Der Schock sitzt tief in der CSU. Die scheidende CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte zwar bei der Schwesterpartei in München keinen großen Fanklub. Sie galt hier nie als strahlende Hoffnungsträgerin, aber – zumindest für eine Übergangszeit – als die beste unter drei Alternativen. Besser als der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Besser als NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. Jetzt ist AKK Geschichte. Erneut muss die CSU mit ansehen, wie die CDU, mit der sie in der Bundespolitik auf Gedeih und Verderb in einer Schicksalsgemeinschaft verbunden ist, in einer veritablen Führungskrise steckt. Und einiges deutet darauf hin, dass diese Krise noch weitaus unangenehmer werden könnte.
Es hätte alles so schön sein können: Nach einer langen Zeit des Machtkampfs zwischen Horst Seehofer und Markus Söder war Ruhe eingekehrt in der CSU. Der neue Chef hatte zwar die absolute Mehrheit im Landtag nicht verteidigen können. Aber er hat für neue Geschlossenheit gesorgt. Er hat die Partei hinter sich gebracht. Seine Koalitionsregierung mit den Freien Wählern in Bayern erntet viel Zustimmung. Und auch im Bund hat Söder sich Respekt verschafft. Als die CDU nach dem Spektakel im Thüringer Landtag noch sprachlos in Richtung Erfurt starrte, gab Söder die Richtung vor. Sogar einer seiner langjährigen Kritiker in der CSU sagt: „Er hat das perfekt gemacht.“
Mit dem angekündigten Rücktritt von CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer aber ist das schwelende Problem der CSU mit voller Wucht wieder aufgebrochen: Die Frage, wie es mit der Union in Berlin weitergehen soll, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel aufhört. Söder hatte seinen Unmut über das schlechte Bild, das die Große Koalition aus seiner Sicht abgibt, schon in jüngster Vergangenheit kaum mehr verbergen können.
„Kein Sympathieträger“
Im Einvernehmen mit Kramp-Karrenbauer aber waren alle Personalentscheidungen einschließlich der Frage nach der Kanzlerkandidatur auf den Spätsommer verschoben worden. Doch seit dem Debakel in Thüringen verbindet sich die Frage nach der Kanzlerkandidatur mit der noch viel grundsätzlicheren Frage, wie sich die Union künftig zwischen der Linken und der AfD positionieren soll. Von den wenigen führenden CSU-Politikern, die mit sich reden lassen, will keiner mit Namen zitiert werden.
Aus den Gesprächen aber wird klar, dass es in der CSU nach wie vor keinen Favoriten für den CDU-Vorsitz und die Kanzlerkandidatur gibt. Merz sei zwar für die Konservativen in der CSU nach wie vor der „Kandidat der Herzen“. Dass er für die Union die nächste Wahl gewinnen könnte, sei aber nicht zu erwarten. „Merz wäre ein Gesundbrunnen für die Grünen.“ Auch Laschet löst in der CSU keine Begeisterung aus. Das Gleiche gilt für Gesundheitsminister Jens Spahn. „Es gibt in der CDU im Moment keinen Sympathieträger“, sagt ein alter CSU-Stratege.
Rein formal halten sich in der CSU bisher alle an die Regel, sich in der Schwesterpartei nicht einzumischen. „Wir wollen auch keine Hinweise aus der CDU, wer bei uns Parteivorsitzender sein soll.“ Wenn aber die CDU Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur miteinander verknüpfe, „dann haben auch wir ein Wort mitzureden“. Dass Söder nach der Kanzlerkandidatur greifen solle, fordert keiner. Das wäre ein „Himmelfahrtskommando“. Darüber besteht nach Thüringen in der CSU offenbar Einigkeit: „Jetzt erst recht nicht mehr.“
Der künftige Kurs ist umstritten
Umstritten aber ist unter den Christsozialen der künftige Kurs der Union. „Wir wissen aus den letzten Wahlen, dass wir in der Mitte mehr verlieren, als wir rechts gewinnen können“, sagen die einen, die in Thüringen eine Duldung von Rot-Rot-Grün durch Stimmenthaltung als kleineres Übel hingenommen hätten und im Zweifel eher Laschet als CDU-Chef wollen. „Es kann nicht erstes Ziel der Politik sein, den Kanzler zu stellen. Man muss auch Inhalte vertreten, klares Profil und klare Kante zeigen“, sagen andere, die jede Form der Duldung der Linken ablehnen und für die Merz der richtige Frontmann der Union wäre – selbst wenn mit ihm die nächste Bundestagswahl verloren ginge.
In der Vergangenheit hat es der CSU nicht geschadet, in Berlin in der Opposition zu landen. Rot-Gelb (1969 bis 1982) oder Rot-Grün (1998 bis 2005) führte jeweils zu einer Festigung der CSU-Position im Freistaat. Diesem Automatismus aber ist nicht mehr zu trauen, seit die demokratische Mitte an Kraft verliert. Das ist der Unterschied zu früheren Krisen.