Ich weiß nicht, ob ich noch einmal wählen werde“, sagt Pia Rosner. „Wenn eine Wahl geschlagen ist, soll's geschlagen sein.“ Die Frau bereitet gerade alles für den Gottesdienst vor, der das Feuerwehrfest in Hochart bei Pinkafeld eröffnet. Langsam trudeln die Besucher ein. Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr tragen braune Uniformen, die Stadtkapelle blaue Jacken und schwarze Hosen. Die Stimmung ist festlich, etwas müde vielleicht an diesem trüben Morgen im Burgenland.
Hier in Pinkafeld, das seit 1920 zu Österreich gehört und davor ein paar Jahrhunderte lang ungarisch war, ist Norbert Hofer zu Hause. Jener Hofer, der am Freitag eine zweite Chance bekommen hat, Bundespräsident zu werden. Seine Partei, die rechtspopulistische FPÖ, hatte die Stichwahl angefochten und der Österreichische Verfassungsgerichtshof der Klage stattgegeben. Vermutlich Anfang Oktober wird die Stichwahl zwischen dem Grünen Alexander Van der Bellen und dem Blauen Norbert Hofer wiederholt.
Noch lässt sich nicht sagen, ob Hofer es im zweiten Anlauf schaffen wird. „Die Wahlbeteiligung wird sehr niedrig sein“, glaubt Ewald Schuh, der Ortsvorsteher von Hochart, das mit seinen 403 Einwohnern zu Pinkafeld gehört. Mancher Wahlbeobachter sieht das anders, aber Schuh nimmt für sich in Anspruch, Hofer gut zu kennen. Dessen Vater sei sein Chef beim Strom- und Gasanbieter Energie Burgenland gewesen. „Norbert Hofer kam damals als Praktikant zu mir. Charakterlich lässt sich nichts gegen ihn sagen“, sagt Schuh. Ein Sozialdemokrat übrigens, wie die meisten hier in Pinkafeld.
Diejenigen, die hier FPÖ wählen und sich als Freiheitliche verstehen, möchten das meist nicht offen zugeben. Erich beispielsweise – blond, Mitte vierzig, mit einer feschen Frau an seiner Seite – möchte nur seinen Vornamen nennen. „Es ist gut, dass wir neu wählen“, sagt er. „Vielleicht hat wirklich was nicht gepasst.“ Jetzt nach dem Gottesdienst werden die Einheimischen stundenlang beim Bier zusammensitzen und der Musik der Stadtkapelle und den matten Witzen des Conférenciers zuhören. Erich jedenfalls hat eine Verschwörungstheorie parat: „Die Roten und Schwarzen in Wien werden die Wahl so lange hinauszögern, bis Hofer doch nicht mehr gewinnt“, sagt er. „Die wollen keinen blauen Präsidenten.“
Sowohl die Grünen als auch die FPÖ scheuen sich vor einem langen Wahlkampf, schließlich ist das Geld für Plakate und Veranstaltungen längst ausgegeben worden. Grünen-Chefin Eva Glawischnig wirbt schon um Spenden für den Wahlkampf Van der Bellens. Es deutet sich an, dass dieser neuerliche Wahlkampf vielleicht noch schmutziger werden wird als der vorherige. Van der Bellen hat mehreren Sonntagszeitungen ein erstaunliches Interview gegeben, in dem er sich Gerüchten entgegenstellt, er sei dement oder körperlich schwer krank. „Da kursieren allerlei Bösartigkeiten. Zum Beispiel, ich sei krebskrank, läge im Sterben oder habe nur einen Lungenflügel“, sagt er. Das sei „erstunken und erlogen“ und erscheine „vornehmlich in einschlägigen rechtsextremen Online-Netzwerken“. Doch auch in bürgerlichen Wiener Kreisen wird bei Kaffee und Kuchen darüber sinniert, dass die Gerüchte über Van der Bellens angeschlagene Gesundheit angesichts seines hohen Zigarettenkonsums sehr wohl zutreffen könnten. Daran zeigt sich, wie leicht das „Dirty Campaigning“, der schmutzige Wahlkampf, seine Spuren hinterlässt. Dass mit dem Namen des Wirtschaftsprofessors auf billige Weise Scherze gemacht werden, gerade auf rechten Webseiten, kommt noch hinzu. „Wuff, wuff“ oder „Wau, Wau – Van der Bellen“, heißt es dort gerne.
