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Wenn Fluglärm zum Fluch wird

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Wenn Fluglärm zum Fluch wird

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    Ruuuheee!!! Die Tonfigur eines Schlafwandlers auf einem Dachfirst im hessischen Raunheim kann als Protest gegen den Fluglärm verstanden werden.
    Ruuuheee!!! Die Tonfigur eines Schlafwandlers auf einem Dachfirst im hessischen Raunheim kann als Protest gegen den Fluglärm verstanden werden. Foto: Foto:dpa

    Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung“, lautet der Titel des deutscher Spielfilms von Kurt Hoffmann aus dem Jahr 1968. „Von wegen!“, möchte man an manchen Tagen schon ab 5 Uhr früh gen Himmel schreien, von wo aus sich ein Teppich aus Gurgeln, Brummen, Zischen, Rauschen und Tosen über das Land zwischen Würzburg und Aschaffenburg legt.

    Bei Westwind – die vorherrschende Wetterlage – schweben die großen Alu-Vögel aus Osten über dem Frankenland ein und schwenken Richtung Frankfurt. Gefühlt kommen sie im Minutentakt, die zeitlichen Abstände jedenfalls sind gering. Fliegen ist aus unserer modernen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken, wirbt die Deutsche Flugsicherung (DSF). Fluglärm auch nicht. Doch für immer mehr Menschen wird er zum Fluch.

    Die „Vögel“ sind zahlreicher geworden mit den Jahren. Vervierfacht hat sich das Flugaufkommen in den vergangen vier Jahrzehnten, so die DSF auf ihrer Homepage. Seit die dritte Start- und Landebahn am Frankfurter Flughafen (Fraport) im Oktober 2011 öffnete, schwillt der Protest an. Zurzeit sind es etwa 80 Flugbewegungen dort in der Stunde, das Ziel sind 126. Die Lärmlast wird also weiter zunehmen, für die Bevölkerung in unmittelbarer Nähe des Fraport eine Hiobsbotschaft. Aber auch für viele Menschen am Untermain, im Spessart und auf der fränkischen Platte bis Würzburg sind die Grenzen der Belastbarkeit erreicht.

    Im Blog des Freie-Wähler-Abgeordneten Günther Felbinger (Gemünden) artikulieren sich Ohnmacht und Wut vieler Bewohner der Region. Einer schreibt: „Man muss sich schon die Frage stellen, ob es richtig ist, Menschen in einer Flughafenentfernung von 70 bis 90 Kilometer einen dauerhaften Schallpegel von durchschnittlich 55 Dezibel zuzumuten.“

    In Schöllkrippen (Lkr. Aschaffenburg) gibt es seit Ende 2011 die Bürgerinitiative „Ein Himmel ohne Höllenlärm“. Sie und andere lärmgeplagte Bürger aus der Region rückten Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) und seinem Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) bei Besuchen am Untermain mit ihrem Anliegen auf die Pelle. Unterstützung kam von der Opposition im Landtag, insbesondere von den Abgeordneten aus der Region Thomas Mütze (Grüne), Hans Jürgen Fahn und Günther Felbinger (Freie Wähler) sowie Karin Pranghofer (SPD).

    Schallmesspunkte angekündigt

    Nach anfänglicher Ablehnung gaben CSU und FDP jetzt Anträgen von FW und Grünen im Landtag nach. Es soll jetzt auch in Bayern das geben, was in Hessen und Rheinland-Pfalz längst selbstverständlich ist: Lärmmessungen, sogenannte Schallmesspunkte. Außerdem wird künftig ein Vertreter der Staatsregierung an den Sitzungen der Fluglärmkommission für das Rhein-Main-Gebiet teilnehmen. Die berät das hessische Wirtschaftsministerium, die für Fraport zuständige Genehmigungsbehörde, bei allen Maßnahmen zum Schutz gegen Fluglärm und Luftverunreinigungen. „Offensichtlich muss man den Leuten in München erst klarmachen, dass auch die Leute hier in der Region zu Bayern gehören“, grollt der Aschaffenburger Grünen-Abgeordnete Mütze.

    Dass der Fluglärm seit gut einem Jahr deutlich lauter geworden ist, das liegt nicht nur an der steigenden Zahl startender und landender Maschinen, sondern an veränderten Flugrouten und einer Absenkung der Flughöhe zumindest beim Landeanflug, berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Eine erhöhte „Rückenwindkomponente“ führt dazu, dass Flugzeuge noch etwas öfter, nämlich zu mehr als drei Viertel des Jahres, von Osten her einschweben dürfen, also über das Frankenland.

