Die Türkei und Armenien haben nach einem Jahrhundert der Feindschaft ein neues Kapitel aufgeschlagen. Zwar brauchten Regierungsvertreter beider Staaten am Wochenende in der Schweiz mehr als einen Schubs von US-Außenministerin Hillary Clinton, um ihre Unterschriften unter Protokolle zu setzen, die eine Aufnahme diplomatischer Beziehungen und eine Öffnung der 1993 geschlossenen Grenze ermöglichen sollen. Doch eigentlich laufen nur noch Nationalisten Sturm gegen die Abkommen, deren Ratifizierung noch folgt.
„Historische Unterschrift“, titelt die türkische Tageszeitung „Türkiye“. Die Außenminister beider Staaten hätten Jahre der Spannung durch Frieden ersetzt – mit erheblichem „Geburtsschmerz“, kommentieren türkische Medien. Tatsächlich zeigt der Streit, dass es bis zu einer echten Versöhnung noch ein weiter Weg ist: Die Türkei wollte über das von Armenien besetzte Berg-Karabach sprechen, Armenien über Völkermord im Osmanischen Reich. Schließlich wurden in Zürich beide Reden abgesagt.
In der an Konflikten wie Rohstoffen reichen Region um den Kaukasus und das Kaspische Meer ist die Einigung eine der wenigen Erfolgsmeldungen. Der Krieg zwischen Georgien und Russland im Sommer vergangenen Jahres war der Türkei wie ein Schreck in die Glieder gefahren. Er zeigte, dass Georgien als einzige Landverbindung in den Kaukasus ein unsicherer Partner ist.
Natürliche Partner
Für die Türkei, die unter der Führung des islamisch-konservativen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan ihre Rolle als Drehkreuz für die Energieversorgung und Handelsströme ausbauen will, könnte Armenien mit seiner Lage im Osten natürlicher Partner sein. Wenn nur nicht die unglückliche Geschichte und der Streit um das zu Aserbaidschan gehörende Berg-Karabach im Wege stünden. Mit dem Konflikt um die Massaker an Armeniern im Osmanischen Reich und die Zahl der Toten sollen sich nun Historiker befassen.
Schwierig ist trotz internationaler Vermittlung der Streit um Berg-Karabach beizulegen. Die Weltgemeinschaft hat aserbaidschanische Ansprüche auf das vor allem von Armeniern bewohnte Gebiet anerkannt. Für den Stillstand in den Verhandlungen machen Diplomaten auch die aserbaidschanische Führung mitverantwortlich: Ihrem Präsidenten Ilcham Alijew, der über eine an Öl und Gas reiche Republik herrscht, wird vorgeworfen, er instrumentalisiere den Konflikt innenpolitisch.
Mit der Unterschrift unter die Protokolle hat die Türkei am Wochenende klargemacht, dass der Karabach-Streit Ankara nicht am Ausbau internationaler Beziehungen hindern wird. Für Aserbaidschan könnte er im besten Fall zum Weckruf werden, der das Land zu mehr Verhandlungsbereitschaft zwingt.
Armenien zeigt sich erleichtert, dass die geplante Rede der Türkei abgewendet wurde. „Man sollte jetzt aus den Protokollen nur das lesen und interpretieren, was auf dem Papier steht. Das sind rechtlich bindende Dokumente, die eine Abfolge von Schritten festlegen und Zeitvorgaben machen“, so der Vizechef der armenischen Präsidialverwaltung, Wigen Sarkissjan, im Staatsfernsehen in Eriwan.