Beim Feuerwehrfest in Pinkafeld sind derartige Gerüchte kein Thema. Hier hat die SPÖ 15 Mandate im Gemeinderat, neun die Volkspartei ÖVP – und nur eines die Partei Norbert Hofers, die FPÖ. Bei der Bundespräsidentenwahl allerdings haben 73 Prozent der Wähler für Norbert Hofer gestimmt. Ortsvorsteher Schuh folgert daraus: „Man kann die FPÖ nicht ausgrenzen. Das sind keine Nazis.“
Sein SPÖ-Landeschef sieht das übrigens genauso. Hans Niessl ist im Burgenland eine Koalition mit den Freiheitlichen eingegangen, nachdem er bei der Landtagswahl 2015 von 48 Prozent auf 42 Prozent abgerutscht war. Niessl habe eine ÖVP/FPÖ-Koalition verhindern müssen, die ihn das Amt gekostet hätte, erzählt Kurt Maczek, der direkt gewählte Bürgermeister von Pinkafeld. Er steht vor dem Festzelt, wo gerade die selbst gebackenen Torten angeschnitten werden. Neben den Hendln und Würstln, neben Frucade und Almdudler sind die Mehlspeisen bei so einem Fest unverzichtbar. Sie bringen der Feuerwehr das Geld, das in die Reparatur der Einsatzfahrzeuge und -geräte fließt.
Maczek, der gleichzeitig Landtagsabgeordneter ist, erwartet, dass der Brexit, der Ausstieg Großbritanniens aus der EU, im Wahlkampf eine große Rolle spielen wird. Hofer hat schon eine Volksabstimmung über den EU-Austritt Österreichs gefordert, falls die Union nicht innerhalb eines Jahres reformiert wird. „Im Landtag geht es mit den Freiheitlichen gut“, hat Maczek festgestellt. „Das Land ist nicht gespalten. Nicht Hofer, sondern Strache ist der Revoluzzer“ – der Chef der Freiheitlichen also.
Maczek leugnet nicht, dass das arme Burgenland von allen österreichischen Bundesländern am stärksten von der Europäischen Union profitiert. Eine Milliarde Euro sollen seit dem EU-Beitritt 1995 für die Landwirtschaft und die Infrastruktur im Burgenland geflossen sein. Es gibt kaum ein Tourismusprojekt, das ohne eine Geldspritze aus Brüssel realisiert wurde. Dennoch wächst die EU-Skepsis. „Das liegt an den vielen Flüchtlingen und der steigenden Kriminalität, von der man in der Zeitung liest“, sagt Maczek. Weil angeblich so viele Fahrräder und Rasenmäher gestohlen werden, haben sich private Sicherheitsdienste gebildet, die mancherorts durch die Straßen ziehen.
Zurzeit gibt es in keiner Gemeinde im Burgenland einen blauen Bürgermeister, in kaum einem Gemeinderat sind die Freiheitlichen vertreten, auch wenn die Partei 200 neue Mitglieder meldet. Pinkafelds Bürgermeister hat sich eine Strategie zurechtgelegt: die Sorgen der Menschen selbst in Angriff nehmen und die FPÖ in Koalitionen einbinden. Und weil er Direktor der Höheren Technischen Bundeslehranstalt ist, glaubt er auch zu wissen, was Jugendliche denken.
Miriam Wappel zum Beispiel. Sie spielt Klarinette in der Stadtkapelle und fällt schon allein mit ihrem schwarzen Hut auf dem blonden Haar auf. „Ich finde Hofers Ansichten besser“, sagt sie ganz offen. „Er will nur denjenigen helfen, die wirklich Hilfe brauchen. Ich denke an mich. Ich will später einen guten Arbeitsplatz und nicht Arbeit suchen, weil die, die zuwandern, den Arbeitsplatz haben, den ich eigentlich bekommen könnte.“
Zurzeit gibt es in Pinkafeld, einer Gemeinde mit gut 5500 Einwohnern, um die 100 Flüchtlinge. Eine junge Frau weist auf ein altes Haus hin, in dem der Eigentümer Flüchtlinge untergebracht hat. Es liegt einsam zwischen Weizenfeld und Kläranlage, weitab von jeder Möglichkeit, einzukaufen oder einen Bus zu erreichen. „Das Haus ist total überbelegt“, sagt die Frau, die anonym bleiben will, weil sie sich vor Beschimpfungen fürchtet – „wegen Nestbeschmutzung“. Vor dem Zaun türmen sich jedenfalls schwarze Müllsäcke, offenbar findet nicht einmal die Müllabfuhr hierher. Dunkelhäutige Männer stehen an den Fenstern. Am Gartentor hängt ein Schild: „Betreten des Grundstücks nur mit Erlaubnis des Eigentümers oder der Landesregierung“.
