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Vom Neonazi zum Aufklärer

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Vom Neonazi zum Aufklärer

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    Manuel Bauer: Der 34-Jährige gehört zu dem Aussteigern aus der Neonazi-Szene. Heute bemüht er sich um Aufklärung über die Gefahr von Rechts.
    Manuel Bauer: Der 34-Jährige gehört zu dem Aussteigern aus der Neonazi-Szene. Heute bemüht er sich um Aufklärung über die Gefahr von Rechts. Foto: Foto: dpa

    Kann man Manuel Bauer über den Weg trauen? Kann sich ein Mensch, der nichts dabei fand, andere Menschen krankenhausreif zu prügeln, der Frauen, Kindern und Behinderten und fast allen in der eigenen Familie Gewalt angetan hat, so radikal ändern? Einer, der einen alten Mann entführt, zusammenschlägt und erpresst, kann der plötzlich ein braver Bürger sein? Ein radikaler Neonazi, der eine paramilitärische Gruppe im Untergrund gründete – kann der seine Gesinnung einfach so ablegen wie ein schmutziges T-Shirt?

    Manuel Bauer hat all dies getan. Mit 13 Jahren ließ er sich vom Anführer der Nazi-Bande an seiner Schule im sächsischen Dommitzsch den Kopf rasieren. Kurze Zeit später bekam er von seinen „Kameraden“ das erste Paar Springerstiefel. Damit war sein Weg vorgezeichnet, der ihn tief in die rechte Szene führte. Erst als er ganz weit unten war, weder Schulabschluss noch Berufsausbildung hatte, dafür aber einen Antrittstermin zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft, setzte ein langsames Umdenken bei ihm ein. Mit der Hilfe von EXIT-Deutschland, einer Organisation, die Aussteiger aus der rechten Szene berät und unterstützt, schaffte er in einem jahrelangen Prozess den Absprung.

    Heute lebt der 34-Jährige an einem geheim gehaltenen Ort in Süddeutschland und klärt als Referent in Schulen darüber auf, mit welchen Strategien die rechte Szene auf Nachwuchswerbung geht. Außerdem hat Bauer ein Buch geschrieben, das er den Menschen widmete, die er zu Opfern machte.

    Frage: Sie waren über Jahre tief verankert in der rechten Szene. Warum sind Sie eines Tages dennoch ausgestiegen?

    Manuel Bauer: Zu Beginn war das für mich nur Mittel zum Zweck. Ich wurde für die Entführung und Erpressung eines homosexuellen Geschäftsmanns zu zwei Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Im Gefängnis habe ich den Schulabschluss nachgemacht und eine Maurerausbildung begonnen. Trotzdem konnte ich nicht von der rechten Szene lassen. In meinem Ausbildungsbetrieb habe ich ein Flugblatt mit Hakenkreuzen kopiert, aber in der Eile das Original im Gerät vergessen. Da war natürlich mein Status als Freigänger in Gefahr. Zu diesem Zeitpunkt habe ich von einem Justizbeamten ein Flugblatt von EXIT-Deutschland in die Hand gedrückt bekommen. Und da dachte ich, das versuche ich, als Mittel zum Zweck, um guten Willen zu zeigen. Auch wenn ich damals sofort dachte, das sind garantiert Leute vom Staatsschutz, die mich aushorchen wollen.

    Warum ging das dann doch weiter?

    Bauer: Ich denke, ein ganz entscheidender Punkt war, dass niemand mich für das verurteilt hat, was ich war, für das, was ich getan hatte, und dafür, dass ich im Gefängnis saß. Niemand wollte von mir, dass ich Namen nenne von damaligen Kameraden oder anderen Straftätern.

    Sie waren sehr jung, als Sie in die Szene gerieten. Haben Ihre Eltern von dieser Entwicklung nichts gemerkt?

