Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Wenn die Arbeit kein Ende nimmt

Politik

Wenn die Arbeit kein Ende nimmt

    • |
    • |
    Aus der Hetze aussteigen: Arbeitsstress kann krankmachen.
    Aus der Hetze aussteigen: Arbeitsstress kann krankmachen. Foto: Foto: thinkstock

    Die Aktenordner stapeln sich, der Chef macht Druck, und die To-do-Liste wird immer länger: Stress im Büro ist nicht nur unschön, sondern kann auch krankmachen. Und das Stress-Gefühl in Deutschland nimmt zu, wie eine aktuelle Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ergeben hat: 43 Prozent der Erwerbstätigen finden, dass ihr Arbeitsstress in den letzten zwei Jahren stärker geworden ist. 19 Prozent fühlen sich überfordert. Stephan Roth, Leiter des Gesundheitsamts Kitzingen und Experte für Arbeitsmedizin, erläutert, was man im Berufsalltag tun kann, bevor im Büro die Hektik überhandnimmt.

    Frage: Herr Roth, was ist Stress?

    Stephan Roth: Stress ist ein Komplex aus Anspannung, Druck und einer ständigen Sorge. Dabei ist Stress etwas sehr Individuelles, das ganz verschieden wahrgenommen wird: Genauso wie die Leistungsfähigkeit bei verschiedenen Menschen unterschiedlich ist, ist auch das Gefühl, ab wann man sich gestresst fühlt, sehr individuell.

    Was sind häufige Stress-Gründe?

    Roth: Ursachen für Stress am Arbeitsplatz können beispielsweise eine Arbeitsverdichtung sein oder auch der Druck zur ständigen Erreichbarkeit. Ich kann mich aber auch gestresst fühlen, wenn es ein Missverhältnis gibt zwischen den Anforderungen an meine Arbeit und einem sehr eingeschränkten Entscheidungsspielraum meinerseits.

    Inwieweit spielen auch die unterschiedlichen Sichtweisen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Rolle?

    Roth: Es kann sein, dass der Arbeitnehmer sich seinem Erleben nach einsetzt und verausgabt hat und sich dafür nicht ausreichend gewürdigt fühlt. Dieses Problem nennt man Gratifikationskrise. Man zeigt Engagement und dieses wird – aus Sicht des Betroffenen – nicht entsprechend belohnt. „Belohnung“ ist dabei nicht unbedingt das Geld, das kann genauso die Wertschätzung oder die Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg sein. Das sind dann immer ganz unterschiedliche Sichtweisen: Der eine meint, etwas Tolles abgeliefert zu haben, der Vorgesetzte findet aber, dass das nur eine durchschnittliche Leistung ist. Das kann dazu führen, dass der betreffende Arbeitnehmer sich innerlich zurückzieht.

    Wie wichtig ist das Betriebsklima?

    Roth: Das ist das A und O. Ein gutes Betriebsklima spielt eine ganz zentrale Rolle. Das heißt beispielsweise, dass ich den Rückhalt meines Vorgesetzten habe und mich ernst genommen fühle. Die Frage ist auch, wie im Team mit Arbeitsspitzen umgegangen wird: Muss das einer alleine ausbaden oder sind die anderen bereit mitzuhelfen und Aufgaben mitzuübernehmen.

    Was kann ich dagegen tun, wenn ich mich in meinem Beruf gestresst fühle?

    Roth: Erst einmal muss ich überhaupt erkennen, dass ich mich gestresst fühle. Anschließend muss ich differenzieren, was meine Belastungen sind. Diese setzen sich ja möglicherweise nicht nur aus dem beruflichen Stress zusammen, auch das Private hat meist einen nicht unerheblichen Anteil. Als Nächstes stellt sich die Frage, welche der Stress-Faktoren ich leicht verändern kann. Kann ich beispielsweise Arbeiten abgeben oder meine Arbeitszeit reduzieren, oder können privat Belastungen von anderen übernommen werden. Da muss man immer nach individuellen Lösungen suchen.

    Wie kann man Stress vorbeugen?

    Roth: Es ist ganz wichtig, sich einen Ausgleich zu schaffen. Das mag für jemanden mit einer sitzenden Tätigkeit und überwiegend geistiger Beanspruchung etwa eine körperliche Betätigung sein oder auch andersherum. Die Arbeitsplatzgestaltung ist mit Sicherheit auch wichtig. Wenn ich immer vor einem Aktenberg sitze und sehe, was noch alles auf meiner To-do-Liste steht, werde ich mich nicht so wohl fühlen. Um Stress vorzubeugen ist es wichtig zu schauen, wie ich mit dem Arbeitspensum umgehe.

