Der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt leitet die Hamburger Agentur Expairtise. Der 59-Jährige ist selbst Pilot mit Fluglehrer-Lizenz und ist seit 25 Jahren unter anderem als Kommunikationsberater für verschiedene Unternehmen aus der Luftfahrtbranche tätig.
Frage: Nach dem Absturz herrscht Rätselraten über die Unglücksursache. Welche Hinweise gibt der Katastrophenablauf?
Heinrich Großbongardt: Auffällig ist, dass das Unglück in der Phase des Reiseflugs passiert ist. Diese Phase, wenn das Flugzeug auf Reiseflughöhe ist, hat eigentlich das geringste Unfallrisiko. In dieser Höhe lässt man den Autopiloten fliegen, da steuert man nicht von Hand. Auffällig ist zudem, dass sich der Höhenverlust über die Dauer von zehn Minuten bei relativ gleicher Geschwindigkeit ereignet hat. Und auffällig ist, dass den Piloten bei Problemen die Flughäfen von Nizza, Marseilles oder die große Luftwaffenbasis im Rhône-Delta in der Nähe zur Verfügung gestanden hätten. Man fragt sich, was hat die Piloten gehindert, diese Flughäfen anzufliegen?
Gibt es vergleichbare Fälle, aus denen sich Hinweise auf die Ursache schließen lassen?
Großbongardt: Nein, mir fällt kein einziges vergleichbares Szenario ein, aus dem sich über eine naheliegende Unglücksursache spekulieren ließe. Wir stehen vor einem Rätsel.
Spekuliert wird über Druckabfall in der Kabine oder Computerfehler ...
Großbongardt: Druckverlust halte ich für unwahrscheinlich, das passt mit dem Absturzszenario nicht zusammen. Hier stünden den Piloten natürlich Sauerstoffmasken zur Verfügung, um das Flugzeug sicher zu landen. Ein Fehler in der Steuerung ist theoretisch durchaus möglich. Aber wir haben hier nicht die Spur eines Hinweises, was wirklich passiert ist. Auch weil sich kein bekannter Fall damit vergleichen lässt.
Der „Spiegel“ berichtete jüngst von einem Bei-naheabsturz eines Lufthansa-Airbus ähnlichen Typs, als vereiste Außensensoren dem Computer falsche Werte lieferten und automatisch den Sinkflug eingeleitet hatten. Könnte das nicht auch hier passiert sein?
Großbongardt: Das halte ich für extrem unwahrscheinlich, weil wir bei dem jetzigen Unglück hervorragendes Wetter über Südfrankreich hatten. Es gab keine hochreichenden Wolken und keine Vereisungsbedingungen. Von daher würde ich darauf am allerwenigsten tippen.
In Sicherheitskreisen gab es zunächst keine Hinweise auf einen Terroranschlag. Schließen Sie dies auch aus?
Großbongardt: Zumindest eine Explosion hätten die Piloten während des Sinkfluges wohl noch melden können. Ich glaube, jeder Hinweis auf einen Anschlag wäre sicher bereits an die Öffentlichkeit gelangt.
Der abgestürzte Airbus war 24 Jahre alt. Ist das Flugzeugalter wirklich für die Sicherheit so unbedenklich, wie es immer heißt?
Großbongardt: Das Alter eines Flugzeugs spielt insofern eine Rolle, als die Wartung immer aufwendiger wird. Aber für die Sicherheit spielt das Alter keine Rolle. Es sind Flugzeuge im regelmäßigen Einsatz, die wesentlich älter sind. Wenn eine sorgfältige Instandhaltung dahintersteht, und davon darf man bei allem, was mit der Lufthansa zu tun hat, wirklich ausgehen, dann ist das Alter kein Sicherheitskriterium.
Ist der gute Ruf der Lufthansa bei der Wartung international gerechtfertigt oder handelt es sich um ein Klischee, das wir in Deutschland pflegen?
Großbongardt: Sorgfältig sind viele andere Airlines auch. Aber die Lufthansa ist mit ihrer Tochtergesellschaft Lufthansa Technik der Weltmarktführer und hat damit so viel Erfahrung wie nahezu niemand sonst. Durch die Masse der Instandhaltungen kennen die Techniker selbst technische Probleme, die nur höchst selten vorkommen.
Der Airbus 320 taucht immer wieder in der Unglücksstatistik auf. Liegt das nur daran, dass er mit 6250 gebauten Maschinen einer der weitverbreitesten Flugzeugtypen ist?
Großbongardt: In der Größe gibt es zwei Flugzeugtypen: den Airbus 320 und die Boeing 737. Und hier muss man sagen, die beiden nehmen sich nichts. Beide sind gemessen an der Zahl der Unfälle pro eine Million Flugkilometer ziemlich genau gleich sicher. Wenn man bei beiden Typen öfter von Unfällen hört, dann liegt das einfach daran, dass von beiden Maschinen eine riesige Flugzeugflotte am Himmel unterwegs ist.
Ist das aktuelle Unglück mit dem Airbus 320 eines der schlimmsten der deutschen Luftfahrtgeschichte?
Großbongardt: Ja. Vergleichbar ist der Absturz des Urlauber-Charterflugs der Birgen Air, als 1996 nach dem Start in der Dominikanischen Republik alle 189 Menschen an Bord ums Leben kamen, oder der Absturz des Lufthansa-Jumbos in Nairobi mit 59 Toten von 1974. Foto: dpa