Es ist das vielleicht dunkelste Museum der Welt. Und für amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich still, ja karg. Kein Wunder: Der Besucher findet sich 20 Meter unter der Erde, zwischen groben Betonmauern, auf kaltem Felsgestein. Das Museum für die Opfer der islamistischen Anschläge vom 11. September 2001 in New York soll ein Ort der Besinnung, der Trauer, aber auch des Optimismus sein. Doch es gibt auch reichlich Kritik.
„Wir wollen dem Anschlag ein Gesicht geben“, sagt Anthony Guido vom Museum. „Fast 3000 Opfer sind eine erschreckende, aber auch eine sehr abstrakte Zahl. Es waren Mütter und Väter, die abends nicht nach Hause kamen. Oder Söhne und Töchter, die nie wieder anriefen. Oder Feuerwehrleute, die einfach nur helfen wollten.“
Entsprechend sieht man immer wieder Gesichter in der Ausstellung. Manche lachend, verwackelt, wie ein Urlaubsschnappschuss. Andere korrekt, ernst, weil sie mal für eine Bewerbungsmappe oder einen Führerschein gedacht waren. Aber genau das macht die Menschen menschlich, greifbar. „Heroes“, Helden, nennt man sie hier immer wieder. Dabei waren sie vor allem Opfer.
Leichenreste im Boden eingebettet
2983 Papierquadrate hängen an einer gewaltigen Wand. Jedes steht für ein Opfer, jedes in einem anderen Blau. „Versuch, sich an die Farbe des Himmels an diesem Septembermorgen zu erinnern“ heißt das Werk des New Yorker Künstlers Spencer Finch. Davor liegt ein Stahlträger, einen halben Meter dick, er ist gebogen, geschmolzen wie warme Butter. „Fassen Sie ihn ruhig an“, sagt Arthur freundlich. An fast jeder Ecke steht solch ein Freiwilliger, der die Geschichte hinter dem Exponat kennt.
Etwas abseits liegen Brillen, Schuhe und Mützen neben den Namen der Toten, oft noch vom Staub bedeckt. Dazwischen ist ein Videoraum, in dem Porträts gezeigt werden. Würde man jedem Leben nur fünf Minuten widmen, wäre der Film mehr als zehn Tage lang.
700 Millionen Dollar (540 Millionen Euro) hat der Bau gekostet, und darüber war jahrelang gestritten worden. Jetzt gibt es Kritik am Eintrittspreis von 24 Dollar, und natürlich finden einige alles zu düster oder zu farblos, zu traurig oder zu optimistisch. Die schärfste Kritik kommt von Angehörigen. Etwa, weil Leichenreste im Boden eingebettet wurden. Unsere Lieben gehören nicht ins Museum, hieß es. Museumschef Joe Daniels konnte immer wieder versichern, dass alles so würdevoll wie möglich passieren solle, es half nichts. Die nächste Kritik war der „Book Store“, ein Andenkenladen, in dem es Krawatten, Geldbörsen, Mützen und Regenschirme mit 9/11-Symbolen gibt. Geschmacklos sei das, hieß es. Daniels versprach, das Konzept zu überdenken. „Wir geben nicht vor, alles richtig zu machen. Wir akzeptieren die Kritik.“ Allzu viel passiert ist nicht.
„Ich finde das Museum großartig, vor allem diesen Minimalismus“, sagt Timo Kellermann. Der Tourist aus Niedersachsen lobt vor allem, dass so viele persönliche Geschichten erzählt werden. „Plötzlich bekommt der Stahlträger eine Geschichte.“ Christoph Müller aus Wolfsburg findet das Museum „ehrlich“: „Es ist ja nicht nur, dass die Exponate überwältigend sind. Es hat mich auch erstaunt, dass die sonst immer so perfekten Amerikaner hier zeigen, wie verwundbar sie waren.“
Etwa um den 13. Jahrestag der Anschläge herum wird der millionste Besucher erwartet. So amerikanisch das Museum ist, Hurra-Patriotismus oder gar Wut verbreitet es nicht. Eher – typisch New York – Mut und Durchhaltewillen. Mehr so ein „Jetzt erst recht!“
Etwa wie die Geschichte von Ada Dolch, die ihre Schwester Wendy verlor. In ihrem Andenken baute Ada eine Schule für Mädchen – in Afghanistan. „Direkt vor der Nase der Terroristen“, sagte Ada bei der Eröffnung des Museums im Mai. „Was für ein Tritt in den Hintern von Osama bin Laden! Ich bin sicher, dass Wendy jetzt von irgendwo auf uns herunterguckt und lacht.“
Drei besondere Exponate im 9/11-Museum
Mehrere Tausend Exponate sind im Museum für die Opfer der islamistischen Anschläge vom 11. September 2001 ausgestellt. Drei besondere: Der zerstörte Einsatzwagen Ladder 3 ist eine von New Yorks ältesten Feuerwachen. Am 11. September 2001 hatte sie ihren 136. Geburtstag. Mitten im Schichtwechsel kam der Notruf aus dem World Trade Center, alle elf Männer aus beiden Schichten rückten sofort aus. Sie kämpften sich bis in den 36. Stock hoch, um Verletzte aus dem Gebäude zu holen. „Wir gehen weiter hoch“, gab Chef Patrick John Brown noch durch – dann stürzt der Turm ein. Von den elf Männern kehrte keiner zurück. The Last Column Nach dem Einsturz des World Trade Centers lag der Bauschutt mehrere Stockwerke hoch. Anfangs ragte ein auf den ersten Blick lediglich kleines Stück Metall heraus. Als mehr und mehr ausgegraben wurde, erwies sich das Stück Metall als eine tragende Säule des Gebäudes. Weil sie erst als letzte Säule abgetrennt werden konnte, hinterließen Feuerwehrleute und Polizisten an „The Last Column“ Grüße an die Kameraden, die es nicht mehr geschafft hatten, das Gebäude zu verlassen. Als die Säule endlich losgeschweißt war, war an Verschrotten nicht mehr zu denken. Mit aller Feierlichkeit wurde die tonnenschwere Säule in das Museum gebracht. Das Dream Bike Im Sommer 2001 kaufte der Feuerwehrmann Gerard Baptiste sein Traummotorrad. Seine Kollegen lachten, weil die alte Honda aus dem Jahre 1979 doch nur noch Schrott sei. Zwischen den Einsätzen werkelte Baptiste an seinem „Dream Bike“ – bis er am 11. September 2001 vom Einsatz nicht zurückkehrte. Seine Kameraden standen erst ratlos vor dem alten Motorrad, dann bauten sie es mit Hilfe von Fans aus den ganzen USA so auf, wie Baptiste es gewollt hatte. Heute steht das „Dream Bike“ im Museum. Auf dem Tank sind zehn Rosen – eine für jeden aus der Feuerwache, der den Einsatz nicht überlebte. Text: dpa