Am Ende wirkt der Coole dann doch ein bisschen angefasst: Als die letzte von 2243 „TV total“-Sendungen am Mittwochabend zu Ende geht, hat Meister Raab feuchte Augen. Ansonsten halten sich die Emotionen in Grenzen. „Heute ist der Tag des Abschieds“, sagt der 49-Jährige zu Beginn der Late-Night-Show. Und: „Es hat mir immer Spaß gemacht – zumindest der erste Teil, bis die Gäste kamen.“ So viel Ironie muss sein. Gemeinsam mit Dauerpraktikant Elton schwelgt er über Filmschnipseln früherer Jahre, die die Raab-Fabrik in ihrer ganzen Vielfalt zeigen: mal witzig, häufig originell, manchmal aber auch nur platt.
Raab kalauert, ein Verdienst der fast 17 Jahre „TV total“ sei, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland von 4,1 auf 2,6 Millionen gesunken ist. Ein billiger Gag, wenn man weiß, dass nach dem im Sommer überraschend angekündigten Rückzug von Raab rund 80 Mitarbeitern der Produktionsfirma Brainpool gekündigt wurde und viele sich gegen die Entlassung juristisch wehren. Aber Empathie ist Raabs Sache nicht.
Der 49-Jährige ist ein Phänomen, ein Erfolgsmensch, der mehr als andere TV-Entertainer spaltete. Für die einen war er immer nur ein alberner Clown, der lediglich grinsen und auf Kosten Schwächerer ablästern kann, im Erwachsenen-Fernsehen eigentlich aber nichts zu suchen hat. Für die anderen war er der Prototyp des modernen Fernsehstars. Ein genialer Musiker, ein ebenso witziger wie cleverer Entertainer, der Fernsehen auch bei jungen Menschen, die in der digitalen Welt groß werden, zum Thema machte.
Raabs emotionaler Abschied Wow, mit so einem emotionalen Abschied hatten wir nicht gerechnet. Hier wird TV-Geschichte geschrieben!Die komplette letzte Folge von TV total kostenlos anschauen: www.myspass.de/24964 Posted by MySpass.de on Donnerstag, 17. Dezember 2015
Homestorys oder Familienbilder mit Stefan Raab gibt es nicht, in den Tiefen des Internets höchstens Spekulationen über die Lebensgefährtin und die Töchter. Wer versucht, Privates herauszubekommen, wird gegebenenfalls juristisch verfolgt. Da kennt der gelernte Metzger nichts. Wenn es hingegen darum ging, andere bloßzustellen, war er nicht so zimperlich. Unvergessen die Preisgabe der Sächsin Regina Z. an die Lächerlichkeit. Die gute Frau hatte sich in einer Doku-Soap über den Knallerbsenstrauch ihres Nachbarn beklagt. Die Pflanze habe ihren Maschendrahtzaun beschädigt. Raab zog Regina Z. wochenlang durch den Kakao, Höhepunkt war der Country-Musik-Knüller „Maschen-Draht-Zaun“.
Raabs Qualitäten, das sind Witz und Kreativität auf der einen, das ist sein unbändiger Ehrgeiz auf der anderen Seite. Eigenschaften, die in der Samstagabend-Show „Schlag den Raab“ kulminierten. Dort trat ein vom Publikum ausgewählter Kandidat gegen den Moderator in einem mehrstündigen Wettkampf um mindestens eine halbe Million Euro an. Gefragt waren sportliche Leistung, Allgemeinwissen und Geschicklichkeit. Der Moderator wollte immer gewinnen und er gewann – meistens. Unglaublich, wie der 49-Jährige, optisch nicht gerade Vorzeigesportler, sich reinkniete, wie er schwitzte, hechelte, auch verbal wütete. Stefan Raab lebte das Kind im Manne. Er schonte sich nicht, selbst ein Jochbeinbruch live in der Sendung konnte ihn nicht aufhalten. Davon lebte die Show. Dieser Raab war Kult, er bescherte ProSieben unter den 14- bis 49-Jährigen, den werberelevanten Zuschauern, regelmäßig hohe Marktanteile. Bis heute hat der Sender das Konzept in 18 Länder verkauft.