Um viele Flüchtlinge kümmert sich hier die Caritas. Die Kinder sind weitgehend integriert, sie gehen in den Kindergarten und die Volksschule. Und sie haben Kontakt zum katholischen Pfarrer Peter Okeke, der aus Nigeria stammt und seit 1983 in Österreich lebt. In Okekes Heimat terrorisiert die islamistische Terrorgruppe Boko Haram die Menschen. Im Vergleich dazu gehe es den Flüchtlingen in Österreich gut, sagt Okeke. Und doch: „Manche erzählen, dass sie aus heiterem Himmel beschimpft werden.“ Weil die Burgenländer befürchteten: „Die Moslems überfallen uns.“
Zurück beim Feuerwehrfest erzählt der örtliche SPÖ-Chef Franz Rechberger, warum Hofer ausgerechnet in dieser Gemeinde mit ihrer sozialdemokratischen Mehrheit so große Zustimmung findet. „Er wird aus Lokalpatriotismus gewählt. Und weil er manchem schon einmal am Sportplatz eine Leberkäs-Semmel bezahlt hat. Natürlich sind wir stolz darauf, wenn einer von uns Bundespräsident wird.“ Rechberger ist Berufssoldat, Oberst beim Bundesheer, und ärgert sich über die Kosten für die zweite Stichwahl – mehr als zehn Millionen Euro. „Wir wissen nicht, ob der Lokalpatriotismus so weit reicht, dass die Leute noch einmal zur Wahl gehen“, sagt er. Er selbst werde auf jeden Fall Van der Bellen wählen. Damit die Politik der Angstmache sich nicht weiter durchsetze: „Hofer hat das FPÖ-Parteiprogramm geschrieben. Er ist der Ideologe. Strache ist derjenige, der die Politik verkauft.“
Warum die Bundespräsidentenwahl wiederholt wird und wie es jetzt weitergeht
Noch nie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs musste eine Wahl in Österreich landesweit wiederholt werden. Die Bürger sind nach einem Urteil des Verfassungsgerichts vom vergangenen Freitag nochmals an die Urnen gerufen, um ihren Präsidenten zu wählen. Der von den Grünen unterstützte Alexander Van der Bellen (72) hatte die Stichwahl im Mai mit knappem Vorsprung von etwas über 30 000 Stimmen gegen den Kandidaten der rechtspopulistischen FPÖ, Norbert Hofer (45) gewonnen. Was hat das Gericht kritisiert?
Entscheidend für die Aufhebung der Stichwahl war die ungesetzmäßige Auszählung von fast 78 000 Briefwahlstimmen. In 14 Wahlbezirken wurden die Wahlkarten außerhalb einer Sitzung der Bezirkswahlbehörde geöffnet. Außerdem waren in einigen Fällen unbefugte Personen bei der Auszählung tätig. So habe es die Möglichkeit einer Manipulation gegeben, auch wenn diese nicht nachgewiesen wurde. Juristisch reicht es für eine Wahlwiederholung aus, die theoretische Möglichkeit nachzuweisen. Außerdem rügten die Richter, dass die Behörden Teilergebnisse an Medien und Forschungsinstitute vorzeitig weitergaben.
Das ist ein Vorgehen, das seit Jahrzehnten in Österreich üblich ist. Wie reagierten die Betroffenen? Norbert Hofer zeigte sich erleichtert: „Ich bin froh, dass der Verfassungsgerichtshof eine sehr schwierige Entscheidung objektiv getroffen hat.“ Das Team von Alexander Van der Bellen gab sich kurz nach der Verkündung siegessicher. Es akzeptiere die Entscheidung und stelle erneut eine „große Bürgerwahlbewegung auf die Beine“, sagte Wahlkampfmanager Lothar Lockl. Wieso hatten auch FPÖ-Beisitzer in der Wahlkommission zunächst den korrekten Ablauf festgestellt?
Sie berufen sich auf eine verbreitete Haltung unter den Beisitzern: Es wird schon alles korrekt gelaufen sein, Abweichungen im Ablauf seien immer möglich. Erst auf konkrete Nachfrage ihrer Partei seien ihnen die Rechtsverstöße wirklich bewusst geworden. Was passiert jetzt?
Die drei Präsidenten des Nationalrats übernehmen kommissarisch das Amt des Bundespräsidenten. Dazu gehört pikanterweise auch der FPÖ-Kandidat Hofer. Als möglichen Neuwahl-Termin hat Innenminister Wolfgang Sobotka den 2. Oktober ins Auge gefasst. Wie sieht der Wahlkampf aus?
Die Kassen beider Lager sind geleert. Niemand hat mit einer Wahlwiederholung gerechnet. Auch die Positionen der beiden Kandidaten sind in den vergangenen Monaten auf alle Arten abgeklopft worden. Bei den Bürgern droht Frust, nochmals einen Wahlkampf erleben zu müssen. Trotzdem kündigten die Fernsehsender an, erneut das ganze Wahlprogramm mit allen möglichen TV-Duellen fahren zu wollen. Wer profitiert mehr von einer Neuwahl?
Wenn im Herbst neu gewählt wird, stehen die Chancen gut, dass beide Kandidaten viele ihrer Anhänger erneut motivieren können. Die einen wollen den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer im zweiten Anlauf ins Amt hieven, die anderen den bisherigen Sieger nicht in einem juristischen Verfahren um das Amt gebracht sehen. Entscheidend dürfte aber die politische Großwetterlage sein: Ist die EU mehr denn je in der Krise, wie steht es in der Flüchtlingsfrage, hat Österreich beim Asyl bereits den „Notstand“ ausgerufen? dpa