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Warum Afrika das Volk davonläuft

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Warum Afrika das Volk davonläuft

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    Ein Mann aus Afrika hofft, in Europa eine Heimat zu finden. Er kam mit einem Boot übers Mittelmeer nach Spanien. In Deutschland sind die Chancen für Afrikaner auf Anerkennung ihres Asylantrags sehr unterschiedlich.
    Ein Mann aus Afrika hofft, in Europa eine Heimat zu finden. Er kam mit einem Boot übers Mittelmeer nach Spanien. In Deutschland sind die Chancen für Afrikaner auf Anerkennung ihres Asylantrags sehr unterschiedlich. Foto: Foto: javier Ferbo, dpa

    Berlin

    Es sind Worte, die mehr nach Hoffnung als nach Prognose klingen. „Ich bin mir sicher“, sagte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) vor wenigen Tagen in einem Interview, „Afrikas Jugend will und wird sich nicht auf die Flucht begeben und in der Heimat bleiben, wenn es Arbeit und Zukunftsperspektiven gibt.“ Bislang machen Schutzsuchende aus Afrika in Deutschland nur einen vergleichsweise kleinen Anteil aller Flüchtlinge aus. Im ersten Halbjahr 2018 waren die Hauptherkunftsländer Nigeria (6648), Eritrea (3931) und Somalia (3374). Zum Vergleich: Aus Syrien und dem Irak kamen in der gleichen Zeit 26 095 beziehungsweise 9725 Menschen.

    „Afrikas Jugend will und wird sich nicht auf die Flucht begeben und in der Heimat bleiben, wenn es Arbeit und Zukunftsperspektiven gibt.“

    Gert Müller, Entwicklungsminister

    Doch weil nirgends sonst auf der Welt so viele Menschen auf der Flucht vor Krieg, Hunger und Unfreiheit sind wie auf dem afrikanischen Kontinent, wächst die Sorge, dass die Zahl der Flüchtlinge aus Afrika steigen wird. Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die im Auftrag des Bundes die deutsche Entwicklungshilfe umsetzt, hat ihren Schwerpunkt klar auf Afrika konzentriert. In Spanien kommen schon jetzt vor allem Menschen aus Afrika an. Allein im Juni wurden im westlichen Mittelmeer rund 6000 irreguläre Grenzübertritte von dort nach Spanien gezählt. Bei etwa der Hälfte dieser Menschen handelt es sich um Marokkaner, die anderen stammten aus Westafrika. In Deutschland sind es vor allem ostafrikanische Länder, die die Statistiken anführen. Ein Überblick über die Lage in den wichtigsten afrikanischen Herkunftsstaaten:

    Nigeria:

    Die meisten Flüchtlinge, die aus Afrika nach Deutschland kommen, stammen aus Nigeria – und es werden mehr. Im Vergleich zum Vorjahr wuchs die Zahl der Asylanträge um mehr als 53 Prozent. Allerdings sind die Chancen auf Anerkennung für Nigerianer in Deutschland überschaubar: Die sogenannte Schutzquote liegt bei 15,9 Prozent – im Vergleich dazu liegt sie bei Syrern bei 77,9 Prozent. Von den 6648 Nigerianern, die im ersten Halbjahr nach Deutschland flohen, werden nur 1333 nicht abgeschoben, sogar nur 28 werden als Asylberechtigte anerkannt. Dabei ist der bevölkerungsreichste Staat mit etwa 185 Millionen Einwohnern eines der vielen afrikanischen Sorgenkinder: Bei Anschlägen der Terrormiliz Boko Haram sind im Nordosten des Landes und in angrenzenden Gebieten seit 2009 mindestens 20 000 Menschen ums Leben gekommen. Militärisch hat Nigeria die Terroristen zwar zurückgedrängt. Doch sie führen immer noch Anschläge aus. Mehr als zwei Millionen Nigerianer sind vor der Gewalt geflohen, die meisten allerdings in die Nachbarländer. Flüchtlinge, die es nach Europa zieht, fliehen vor allem vor der scheinbar aussichtslosen politischen und wirtschaftlichen Lage. Im Nordosten waren im vergangenen Jahr den Vereinten Nationen zufolge fünf Millionen Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, rund zwei Millionen von ihnen gelten bereits als mangelernährt. Zwar hat sich das Land seit dem Ende der Militärherrschaft 1999 stabilisiert, doch weder Reformen noch die Bekämpfung der Korruption kommen voran. Eine schleppende Verwaltung lähmt das Land – und verschlingt Unsummen. Sinkende Öleinnahmen belasten die Wirtschaft schwer. Die Landwirtschaft ist noch nicht einmal in der Lage, die eigene Bevölkerung zu ernähren.