    Ankommende Maschinen fliegen seit März 2011 niedriger, die DFS nennt flugbetriebliche Gründe. Dann würden weniger Fluglotsen gebraucht, weil niedriger fliegende Maschinen vom Tower aus besser zu kontrollieren sind.

    Die Flugzeuge gehen westlich von Würzburg in den Sinkflug, im Spessart haben sie teilweise nur eine Flughöhe von rund 1000 Metern. Zieht man die Geländehöhe ab, bleiben als Überflughöhe für Gemeinden im Spessart nur rund 600 bis 650 Meter. Der Schallpegel liegt dann laut Merkblatt BV011 bei 70 bis 80 Dezibel (A), Werte über 65 Dezibel gelten als unzumutbar.

    In den Foren der Fluglärm-Kritiker wird vermutet, dass die veränderten Flugrouten und -höhen einen Grund haben. Während es in Hessen um den Flughafen herum rund 100 stationäre Schallmesspunkte gibt, finde man jenseits der Grenze in Bayern bisher nicht eine einzige. Da könne man gefahrlos ausweichen.

    Die ständige Lärmkulisse beeinträchtigt die Lebensqualität und bedroht die Gesundheit der Menschen zwischen Alzenau, dem Kahlgrund und Obernburg. Darauf hat Hans Jürgen Fahn aus Erlenbach am Main immer wieder hingewiesen. Der Umweltpolitische Sprecher der Freien Wähler im Landtag hat wie sein Grünen-Kollege Mütze wiederholt auf die Nöte der Menschen zwischen Würzburg und Aschaffenburg hingewiesen, doch auch sie haben keine Patentlösung parat. Die Möglichkeiten des aktiven Schallschutzes sind nämlich begrenzt.

    Es gibt nur zwei Lösungsansätze: entweder die Flugzeuge leiser machen oder sie beim An- und Abflug so kurz wie möglich über bewohntes Gelände zu führen. Ersteres kostet die Airlines viel Geld, für ein neues Flugzeug muss eine Airline eine Summe in zwei- oder dreistelliger Millionenhöhe überweisen. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass die Gesellschaften ihren Flugmaschinenpark nur wegen des Protests lärmgeplagter Bürger schneller als geplant erneuern. Der Grünen-Umweltpolitiker Thomas Mütze setzt deshalb auf ein anderes Anflugverfahren. Durch einen steileren Anflugwinkel bleiben Flugzeuge über besiedeltem Gebiet in größeren Höhen. Für die Bevölkerung in Bayerns Norden wäre das eine Entlastung, beim Endanflug aber würde sich nur wenig bis gar nichts ändern, zum Leidwesen der Menschen in den Gemeinden unmittelbar östlich der Mainmetropole Frankfurt.

    Anflug mit weniger Schub

    Eine weitere Variante gegen den Fluglärm ist der kontinuierliche Sinkflug. Dabei schweben die Maschinen langsam ein, quasi mit Standgas. Sie brauchen, anders als beim gestuften Anflug, nicht immer wieder Schub aus den Triebwerken. Aber das genau ist das Problem. Denn es nimmt den Flugzeugen einen Teil ihrer Manövrierfähigkeit. Folglich muss mit größeren Abständen geflogen werden, weswegen dieses wie andere modifizierte Anflugverfahren nur für verkehrsarme Zeiten taugt. Es gerät mit dem eigentlichen Zweck des Baus der Startbahn Nordwest am Fraport in Konflikt, weil so weniger Maschinen innerhalb einer gewissen Zeit landen können.

    Auch das System der „bevorzugten Bahnnutzung“ führt zu Kapazitätsproblemen, sagen die Experten. Es sieht vor, dass die Piloten abwechselnd auf andere Flugbahnen ausweichen, um Gebiete zeitweise zu entlasten. Immerhin wird dadurch der Lärm besser über die Landschaft verteilt.

    Wie geht es jetzt weiter? Die Staatsregierung in München nimmt langsam wahr, dass auch die Menschen am Untermain ein grundlegendes Bedürfnis nach Ruhe haben. Jetzt setzt auch der FDP-Wirtschafts- und Verkehrsminister Martin Zeil auf „eine nachhaltige Offensive in Sachen Lärmschutz.“ Er hat eine Experten-Arbeitsgruppe zur Optimierung der Fluglärmsituation eingerichtet, das ist einer Pressemitteilung aus seinem Haus vom 28. Juni zu entnehmen. Sie wird sich intensiv mit der Fluglärmproblematik befassen und Vorschläge erarbeiten, heißt es in einer Pressemitteilung des Ministeriums. Das gilt allerdings nicht für Nordbayern, sondern für die Umgebung des Flughafens München.

