Die Hoffnung, die der Erzbischof von Turin kürzlich äußerte, wird möglicherweise enttäuscht werden müssen. Die Ausstellung, sagte Kardinal Severino Poletto, „soll ein spirituelles und religiöses Ereignis und nicht touristisch und kommerziell sein“. Angesichts von 1,8 Millionen Besuchern, die in Turin in den kommenden 44 Tagen zur Ausstellung des frisch restaurierten Turiner Grabtuchs erwartet werden, ist dieser Plan zumindest in Gefahr. Die Pilger kommen zum Großteil aus Italien. 11 000 Kartenreservierungen gibt es auch aus Deutschland.
Erstmals seit zehn Jahren wird von diesem Samstag an eine der bedeutendsten und umstrittensten katholischen Reliquien öffentlich ausgestellt, entsprechend groß ist der Andrang. Nur neunmal wurde das Turiner Grabtuch bisher der Öffentlichkeit gezeigt, erstmals im Jahr 1898. In Turin sind deshalb seit Wochen die meisten Hotels belegt, Hunderte Busse werden sich von heute an ins Zentrum der Hauptstadt des Piemont schieben und neugierige Pilger vor der Kathedrale ausspucken.
In einer Panzervitrine verwahrt
Im Inneren ist das über viereinhalb Meter breite und 1,10 Meter hohe Leinentuch, in dem angeblich Jesus Christus nach seiner Abnahme vom Kreuz eingewickelt wurde, in einer speziell angefertigten Panzervitrine ausgestellt. Seit 1435 ist es im Besitz des Königshauses Savoyen, das die Reliquie seit 1578 in Turin aufbewahren ließ. Als 1983 Umberto von Savoyen starb, ging das Grabtuch in das Eigentum des Heiligen Stuhls über, sein Wächter ist seither der Erzbischof von Turin.
Er bitte die Pilger, keine Fotos oder Filme zu machen“, sagte Kardinal Severino Poletto in einer Pressekonferenz. Schließlich handele es sich um ein religiöses Objekt. Drei bis fünf Minuten könne jeder Besucher im Gebet vor der Ikone verweilen, rechnen die Veranstalter der Diözese.
Spiegel des Evangeliums
Am 2. Mai wird auch Papst Benedikt XVI. nach Turin zu Besuch kommen, um das in Italien „Sindone“ genannte Leichentuch zu bewundern. Bereits Ratzingers Vorgänger Johannes Paul II. bezeichnete den Stoff als „Spiegel des Evangeliums“.
Für die katholische Kirche ist das Turiner Grabtuch ein Beweis dafür, dass Christus wirklich existiert und seine Leidensgeschichte sich so zugetragen hat, wie von den Evangelisten geschildert. Offiziell hat die Kirche aber nie zur Originalität des Grabtuches Stellung genommen.
Auf dem Tuch und noch besser auf Fotonegativen sind die Abdrücke eines Männerkörpers zu sehen, dessen Verletzungen denen Jesu Christi gleichen. Der Mann trägt Bart, sein Kopf weist möglicherweise von Dornen verursachte Verletzungen auf, außerdem sind seine Hände und Füße verwundet. Forscher wollen Blutspuren in der Nähe des Herzens entdeckt haben, außerdem Wunden an den Knien und Spuren der Geißelung am Rücken. Pünktlich zum Ausstellungsbeginn ist nun wieder der Streit um die Originalität des Grabtuchs entfacht.
Die Restauratorin Mechtild Flury Lemberg behauptete vor wenigen Tagen, das Leinen müsse aus dem ersten Jahrhundert nach Christus stammen, eine These, die von vielen Wissenschaftlern bestritten wird. Auch der Leiter des Internationalen Zentrums für Sindologie, Bruno Barberris, pflichtete ihr bei und bezeichnete das Turiner Grabtuch als „Abbild“ der Leiden Jesu.
1988 hatten Forscher aus Oxford, Tucson und Zürich das Tuch mittels einer Radiokarbonanalyse in den Zeitraum zwischen 1260 und 1390 datiert und danach als mittelalterliche Fälschung bezeichnet. Immer wieder war seine Echtheit mit aufwendigen Methoden, etwa aus der Raumfahrttechnik, überprüft worden, ohne dass heute ein gesichertes Ergebnis vorliegt.
Zuvor hatten bereits Wissenschaftler einen Coup gelandet, als sie auf den Augen des Gesichts die Abdrücke von Kupfermünzen aus dem Jerusalem des 1. Jahrhunderts erkannten. Ein Schweizer Kriminologe überraschte außerdem mit dem Fund von Pflanzen-Pollen auf dem Leinen, die es ausschließlich in Palästina gegeben haben soll und die im Lauf des 1. Jahrhunderts ausgestorben waren.
Jesus oder Leonardo da Vinci?
Immer wieder wurden auch noch waghalsigere Thesen vertreten. Etwa, der Gesichtsabdruck sei nicht der von Jesus Christus, sondern der von Leonardo da Vinci, wie die amerikanische Grafikerin Lilian Schwarts behauptet. Jetzt wurde bekannt, dass sogar Adolf Hitler hinter dem Turiner Grabtuch her gewesen sein soll. Dank der Vorsicht eines Benediktiner-Abtes wurde das Tuch während der deutschen Besatzungszeit in Italien in der Abtei Montevergine in Kampanien vor den Nazis versteckt, berichtete Pater Andrea D. Cardin.