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Berlin: „Ich bin froh, dass wir den Test nicht gemacht haben“

Berlin

„Ich bin froh, dass wir den Test nicht gemacht haben“

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    Fabian Sixtus Körner mit Tochter Yanti
    Fabian Sixtus Körner mit Tochter Yanti Foto: Fabian Sixtus Körner

    Die Kosten sollen  nur bei besonderen Risiken oder zur Abklärung von Auffälligkeiten übernommen werden. Flächendeckende Tests soll es nicht geben. In den vergangenen Monaten hatten Wissenschaftler, Ärzte, der Deutsche Ethikrat, Politik, Behindertenverbände und Betroffene intensiv und kontrovers über den Test diskutiert. Die vorgeburtliche Untersuchung ist umstritten, weil sich viele Eltern nach einem positiven Ergebnis für eine Abtreibung entscheiden.

    Was bedeutet die Entscheidung zum Kassen-Test für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Angehörigen? Wie lebt es sich in Deutschland mit einem behinderten Kind? Darüber haben wir mit Fabian Sixtus Körner gesprochen. Der 38-Jährige reiste jahrelang als Designer, Fotograf und Filmemacher um die ganze Welt. Sein Buch „Journeyman“ wurde zum Bestseller. Vor drei Jahren wurde Körner Vater. Seine Tochter Yanti hat das Down-Syndrom. Wie sie sein Leben verändert, beschreibt der Berliner Weltenbummler im Buch „Mit anderen Augen. Wie ich durch meine Tochter lernte, die Welt neu zu sehen.“

    Herr Körner, finden Sie es richtig, dass der Trisomie-21-Bluttest unter bestimmten Voraussetzungen zur Kassenleistung wird?

    Schwere Frage! Zunächst geht es natürlich um das Recht auf Information für werdende Eltern. Der ähnliche, aber weitaus gefährlichere Eingriff der Fruchtwasseruntersuchung ist schon seit vielen Jahren Kassenleistung. Einen neuen, ungefährlichen und kostengünstigeren Bluttest nun Menschen vorzuenthalten, die ihn sich nicht mal eben so leisten können, passt eigentlich nicht zu unserem Sozialstaat.

    Genaue Zahlen gibt es in Deutschland nicht, aber Pränatalmediziner glauben, dass sich neun von zehn Schwangeren gegen ein Trisomie-21-Kind entscheiden. Der Bundesverband niedergelassener Pränatalmediziner warnt, dass der gesellschaftliche Druck zur Abtreibung durch den Test weiter steigen würde. Sollte der Test deshalb nicht eher verboten werden?

    Dass durch den Bluttest auf Kassenleistung die Schwangerschaftsabbrüche nach positiver Trisomie-Diagnose ansteigen, ist erstmal nur eine Vermutung – wenn auch eine berechtigte. Meines Erachtens spielt der Bluttest aber nur eine untergeordnete Rolle. Die Falschinformationen zu einem Leben mit Down-Syndrom, die schon in der Frauenarztpraxis beginnen, sind für mich einer der Hauptgründe, warum sich Eltern gegen ein Kind mit Trisomie 21 entscheiden. Und natürlich die generelle Beurteilung innerhalb unserer Gesellschaft: Behinderung = schlecht.

    Also sind nicht Pränataltests, sondern der gesellschaftliche Umgang mit Behinderung das Problem?

    Genau! Die Tests gibt es, weil Bedarf besteht, und dieser Bedarf gründet auf der Annahme, dass es zu vermeiden gilt, einen Menschen mit Behinderung in die Welt zu setzen. Es wäre eine Symptombehandlung, diesen Test als Kassenleistung zu verbieten, setzt aber nicht an der Ursache des Problems an – nämlich der tief verwurzelten Ablehnung in unserer Gesellschaft gegenüber allem, was nicht der Norm entspricht. Auch wenn es länger dauert und möglicherweise erfolglos bleibt, sehe ich den richtigen Weg darin, das Bild von Menschen mit Behinderung zum Positiven zu verändern.


    Haben Sie und Ihre Frau vor der Geburt gewusst, dass Ihre Tochter Trisomie 21 hat?

    Nein. Da die Nackenfaltentransparenzmessung unauffällig war und auch ansonsten alles normal erschien, haben wir weitergehende Untersuchungen abgelehnt, obwohl es uns mehrfach angeraten wurde, da Yantis Mutter Nico mit 34 Jahren an der Grenze zum sogenannten Risiko-Alter stand. Für uns stand fest, dass wir ein Kind mit Behinderung trotzdem bekommen wollen.

    Wann haben Sie erfahren, dass Ihre Tochter Trisomie 21 hat. Wie war Ihre Reaktion?

    Direkt nach der Geburt hielt ich meine Tochter im Arm. Mir fielen sofort die mandelförmigen Augen und die verdickte Zunge auf. Kurz darauf wurde sie mit einer zu niedrigen Sauerstoffsättigung im Blut auf die Intensivstation gebracht. Dort sagten die Ärzte mir, dass Yanti das Down-Syndrom haben könnte. Für mich brach in dem Moment eine Welt zusammen! Das sagt viel darüber aus, wie auch ich damals über Menschen mit Behinderung gedacht habe.

    Hätte Ihre Frau den Test gemacht, wenn er von der Krankenkasse bezahlt worden wäre?