    Somalia:

    Afrikas ewiger „failed state“ (gescheiterter Staat) kommt wegen andauernder Konflikte und Hungerkrisen nicht zur Ruhe. Seit Jahren kämpft die Terrorgruppe Al-Shabaab um die Vorherrschaft in dem Land am Horn von Afrika. Die Gruppe ist vor allem in der halb-autonomen Region Puntland aktiv. Trotz einer zum Großteil von der EU finanzierten und rund 20 000 Mann starken Friedenstruppe der Afrikanischen Union sind Frieden und Stabilität nicht in Sicht. Seit 1991 steckt Somalia in einem Kreislauf aus Gewalt, Flucht und Hunger. Nach der Hungersnot 2011 mit mehr als 250 000 Toten konnte im vergangenen Jahr durch große Anstrengung noch eine erneute Hungersnot verhindert werden. Doch schlimme Dürren werden immer öfter wiederkehren, fürchten Experten. Die Bevölkerung treffen diese Klimaschocks hart – als wären Jahrzehnte des Konflikts, der Armut, des Terrorismus und des kaum vorhandenen Staats nicht schon genug. In diesem Jahr allein werden voraussichtlich eine Million Kinder mangelernährt sein – 232 000 davon lebensbedrohlich. Dagegen soll ein Projekt von Welternährungsprogramm und Unicef helfen, das mit 50 Millionen Euro für drei Jahre von der Bundesregierung finanziert wird. Doch wegen des Al-Shabaab-Terrors können humanitäre Helfer einige Teile des Landes gar nicht erreichen. So sind derzeit zwei Millionen Somalier innerhalb der Landesgrenzen auf der Flucht. Zudem sind fast 900 000 somalische Flüchtlinge in andere Länder der Region geflohen, Tausende kamen über das Mittelmeer nach Europa. In Deutschland stellten im in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 3374 Somalier einen Erstantrag auf Asyl, die Schutzquote ist vergleichsweise hoch: 2256 Somalier durften bleiben.

    Eritrea:

    Eritrea gilt als Krisenland, entsprechend groß sind die Chancen auf Asyl in Deutschland. Das Regime in Eritrea unterdrückt systematisch die Freiheitsrechte seiner Bürger: Seit 1993 gab es keine Wahlen, freie Meinungsäußerung wird beschnitten, es gibt auch keine freie Presse oder eine nennenswerte politische Opposition. Einer der Hauptgründe, der junge Menschen in die Flucht treibt, ist der zeitlich oft unbegrenzte Wehrdienst. Menschenrechtsgruppen sehen darin eine moderne Form der Sklaverei. Deserteure werden verhaftet, eingesperrt und riskieren Folter und Tod. Eritrea gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Es nimmt unter 188 Staaten den 179. Platz im Entwicklungsindex der Vereinten Nationen ein. Die Militarisierung scheint der Regierung wichtiger als die Entwicklung. Das Auswärtige Amt schreibt: „Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung steht seit vielen Jahren unter Waffen oder muss im Anschluss an den Wehrdienst eine nationale Dienstpflicht (,national service‘) ableisten, so dass sie für eine produktive Tätigkeit nur eingeschränkt zur Verfügung stehen.“ Eine organisierte politische Opposition innerhalb Eritreas gebe es nicht. Zahlreiche Regimekritiker wurden ohne rechtsstaatliches Verfahren verhaftet und sind seit Jahren ohne jeden Kontakt zur Außenwelt an geheimen Orten inhaftiert. Von den 3931 Asyl-Erstanträgen wurde in 3604 Fällen zumindest vorübergehender Schutz gewährt. Mit Informationen von dpa

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