    Bauer: Klar, meine Eltern haben das schon gemerkt, es gab deswegen immer wieder Streit. Sie kannten ja auch viele meiner Freunde und deren Eltern. In deren Umfeld, damals kurz nach der Wende, hieß es über uns noch öfter „nun lasst sie doch“ oder „bei den Pionieren mussten die lange genug den Mund halten“. Als ich dann mit der Glatze ankam – von da an wurde es immer schlimmer. Dabei hatte ich eine schöne Kindheit, auch der Kontakt zu meinen Eltern war vorher gut. Über alles wurde in der Familie geredet, aber das ging mir erst recht auf den Keks. Ich war immer seltener zu Hause, bin seltener in die Schule gegangen und am Ende wurde ich von meinem Stiefvater rausgeworfen. Mehrmals.

    Also hatten die Eltern nichts falsch gemacht?

    Bauer: Nein, die hätten wenig anders machen können. Sie haben mir den Kontakt zu Freunden ja verboten, aber ich habe nicht auf sie gehört. Meine Eltern hatten durch die wirtschaftliche Schieflage, in die sie nach der Wende gerieten, selbst viele Probleme. Trotzdem hat gerade meine Mutter immer wieder versucht, mit mir zu reden. Sie ist aber nicht zu mir durchgekommen.

    Was sollten Eltern denn tun, wenn sie merken, dass sich ihr Kind in Richtung rechte Szene entwickelt?

    Bauer: Interesse zeigen für das, was ihre Kinder tun. Das Gespräch mit ihnen suchen und sich auch die Freunde ihrer Kinder ansehen, sich in der Schule umhören. Aber auch mal schauen, was für Musik ihre Kinder hören. Wenn sie sich unschlüssig sind, gibt es Beratungsstellen, an die sie sich wenden können.

    Dieses Misstrauen, mit dem Sie zu Beginn auch Ihrem Ausstiegshelfer begegnet sind, ist das typisch für die Szene?

    Bauer: Man spürt auf jeden Fall immer ein grundsätzliches Misstrauen. Wenn wir irgendwo eine Aktion hatten und da kam zufällig die Polizei, dann gab es garantiert einen, der sagte: „Wir haben einen V-Mann hier.“ Es gibt sogar Schulungen innerhalb der Szene, bei denen man lernt, wie man sich zu verhalten hat bei Anwerbeversuchen durch den Verfassungsschutz.

    Wie effektiv ist dann das V-Mann-Wesen überhaupt noch?

    Bauer: Das wird ausgenutzt. Wenn jemand angesprochen wird und sich anwerben lässt, wird festgelegt, was der den Behörden erzählt. Da werden dann Treffen verraten, auf denen nichts Verbotenes geschieht, dafür bekommt der Spitzel dann Geld, das er der Bewegung spendet. Ich bin der Meinung, dass V-Männer viel kritischer betrachtet werden müssen. Ich bin für ein Verbot von V-Männern. Man hat ja Aussteiger, die können viel mehr erzählen.

    Zum Beispiel auch über die Mitglieder des NSU?

    Bauer: Ich kannte sie nicht. Vielleicht ist man sich mal unbewusst über den Weg gelaufen bei einer Demo oder einer Veranstaltung, aber ich hatte keine Ahnung vom NSU. Aber ich bin sicher, dass politische Strömungen aus dem rechten Spektrum wissen, dass es terroristische und militante Aktivitäten gibt, gab und geben wird.

    Meinen Sie die NPD?

    Bauer: Ich will das jetzt nicht benennen. Hätte ich Beweise, würde ich ganz anders an die Sache rangehen.

    An der V-Mann-Problematik ist das letzte Verbotsverfahren gegen die NPD gescheitert. Wie eng ist denn die Verbindung zwischen der Partei und der militanten Szene Ihrer Ansicht?

    Bauer: Es gibt definitiv Verbindungen. Das ist quasi wie eine Schulhofszene, da ist dann der Bruder eines militanten Kameraden bei der Partei tätig. Deswegen bin ich auch für ein Verbot der NPD. Natürlich lässt sich niemand was verbieten, wenn er Ideale und Ziele verfolgt und die NPD würde sich unter anderem Namen neu formieren. Aber die NPD würde dann nicht mehr mit öffentlichen Geldern finanziert und vor allem dürfte sie nicht mehr mit Infoständen in aller Öffentlichkeit werben und die Leute ansprechen.