Angefangen hat Raabs ProSieben-Karriere mit „TV total“. Das Late-Night-Format gab es seit 1999. Viermal die Woche war zuletzt Aufzeichnung in Köln. Routiniert riss der 49-Jährige die Show herunter, mal mehr, mal weniger in Form. Dabei war (und ist) er ein glänzender Geschäftsmann. Aus „TV total“ heraus entwickelte er eine ganze Reihe an Spezial-Events, bei denen sich erneut sportlicher Ehrgeiz und die Lust am Blödsinn auf geniale Weise paarten. Den Anfang machte 2003, inspiriert durch eine Wette bei „Wetten, das..?“, die „Wok-WM“, bei der erwachsene Promis in chinesischen Pfannen durch den Eiskanal rauschten. Immer vorne mit dabei: der Matador selbst. Ähnlich lief es beim „TV total-Turmspringen“ oder der „Stock Car Crash Challenge“. Shows und Werbeplattformen gleichermaßen – allen voran für die Marke Stefan Raab.
Seine besondere Leidenschaft gilt der Musik. Und weil auch die im Wettbewerb am schönsten ist, widmete sich Raab mit Verve dem Eurovision Song Contest (ESC). Es ist sein Verdienst, dass sich die Deutschen wieder für den lange so spießig-verstaubten „Grand Prix d'Eurovision“ begeistern konnten. Den Titel „Wadde hadde dudde da“, den er selbst 2000 im Glitzer-Overall auf die Bühne schmetterte, halten viele für das Beste, was beim ESC je zu hören war. Für Raab indes war der fünfte Platz, den er damals in Stockholm belegte, noch lange nicht genug.
Es sollte noch zehn Jahre dauern, bis die ESC-Verantwortlichen bei der ARD ihn als Retter des Wettbewerbs anheuerten. Unter Raabs Regie wurde 2010 Lena Meyer-Landrut entdeckt. Der Rest ist Geschichte. 28 Jahre nach Nicole und „Ein bisschen Frieden“ ging der Titel in Oslo wieder nach Deutschland. Rückblickend fast unvorstellbar: Am Tag danach übertrug die ARD die Ankunft von Lena und Stefan Raab live vom Flughafen Hannover. Empfangen wurde das neue Traumpaar der Unterhaltung am roten Teppich vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff.

Raab wollte noch mehr. Junge Menschen, seine Zuschauer, für Politik zu gewinnen, das reizte ihn. Nach ersten Gehversuchen unter anderem mit der Sendung „Absolute Mehrheit“ wurde er 2013 von seinem Sender zum Co-Moderator des Fernsehduells zwischen Kanzlerin Angela Merkel und ihrem Herausforderer Peer Steinbrück auserkoren. Ein Showman als politischer Journalist: Ob das gut gehen kann? Im politischen Berlin zerriss man sich wochenlang die Mäuler. Um am Morgen nach dem 1. September begeistert zu sein. Wenn einer Leben in das Duell gebracht habe, dann war es Raab, waren sich die Experten einig. Einfach erfrischend, wie er Merkel vorrechnete, dass Deutschland bei einer Milliarde Euro Staatsschulden-Tilgung pro Monat „bereits 2184“ schuldenfrei werde. Unvergessen, wie er Steinbrück bloßstellte, weil dieser nur regieren wolle, wenn er auch „King of Kotelett“ werde. Politischer Journalismus brauche mehr mutige, auch mal freche Reporter, die bereit sind, eingefahrene Rituale über Bord zu werfen, hieß es in einem Kommentar.
Ein Hinweis auf eine neue, die zweite TV-Karriere des Stefan Raab? Es kommt nicht ganz von ungefähr, dass einzelne Medien nach seinem im Juni angekündigten Rückzug von ProSieben schon über ein Comeback im öffentlich-rechtlichen Fernsehen spekulieren. Der 49-Jährige hat sich zu seiner Zukunft jedoch noch nirgendwo geäußert. Zuzutrauen ist ihm allerdings auch, dass er sich wirklich ganz aus dem Rampenlicht zurückzieht. Kulenkampff, Elstner, Gottschalk, Schmitt: Die Liste an Showstars, bei denen das mit dem Rücktritt nicht geklappt hat und die bei ihren Comebacks nie mehr so ganz überzeugen konnten, ist lang – und für Raab ganz bestimmt eine Mahnung.
Einer indes geht noch. Nach der letzten „TV total“-Folge steht der 49-Jährige an diesem Samstag zum 55. und letzten Mal bei „Schlag den Raab“ live auf der TV-Bühne. Der Meister wird sich noch einmal reinknien. Er wird kämpfen, grübeln, schwitzen und schreien. Und am Ende auch ein wenig weinen.
Die Karriere des Stefan Raab
Als Sohn eines Metzgermeisters wird Stefan Raab am 20. Oktober 1966 in Köln geboren. Nach dem Abitur am Aloisius-Kolleg in Bonn und dem Wehrdienst studiert er fünf Semester Jura. Gleichzeitig absolviert er eine Metzgerlehre im Geschäft seiner Eltern. Über sein Privatleben ist wenig bekannt. Laut Medienberichten hat Raab mit seiner Lebensgefährtin zwei Töchter.
Ins Unterhaltungsgeschäft steigt Raab 1990 ein. Er produziert Jingles für die Werbung („Blend-a-med“, „Burger King“) und für das Fernsehen („ARD-Morgenmagazin“, „Bärbel Schäfer“). Ebenfalls 1990 erscheint das erste Album „Best of Schäng and the Gäng“, an dem auch sein Schulfreund, der Jazz-Trompeter Till Brönner, mitwirkt.
Mit der Moderation der Sendung „Vivavision“ im Musikkanal Viva beginnt im Dezember 1993 Raabs TV-Karriere. Während der Fußball-WM 1994 schafft er es mit dem Rap-Song „Böörti Böörti Vogts“ in die Hitparade. 1995 folgt mit Jürgen Drews eine Coverversion von „Ein Bett im Kornfeld“. 1996 gibt es die erste goldene Schallplatte für das Album „Hier kommt die Maus“.

Im März 1999 startet auf ProSieben die Late-Night-Show „TV total“, die zunächst einmal wöchentlich, seit Frühjahr 2001 viermal die Woche läuft. Aus der Sendung heraus entstehen mehrere Musikprojekte, so der Song „Maschen-Draht-Zaun“. Mit der Wok-WM startet Raab im November 2003 eine Reihe zusätzlicher Show-Events. Das sind unter anderem das „TV total Turmspringen“, die „Stock Car Crash Challenge“, die Autoball-Europameisterschaft, Box- und Pokernächte. 2006 feiert ebenfalls auf ProSieben die Samstagabendshow „Schlag den Raab“ Premiere, in der ein Zuschauer zum Wettkampf gegen den Moderator antritt.
Raabs besondere Liebe gilt der Musik, allen voran dem „Eurovision Song Contest“ (ESC). 1998 beteiligt er sich erstmals als Autor und Produzent „Alf Igel“ mit dem Song „Guildo hat Euch lieb“ am Wettbewerb. Sänger Guildo Horn kommt auf Rang sieben. 2000 geht Stefan Raab selbst ins Rennen. Mit „Wadde hadde dudde da“ belegt er Platz fünf. Max Mutzke, ebenfalls eine Raab-Entdeckung, kommt 2004 mit „Until tonight“ auf den achten Rang. Höhepunkt der Raab'schen ESC-Karriere ist 2010 der Sieg in Oslo von Lena Meyer-Landrut.
Mit „Satellite“ gewinnt Deutschland erstmals nach 28 Jahren wieder den Wettbewerb. Ein Jahr später moderiert Raab beim ESC in Düsseldorf selbst mit. Schützling Lena belegt beim Abenteuer Titelverteidigung Platz zehn mit „Taken by a stranger“.
2005 und 2009 moderiert Raab erstmals Politikerrunden zur Bundestagswahl. Ende 2012 startet die Politik-Show „Absolute Mehrheit“. 2013 ist er einer von vier Moderatoren beim TV-Duell der Kanzlerkandidaten Angela Merkel (CDU/CSU) und Peer Steinbrück (SPD).