    Da bleibt nur die Hoffnung, dass die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe für die Landeshauptstadt eines nicht allzu fernen Tages auch den Bewohnern des Frankenlandes Entlastung bringen, die unter dem Lärm des Flughafens Frankfurt leiden. „Mit großer Freude“ hat der Verkehrsclub Deutschland (VCD) die Ankündigung von Wirtschaftsminister Martin Zeil vernommen, künftig mehr für Lärmschutz an Flughäfen tun zu wollen, so Alfred Schreiber vom VCD-Arbeitskreis Flugverkehr.

    Schutz der Anwohner unzureichend

    Fluglärm beeinträchtigt und schädigt die Gesundheit der Anwohner, darauf hat auch der Deutsche Ärztetag Ende Mai 2012 hingewiesen. Die derzeitigen rechtlichen Bestimmungen zum Schutz der Anwohner vor Fluglärm sind nach Meinung der Ärzte völlig unzureichend. Die bisherigen gesetzlichen Regelungen schützten die Anwohner nach Ansicht der Ärzte nicht wirksam, entsprächen überhaupt nicht dem Stand der Technik und der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Ein Umstand, der auch einen Bewohner aus dem Norden des Kreises Miltenberg auf die Palme bringt. „Es würde mich auch sehr interessieren, warum auf Straßen der Lärmschutz von 22 bis 6 Uhr gilt und im Flugbetrieb nicht“, schreibt er dem FW-Abgeordneten Günter Felbinger.

    Nach dem Umweltbundesamt hat auch der Deutsche Ärztetag ein bundesweites Nachtflugverbot eingefordert. Zahlreiche Demonstrationen an den Flughäfen Berlin und Frankfurt fordern seit Monaten eindringlich ein bundesweites Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr.

    Der VCD hofft, dass nunmehr auch die Bayerische Staatsregierung diesbezügliche Bestrebungen von einigen Bundesländern, wie Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, unterstützt. Zum Schutz der Gesundheit der Anwohner sollte ein bundesweites Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr auf gesetzlicher Basis geschaffen werden.

    Immerhin hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das für Frankfurt geltende Nachtflugverbot von 23 bis 5 Uhr bestätigt. Das allerdings wird vom hessischen Wirtschaftsministerium mit einer Flut von Ausnahmegenehmigungen umgangen. Im Mai wurden für den Fraport 231 von 252 beantragten Nachtflügen genehmigt. Im Juni gab es nur zwei Nächte mit null Nachtflug.

    Neue Klagen gegen Berliner Hauptstadtflughafen

    Nach der geplatzten Eröffnung des Hauptstadtflughafens droht nun neues Ungemach – vom Bundesverwaltungsgericht. Die Richter in Leipzig gehen der Frage nach, ob Anwohner bei dem Milliardenprojekt getäuscht wurden. Bürger aus Brandenburg und Berlin werfen der staatlichen Betreibergesellschaft und dem Potsdamer Infrastrukturministerium vor, jahrelang die wahren Flugrouten verschwiegen zu haben.

    Die Kläger wollen den Planfeststellungsbeschluss für das Milliardenprojekt kippen. Haben sie Erfolg, darf der Flughafen möglicherweise auch nicht zu dem verschobenen Termin am 17. März 2013 eröffnet werden. Eine Entscheidung wird noch im Juli erwartet. „In der gesamten Planfeststellung war dem Ministerium klar: Die Auswirkungen werden andere sein“, sagte Kläger-Anwalt Frank Boermann zum Prozessauftakt am Dienstag. Ein Ministeriumssprecher wies den Täuschungsvorwurf zurück.

    Die Kläger – neben Privatleuten auch die Gemeinde Kleinmachnow und eine Wohnungsbaugesellschaft – sehen sich um ihre Möglichkeiten gebracht, rechtlich gegen den Planfeststellungsbeschluss vorzugehen. In dem aktuellen Verfahren wollen sie erreichen, dass sie doch noch klagen dürfen. Am Mittwoch sind weitere Kläger aus Mahlow uns Zeuthen am Zug. Sie Wollen den Planfeststellungsbeschluss kippen oder die Kapazität des Flughafens beschränken. In Kleinmachnow war der 2004 genehmigte Planfeststellungsbeschluss gar nicht ausgelegt worden, weil der Ort nach der damaligen Planung nicht überflogen werden sollte. Erst 2010 und damit lange nach dem Planfeststellungsbeschluss und der Anhörung Betroffener wurde bekannt, dass die Flugrouten anders verlaufen als in der Öffentlichkeit angenommen. Ob die Bürger getäuscht wurden, ließ das Gericht bisher offen. Text dpa

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