    Außerdem sollte man die Arbeit auch tatsächlich am Arbeitsplatz lassen und nicht gedanklich mit nach Hause nehmen. Ich kann abends, vor dem Nach-hause-gehen, vielleicht den Tag Revue passieren lassen und mir überlegen, was heute war und was ich alles erledigen konnte. Es ist wichtig, dass man dies auch sieht und würdigt und nicht nur das, was noch zu erledigen ist. Das, was noch zu erledigen ist, kann man sich für den nächsten Tag vornehmen und sollte es dabei auch belassen – eben nicht, dass man sich die anstehenden Aufgaben zu Hause durch den Kopf gehen lässt, am besten noch in der Nacht, wenn man nicht schlafen kann.

    Wie wirkt es sich aus, wenn man nicht abschalten kann, etwa auch, weil man immer erreichbar sein muss?

    Roth: Das ist sicherlich eine Gefährdung. Das kann einige Jahre gut gehen, aber das ist keine Garantie, dass das auf Dauer gut geht. Es ist aber sehr unterschiedlich, wie Leute abschalten können. Wenn jemand erreichbar ist und dann eine kurze Auskunft gibt, fühlt er sich vielleicht nicht gleich gestresst, solange er dann auch wieder die Erholung am Wochenende wahrnehmen kann.

    Dauerstress hat auf jeden Fall klare Folgen für die Gesundheit. Da gibt es drei Bereiche: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Muskelerkrankungen, etwa Rückenschmerzen durch Verspannungen, und psychische Erkrankungen. Denn Stress kann auch eine Ursache für Depressionen sein, wenn die individuelle Belastbarkeit auf Dauer überschritten wird.

    Ist die Sensibilität für psychische Erkrankungen in den letzten Jahren gestiegen?

    Roth: Ja, heute wird viel eher Hilfe in Anspruch genommen und dadurch wird auch mehr diagnostiziert. Ein Burn-Out ist beispielsweise heute mehr oder weniger gesellschaftlich akzeptiert, es kann signalisieren 'Ich habe mich für meinen Chef geopfert'.

    Depressionen haben hingegen leider nach wie vor einen negativen Anklang. Die Diagnose einer Depression ist mit dem Gedanken verbunden: 'Der hat nicht die Leistungsfähigkeit'. Dabei sind diese beiden Erkrankungen eigentlich von den Symptomen und auch vom therapeutischen Ansatz her sehr nah beieinander und man muss beide gleich ernst nehmen.

    Arbeitgeber sind gesetzlich verpflichtet, Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen. Die Gewerkschaften fordern, dabei auch psychische Belastungen mit einzubeziehen. Können solche denn überhaupt sinnvoll gemessen werden?

    Roth: Grundsätzlich halte ich das für einen sinnvollen Ansatz, denn auch die psychischen Belastungen muss ich bei einer Arbeitsplatzbeurteilung berücksichtigen. So wird die Sensibilität geschärft, und auch die Arbeitgeber werden angehalten, entsprechende Signale zu erkennen. Aber die Frage ist natürlich, wie so etwas wirklich sinnvoll umgesetzt werden kann. Das ist in der Tat sehr schwierig zu messen.

    Wer steht in der Verantwortung für ein 'gesundes' Arbeiten, Arbeitgeber oder Arbeitnehmer?

    Roth: Das ist ganz klar auch etwas, das den Arbeitgeber angeht. Er hat ja selbst auch ein Interesse an der Gesundheit seiner Mitarbeiter, die so leistungsfähiger sind und weniger Fehlzeiten haben. Letztlich hat keiner etwas davon, wenn der Arbeitnehmer ausfällt oder einfach länger für die Arbeit braucht. Auf der anderen Seite hat auch der Arbeitnehmer die Aufgabe, zu seinen Grenzen zu stehen und diese zu akzeptieren. Ganz ohne Stress ist es nicht immer möglich. Wenn es eine Arbeitsspitze gibt, die es zu bewältigen gilt, dann muss ich als Arbeitgeber sehen, wie ich das leisten kann: Kann ich es mir leisten, neue Mitarbeiter ins Boot zu holen oder muss ich die Arbeit so bewältigen. Das ist sicher keine leichte Entscheidung.

    Gibt es positive Formen von Stress?

    Roth: Auch das ist sehr individuell, da das Leistungsvermögen sehr unterschiedlich ist. Was der eine gut wegsteckt, stellt für den anderen eine Belastung dar, das muss ein Stück weit akzeptiert werden. Positiven Stress kann es auch geben: Arbeit ist schließlich lebensnotwendig, gibt uns Struktur und ist wichtig für unsere Gesundheit. Wenn ich den Ansporn habe, eine Aufgabe zu meistern, kann dies auch eine Herausforderung für mich sein. Man wächst in seine Tätigkeit auch herein und hat seine Arbeitsstrategien. Das muss nicht zu einer Belastung und zu Stress führen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden