(lado/dpa/afp) Das Gebäude neben der S-Bahn-Station ist ein trister grauer Klotz mit vier langen Fensterreihen und einer Baustelle davor. Es ist das Zentrum für Erwachsenenbildung im Kopenhagener Vorort Hvidovre, hier ging der mutmaßliche Attentäter von Kopenhagen, der 22-jährige Omar Abdel Hamid El-Hussein, zuletzt auf die Schule. Er hat dort auf seine Hochschulreife hingearbeitet, seine Chancen, sie zu erlangen, waren gut. Der Rektor der Schule sagt: „Er war ein sehr fleißiger und begabter Schüler.“
Und einer, der in der Not half. Eine ehemalige Klassenkameradin erzählt, wie El-Hussein zur Hilfe eilte, als sie im Herbst 2013 von einem Auto angefahren wurde. Aber nur ein paar Tage später stach er in einer S-Bahn mit einem Messer auf einen Jugendlichen ein. Die junge Frau erinnert sich, wie sie sich in ihm täuschte: „Er hatte gute Noten in der Schule, er hatte Freunde und war ein guter Klassenkamerad. Zuerst dachte ich, dass er ein guter Mensch mit einem guten Herzen ist, weil er mir geholfen hatte.“ Doch dann tauchte El-Hussein in den Nachrichten auf: „Dann hörte ich, dass er jemanden verletzt hatte – und jetzt der Anschlag. Es ist unglaublich.“
Auch wenn El-Hussein viele angenehme Eigenschaften hatte, seine dunkle Seiten kamen schon früher zum Vorschein. So erinnert sich die Klassenkameradin: „Manchmal benahm er sich recht aggressiv.“ Ein junger Mann aus El-Husseins Schule sagt, er habe von einer Minute auf die andere völlig aus der Haut fahren können, wenn der Konflikt zwischen Israel und Palästina zum Gesprächsthema wurde. Nach dänischen Medienberichten sind El-Husseins palästinensische Eltern aus dem Nahen Osten geflohen, er selbst wurde jedoch in Dänemark geboren. Aus seinem Judenhass machte er keinen Hehl. Und der Polizei ist er mehrmals aufgefallen. Nach Polizeiangaben hatte der mutmaßliche Attentäter schon mehrere Gewaltdelikte verübt und Waffen besessen. Ein Mitschüler erzählt, wie er mit der Zeit auch immer mehr Cannabis rauchte.
Radikalisierung im Gefängnis
Ein junger Kleinkrimineller, der vielleicht ein Drogenproblem hat und Juden hasst, ist aber nicht automatisch ein Attentäter. Der entscheidende Schritt zu seiner Radikalisierung war der etwa einjährige Gefängnisaufenthalt nach der Messerstecherei. Danach sei er ein anderer Mensch gewesen, erzählen Freunde. Im Gefängnis soll er den Wunsch geäußert haben, sich der Terrormiliz Islamischer Staat anzuschließen und in Syrien zu kämpfen. Das will die dänische Zeitung „Berlingske“ erfahren haben.
Sorglose Polizei?
Seine Radikalisierung fiel dem Gefängnispersonal auf, das auch den dänischen Inlandsnachrichtendienst PET darauf hinwies. Allerdings stufte PET El-Hussein nicht als sehr gefährlich ein. PET erklärte, nach dem Hinweis aus dem Gefängnis „gab es keinen Grund zu glauben, dass der nun verstorbene 22-Jährige Angriffe geplant hatte“. Die Opposition im dänischen Parlament will nun untersuchen, ob PET zu lax gehandelt habe. Auch das vermeintliche Ziel der Schüsse im Café, der schwedische Karikaturist Lars Vilks, hat der dänischen Polizei Sorglosigkeit vorgeworfen. „Es gab nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo eine erhöhte Gefährdungslage, die Dänen haben dies aber nicht berücksichtigt“, sagte er am Dienstag.
Inzwischen hat die Polizei zwei junge Männer festgenommen, die El-Hussein geholfen haben könnten. Sie sollen ihm ein Versteck beschafft und geholfen haben, die Waffe, die vor sechs Jahren aus einem Armee-Depot gestohlen wurde, zu entsorgen. Außerdem durchstreiften in der Nacht zum Dienstag Polizisten die Wohnanlage, in der El-Hussein wohnte. Die Polizei teilte mit, dass den Beamten ein junger Mann in Tarnkleidung entkommen sei. „Wir suchen nun danach, was er weggeworfen haben könnte, als er vor uns weggelaufen ist“, sagte ein Sprecher. Mehrere Kellerräume seien mit Hunden durchsucht worden. Dass die nächtliche Aktion mit den Terroranschlägen zusammenhänge, bestätigte er nicht.
Dass Wachsamkeit wohl angebracht ist, zeigte eine Episode am Ort, wo El-Hussein starb. Bürger hatten dort, wie an den beiden Tatorten Blumen niedergelegt. Am Abend kamen vier vermummte junge Männer und räumten die Blumen weg, da es nicht dem Islam entspreche, Blumen für Tote niederzulegen. „Das war ein guter Mann“, sagte einer der Männer über den mutmaßlichen Täter. „Das war kein Terrorist. Die Terroristen sind Dänemark, die USA und Israel.“