Wer rebelliert, der fliegt: Nach dieser Devise hat Frankreichs Premierminister Manuel Valls am Montag den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Als Reaktion auf die Kritik von Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg und Bildungsminister Benoît Hamon an der Sparpolitik und dem unternehmerfreundlichen Kurs der Regierung will er am heutigen Dienstag sein neues Kabinett vorstellen, dem diese beiden Parteilinken wohl nicht mehr angehören. Zumindest Montebourg hatte schon am Montag verlauten lassen, dass er kein Teil der neuen Regierung sein will.
Valls selbst hingegen bleibt offensichtlich an der Regierungsspitze. Der Elysée-Palast legte Wert darauf zu betonen, es habe sich bei der Entscheidung um einen „absoluten Konsens“ zwischen ihm und Präsident François Hollande gehandelt. Die Kommentatoren sprachen trotzdem von der Regierung als einem „wankenden Schiff“, dessen Kapitän die Meuterer nicht in den Griff bekomme. Die Umbildung sei Hollandes letzte Chance, seine Präsidentschaft noch zu retten, schreibt die Zeitung „Le Monde“. Nur fünf Monate war Valls' Kabinett im Amt, das nach Niederlage der Sozialisten bei den Kommunalwahlen neu gebildet worden war.
Montebourg war dabei vom beigeordneten „Minister für produktiven Wiederaufbau“ zum Wirtschaftsminister aufgestiegen, um die Parteilinken einzubinden und ihn zu disziplinieren. Auf seiner Redefreiheit bestand er aber weiterhin und widersprach auch der Regierungslinie.
„Die zwanghafte Defizit-Reduzierung ist ein ökonomischer Wahnwitz, denn sie verstärkt die Arbeitslosigkeit; eine finanzielle Absurdität, denn sie macht die Sanierung des Haushalts unmöglich; und eine schädliche Politik, denn sie treibt die Europäer in die Arme extremistischer Parteien“, hatte Montebourg in einem Interview erklärt. Neben Steuersenkungen und mehr Investitionen forderte er auf europäischer Ebene eine stärkere Rolle der Europäischen Zentralbank und einen organisierten Widerstand gegen die deutsche Dominanz: „Frankreich ist ein freies Land, das sich nicht an die Obsessionen der deutschen Rechtskonservativen anpassen muss.“
Diese Kritik an einer „absurden Sparpolitik“ wiederholte er bei einer Pressekonferenz am Montagnachmittag. Er erklärte, seine Verantwortung sei es, alternative Möglichkeiten zu suchen – wenn seine Überzeugungen aber nicht mit der Linie der Regierung übereinstimmten, müsse er diese eben verlassen.
Bildungsminister Hamon, der sein Amt seit Ende März bekleidet, hatte ebenfalls in einem Interview einen Wechsel in der Wirtschaftspolitik, Steuersenkungen und einen langsameren Rhythmus der Haushaltssanierung gefordert, ohne darin einen Widerspruch mit der offiziellen Linie Frankreichs zu sehen.
Doch Valls forderte bei seinem Antritt als Premierminister ein Ende der disziplinlosen Vielstimmigkeit. Am Montag empfing er alle Kabinettsmitglieder, um sie nach ihrer Position gegenüber der Wirtschaftspolitik zu fragen. Wer nicht hinter ihr steht, riskiert seinen Posten – neben Montebourg und Hamon gehört auch Justizministerin Christiane Taubira dazu, die ebenfalls zum linken Parteiflügel zählt. Kulturministerin Aurélie Filippetti, die ihre politische Karriere bei den Grünen begann, kündigte von sich aus an, nicht mehr zur Verfügung zu stehen.
Während Rechtspopulistin Marine Le Pen eine Auflösung der Nationalversammlung und die extreme Linke gar Neuwahlen forderte, erklärte der Generalsekretär der bürgerlich-konservativen Partei UMP, Luc Chatel, die Krise enthülle die „Lähmung der Linken an der Macht, die unfähig ist, der wirtschaftlichen Notlage zu begegnen“. Auch Ex-Premierminister François Fillon urteilte, der Rücktritt der Regierung illustriere Hollandes Ratlosigkeit.
Indem der Präsident zu Jahresbeginn einen „sozialdemokratischen“ Kurs angekündigt hat, um die Wirtschaftskrise zu beenden, brachte er seine Sozialisten an den Rand einer Zerreißprobe. Der linke Flügel steht nicht hinter der Verringerung der Abgabenlast der Unternehmen. Auch wehren sich viele Parteilinke gegen die Einsparung von 50 Milliarden Euro in den kommenden drei Jahren.
Bereits im Sommer 2013 musste die damalige Umweltministerin Delphine Batho gehen, weil sie Kürzungen in ihrem Ressort kritisiert hatte; im März verließen zwei grüne Minister die Regierung, weil sie mit deren Kurs nicht einverstanden waren. Eine Gruppe der „Rebellen“ unter den sozialistischen Abgeordneten lehnte es ab, für den Budgetplan zu votieren mit der Begründung, der aktuelle Kurs sei schmerzhaft, ohne Wirkung zu zeigen: Die Arbeitslosigkeit hat fast elf Prozent erreicht, die Deindustrialisierung schreitet voran. Als aktuelle Wirtschaftsdaten verdeutlichten, dass Frankreichs Wirtschaft geringer wachse als erhofft, wiederholte Valls, eine Änderung des Kurses stehe außer Frage.
„Frankreich ist ein freies Land, das sich nicht an die Obsessionen der deutschen Rechtskonservativen anpassen muss.“
Arnaud Montebourg, scheidender Wirtschaftsminister