Die Deutschen werden immer älter. Und wenn die Eltern länger leben, gibt es auch immer mehr Kinder, die ihre Mutter oder ihren Vater finanziell unterstützen müssen. Für die meisten erwachsenen Töchter und Söhne ist es eine Selbstverständlichkeit zu helfen – sofern sie es sich leisten können. Doch was passiert, wenn Eltern und Kinder kein Wort mehr miteinander reden? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am Mittwoch geurteilt, dass erwachsene Kinder auch dann verpflichtet sind, die Kosten des Pflegeheims zu tragen, wenn ihre Eltern den Kontakt zu ihnen längst abgebrochen haben. Die Entscheidung ist im Sinne der Kommunen.
Viele Gemeinden hatten befürchtet, sie würden auf den Kosten der Vergreisung der Gesellschaft sitzen bleiben. Immer wieder überzogen sie Angehörige mit knallharten Forderungen – bis hin zu Zwangsdarlehen auf deren Eigenheime. Laut dem Deutschen Städte- und Gemeindebund mussten Kommunen im vergangenen Jahr 3,7 Milliarden Euro für die sogenannte Hilfe zur Pflege ausgeben. Dahinter stecken jene Kosten, die an den Kommunen hängen bleiben, wenn die Renten der Betroffenen nicht ausreichen und bei den Kindern der 2,5 Millionen Pflegebedürftigen nichts zu holen ist.
Zeitpunkt des Kontaktabbruchs
Die nächste Milliardengrenze dürfte angesichts der demografischen Entwicklung bald überschritten sein. Die Kommunen scheuen sich deshalb nicht, bis zum Bundesgerichtshof zu streiten. Wie in dem aktuellen Fall, in dem ein Mann der Stadt Bremen nun mehr als 9000 Euro Heimkosten für seinen Vater erstatten muss. Der Sohn hatte die Zahlung mit der Begründung verweigert, sein Vater habe vor mehr als 40 Jahren den Kontakt zu ihm einseitig abgebrochen.
Im Mai 2004 hatte der Bundesgerichtshof noch einer Rentnerin den Anspruch auf Unterhalt gegenüber ihrer Tochter verwehrt, weil sie den Kontakt zur Tochter in deren Kindheit beendet hatte. Nach Aussage der Richter gilt in solchen Fällen zunächst grundsätzlich die im Bürgerlichen Gesetzbuch geforderte Pflicht für Eltern und Kinder auf gegenseitigen „Beistand“. Ob Eltern diese Pflicht „gröblich“ verletzen und ihren Unterhaltsanspruch verlieren, macht das Gericht vom Zeitpunkt des Kontaktabbruchs abhängig. Bei erwachsenen Kindern ist solch ein Kontaktabbruch keine „schwere Verfehlung“, bei Minderjährigen schon. Begründung: Eltern schulden ihren Kindern nur bis zu deren Volljährigkeit eine „besonders intensive elterliche Fürsorge“. Danach dürften Vater und Mutter das „familiäre Band“ zu ihren Kindern aber ohne Furcht vor Unterhaltsverlust „aufkündigen“.
Dies erklärt auch die beiden unterschiedlichen Grundsatzentscheidungen. Im ersten Fall hatte die Mutter ihre dreijährige Tochter verlassen, um auszuwandern. Der Bundesgerichtshof sah darin einen „groben Mangel an elterlicher Verantwortung“ und verweigerte der später zurückgekehrten Mutter den Anspruch auf Elternunterhalt. Im aktuellen Fall aus Bremen muss der Sohn zahlen. Die Stadt Bremen übernahm zunächst die Kosten des Heimaufenthaltes, da der Vater diese nicht voll begleichen konnte. Als er im Februar 2012, vier Jahre nach dem Umzug ins Heim, starb, forderte das Sozialamt die Heimkosten vom Sohn zurück.
Der Sohn weigerte sich. Kurz nach seinem Abitur und der Scheidung seiner Eltern 1971 habe der Vater jeglichen Kontakt abgebrochen. Im 1998 verfassten Testament seines Vaters habe dieser festgelegt, dass der Sohn nur den „strengsten Pflichtteil“ erhalten solle. Dennoch gaben die Richter der Kommune Recht. Der Vater habe sich um seinen Sohn bis zu dessen 18. Lebensjahr gekümmert und die in der Lebensphase nötige „besonders intensive elterliche Fürsorge“ erbracht.
Für die Höhe des Elternunterhalts setzten die Karlsruher Richter allerdings Grenzen: Unterhaltspflichtige Kinder müssen zwar „auch den Stamm“ ihres Vermögens einsetzen, doch auch dies gilt nur mit Einschränkungen. Zunächst haben Kinder Anspruch auf einen Selbstbehalt von mindestens 1600 Euro und die Hälfte des darüber hinausreichenden Einkommens. Zudem gelten verschiedene Freibeträge. Und vom Brutto dürfen über die primäre Altersversicherung von 20 Prozent hinaus auch noch zusätzlich fünf Prozent für die Altersvorsorge abgezweigt werden.
Schonvermögen
Werden Eltern pflegebedürftig, sind ihre Kinder zur finanziellen Unterstützung verpflichtet, sofern Rente, Vermögen und Pflegegeld von Vater oder Mutter die anfallenden Kosten nicht decken. Zwar springt oft das Sozialamt ein, es kann die Kinder aber anschließend zur Kasse bitten. Voraussetzung ist, dass den Kindern genügend Geld für den eigenen Lebensunterhalt bleibt. Der Nachwuchs muss nicht fürchten, sein gesamtes Kapital zu verlieren. Je nach Einkommen und Vermögen werden die Sätze berechnet. Laut Bundesgerichtshof sind „angemessene selbst genutzte“ Immobilien Teil der Altersvorsorge und dürfen bei der Festsetzung des Unterhalts für die Eltern nicht berücksichtigt werden. Zudem gibt es ein Schonvermögen, das nicht angetastet werden darf. Text: dpa