    Ich bin froh, dass wir den Test nicht gemacht haben. Die Schwangerschaft war bis zum Zeitpunkt der Geburt total unkompliziert, und ich glaube, wir hätten diese Zeit nicht so sehr genießen können, wenn wir vorher von der Diagnose gewusst hätten.

    Wie hat Ihr persönliches Umfeld auf Yantis Geburt reagiert?

    Das familiäre Umfeld zum Glück sehr positiv. Yanti wurde von allen sofort akzeptiert, was in Deutschland nicht der Regel entspricht. Ich habe oft Fälle mitbekommen, in denen die Großeltern oder Onkel und Tanten den Kontakt zu den Eltern abgebrochen haben.

    Unser erweiterter Freundeskreis war zum Teil zurückhaltend in der Kontaktaufnahme. Aber als es sich herumgesprochen hatte, dass wir Eltern mit dem Thema mittlerweile entspannt umgehen und niemand Mitleid mit uns haben muss, hat sich auch das schnell normalisiert.

    Hat jemand gesagt: Habt Ihr das denn nicht vorher gewusst?

    Ständig, aber nicht unbedingt anklagend, sondern aus Interesse. Ich habe aber viele Geschichten von anderen Eltern gehört, die sich Verantwortungslosigkeit vorwerfen lassen mussten, keine Tests gemacht zu haben. Zum Glück war ich noch nicht in dieser Situation, aber vermutlich würde ich erklären, warum ich unsere Entscheidung von damals auch heute nicht bereue. Blicke gibt es jedoch häufig. Yanti wird oft angestarrt. Manchmal voller Freude, manchmal irritiert oder wehmütig, und manchmal schauen Menschen auch abrupt wieder weg, um ja keinen Kontakt aufbauen zu müssen. Ich kann es ihnen aber nicht verübeln. Bevor meine Tochter geboren wurde, hätte ich wohl ähnlich reagiert, aus Angst etwas Falsches zu tun. Seitdem versuche ich, diese Angst abzubauen und bin der Überzeugung, dass alle Seiten davon profitieren, wenn der Umgang mit Behinderungen zur Selbstverständlichkeit wird.

    Wie hat sich Ihr Leben durch die Geburt Ihrer Tochter geändert?

    Ich vermute, dass es sich ähnlich verändert hat wie bei anderen Eltern. Weniger Schlaf, mehr Verantwortung. Da Yanti in ihrer Entwicklung verzögert ist, hat bei mir auch eine Art der Entschleunigung eingesetzt. Das ist ein positiver Nebeneffekt, wie ich finde. Bis auf den Schlafmangel und den drastischen Rückgang an persönlicher Freizeit kann ich für mich selbst wenig negative Veränderungen erkennen.

    Yanti, Ihre Frau und Sie sind in diesem Jahr drei Monate durch Indonesien, Thailand und die Philippinen gereist. Reagieren die Menschen dort anders auf Yanti als in Deutschland?

    Ja, ganz anders! Das liegt sicher auch daran, dass Yanti mit ihren blonden Haaren und ihren blauen Augen in vielen Ländern ohnehin auffällt und schon deshalb besonders ist. Es liegt aber auch an einem offeneren Umgang mit dem Thema Behinderung. Bezüglich ärztlicher Versorgung und finanzieller Unterstützung ist Deutschland den Ländern, die wir bisher mit Yanti bereist haben, meist weit voraus. Was aber die Akzeptanz der Menschen mit Behinderung in der Mitte der Gesellschaft angeht, sehe ich bei Deutschland starken Nachholbedarf.

    Was muss sich in Deutschland für Menschen mit Down-Syndrom und ihre Familien ändern?

    Es geht nicht nur um Menschen mit Down-Syndrom, es geht um alle Menschen mit Behinderungen. Die Ausgrenzung findet täglich statt! Durch Sonderschulen, den unterlassenen Versuch, Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren oder bloß durch einen fehlenden Aufzug an einer U-Bahn Haltestelle. Inklusion bedeutet, dass jede Aktivität für alle zugänglich ist. In Deutschland gilt das Wort „behindert“ als Schimpfwort. Dabei beinhaltet das Wort schon, dass man nicht behindert ist, sondern von etwas behindert wird. Und in den meisten Fällen ist diese Behinderung die Gesellschaft. Menschen mit Behinderung werden bemitleidet, ausgegrenzt und politisch lahmgelegt, anstatt die Ressourcen, die auch diese Menschen haben, für die Gesellschaft zu nutzen.

    Wohin geht die nächste Reise mit Yanti?

    Wahrscheinlich wieder mit unserem VW-Bus an die Atlantikküste. Yanti liebt das Meer und die Brandung. Und da Nico und ich surfen, passt das ganz gut zusammen.

    Wollen Sie ein weiteres Kind?

    Wir haben von vornherein beschlossen, dass wir die ersten drei Jahre ganz Yanti widmen wollen, auch weil diese Zeit so wichtig für die Frühförderung ist. Ganz ausgeschlossen ist es nicht, aber momentan schlummert in keinem von uns beiden der Wunsch nach einem weiteren Kind. Wir sind glücklich, so wie es ist.

    Und falls Nico doch wieder schwanger wird – würden Sie das ungeborene Kind dann auf Trisomie testen lassen?

    Wenn das Ultraschallbild keine Anomalien anzeigen würde, vermutlich nicht. Aber diesmal wären wir ja auch etwas geübter und eine positive Diagnose wäre nicht mehr mit negativen Gefühlen verbunden. Wenn wir uns für einen Test entschieden, würden wir ihn ohne Angst machen.

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