    Nach Ihrem Ausstieg haben Sie Morddrohungen erhalten. Haben Sie Angst?

    Bauer: Ich habe Angst. Ich versuche das auch vor mir selbst immer zu verschleiern. Aber ab und zu, wenn ich abends allein in der Wohnung bin und aus dem Fenster schaue, läuft so ein Kopfkino bei mir an: Was passiert, wenn plötzlich die Tür aufgetreten wird und sich ein paar Schläger an meiner Frau vergreifen, mich angehen. Ich habe immer einen Schlagstock griffbereit in meiner Wohnung. Aber die wollen natürlich, dass ich Angst habe, dass ich meine Öffentlichkeitsarbeit einstelle. Aber das mache ich nicht, das wäre ein Sieg der rechten Szene.

    Manuel Bauer: Unter Staatsfeinden. Riva Verlag, 192 Seiten, 17,99 Euro.

    Rechtes Deutschland

    182 mutmaßliche Straftäter aus der rechten Szene sind derzeit untergetaucht und werden mit Strafbefehl gesucht (Stand Februar 2013). Das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz hat den Angaben zufolge in seiner Datenbank 91 der 266 Gesuchten als Rechtsextremisten gespeichert. 28 dieser 91 gelten demnach als „grundsätzlich gewalttätig“. Im ersten Halbjahr 2012 wurden in Bayern 23 rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten registriert. Dabei handelt es sich überwiegend um Körperverletzungsdelikte. Ende 2011 gab es in Deutschland 225 (2010: 219) rechtsextremistische Organisationen und Personenzusammenschlüsse. Die Zahl ihrer Mitglieder sowie der nicht organisierten Rechtsextremisten liegt bei insgesamt 22 400 Personen. Davon gelten 9800 als gewaltbereit. Laut Statistik des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist die absolute Zahl der Rechtsextremen seit 2009 um 4200 Personen gesunken, die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremen ist um 300 gestiegen. Todesopfer rechter Gewalt in Bayern von 1990-2011: Amberg 1, Bad Reichenhall 4, Kolbermoor 1, Memmingen 1, München 2, Nürnberg 3, Plattling 1. Das „klassische Skinhead-Outfit“ gilt als veraltet und spielt – zumindest bei einem Teil der Szeneangehörigen – nur noch bei szeneinternen Veranstaltungen eine Rolle. Ein Großteil der Szeneangehörigen verzichtet auf dieses Outfit, weil es ein eindeutiges Erkennungsmerkmal für den politischen Gegner bietet und auch gesellschaftliche Stigmatisierung nach sich zieht. Inzwischen werden Kleidungsstücke oder Marken bevorzugt, die sich an allgemeinen Trends der Jugendmode orientieren und die Zugehörigkeit zur Szene nicht durch entsprechende Schriftzüge oder Symbole offen signalisieren. Jeder fünfte Bundesbürger glaubt, dass Deutschland anderen Völkern überlegen ist. Dabei stimmen mehr Alte als Junge zu, mehr Arbeitslose als Menschen mit Studium und mehr Bürger im Westen als im Osten. Jeder Zehnte in Deutschland findet, dass „der Nationalsozialismus auch seine guten Seiten hatte“. „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken.“ 31,7 Prozent der Deutschen stimmen dem ganz oder überwiegend zu. „Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert“: Circa 13 Prozent der Bundesbürger stimmen dieser Aussage voll oder überwiegend zu. Text: AA Quellen: Friedrich-Ebert-Stiftung, Antisemitismusbericht der Bundesregierung 2011, Le Monde diplomatique, AFP, Bayer. Landeszentrale für politische Bildung, Bayer. Landesamt für Verfassungsschutz

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