 Verdächtige festgenommen.

    Und es werden Rufe laut, die Regierung habe zu wenig für den Schutz der religiösen Minderheit unternommen. Auf Sri Lanka sind mehr als 70 Prozent der Einwohner buddhistisch, nur gut sieben Prozent sind Christen. Während des Bürgerkriegs hatte sich vor allem die christliche Gemeinschaft für Versöhnung und Frieden eingesetzt. Auch nach dessen Ende 2009 organisierten die Kirchen Austausch zwischen tamilischen und singhalesischen Familien, um die Wunden des Krieges zu heilen und die ethnische Spaltung des Landes zu überwinden.

    In Colombo warten in und vor den Krankenhäusern Hunderte Menschen auf Nachrichten, wie es ihren Angehörigen geht. Die meisten von ihnen vergeblich. Am Nachmittag wird klar, dass unter den Toten mindestens 39 ausländische Touristen sind – darunter Briten, Dänen, Niederländer, Menschen aus den USA, China, Japan und der Türkei. Das Auswärtige Amt in Berlin teilt mit, dass ein Deutsch-Amerikaner zu den Opfern zählt. Und dann ist da die tragische Nachricht, dass der dänische Modeunternehmer Anders Holch Polvsen, dessen Textilkonzern Asos für Marken wie Vero Moda oder Jack & Jones bekannt ist, bei dem Attentat drei seiner vier Kinder verloren hat.

    Regierung blockiert Soziale Medien

    Sri Lankas Regierung blockierte auch am Montag vorsorglich eine Reihe Sozialer Medien wie Facebook, Instagram und Whatsapp, um Gerüchte und Falschmeldungen zu stoppen. Am Montagmorgen hatten Berichte in Colombo die Runde gemacht, wonach das Trinkwasser vergiftet worden sei. Facebook-Posts hatten bereits in der Vergangenheit in Sri Lanka religiöse Gewalt provoziert. Im September 2017 musste eine Gruppe von muslimischen Rohingya-Flüchtlingen in Colombo in Sicherheit gebracht werden, nachdem eine wütende Menge, angeführt von radikal-buddhistischen Mönchen, das Haus, in dem sie untergebracht waren, gestürmt hatte. Auf Facebook hatten die Aufwiegler verkündet, die Flüchtlinge seien Terroristen, die einen buddhistischen Mönch getötet hätten.

    Auf der Tropeninsel steht in der Nacht zum Dienstag eine weitere Ausgangssperre an. Viele der Bewohner muss man derzeit wohl nicht zweimal bitten, ihre Häuser nicht zu verlassen. (mit Infos von dpa/afp)

    Sri Lanka Der Inselstaat liegt im Indischen Ozean. Die offizielle Hauptstadt mit dem Regierungssitz heißt Sri Jayewardenepura, de facto gilt aber Colombo als Hauptstadt. Das Land ist religiös gespalten. Die Tropeninsel mit ihren knapp 21 Millionen Einwohnern ist mehrheitlich buddhistisch. Rund 12,6 Prozent der Bevölkerung sind Hindus, 9,7 Prozent Muslime und 7,4 Prozent Christen. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Die meisten der Muslime in Sri Lanka sind Sunniten, es gibt aber auch Minderheiten von Schiiten und der Gemeinschaft der Ahmadiyya. Seit Ende des Bürgerkriegs im Mai 2009 wurden nach Angaben des Auswärtigen Amts in Sri Lanka bis zum 21. April 2019 keine Terroranschläge mehr verübt. Militär und Polizei seien aber „weiterhin sichtbar präsent“. Im Bürgerkrieg von 1983 bis 2009 kämpften die „Befreiungstiger von Tamil Eelam“ (LTTE) für einen unabhängigen tamilischen Staat im Norden der Insel. Die Tamilen sind zumeist Hindus. Die LTTE verübte im ganzen Land Selbstmordanschläge und sprengte Züge in die Luft. Die Armee bombardierte das Siedlungsgebiet der Tamilen. Schätzungen zufolge starben während des Bürgerkriegs an die 100 000 Menschen. Heute ist die LTTE zerschlagen. Die LTTE wurde unter anderem von der Europäischen Union als Terrororganisation eingestuft. Auch der staatlichen Armee werden Kriegsverbrechen vorgeworfen. Der Konflikt schwelt weiter. Etliche Tamilen suchen noch nach Angehörigen, die nach 2009 in Internierungslager der Armee kamen und seitdem verschwunden sind. Menschenrechtsorganisationen berichten von bis heute anhaltenden Entführungen, Vergewaltigungen und Folter von Tamilen durch Sicherheitskräfte. (dpa)

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