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JERUSALEM: Wer war der Großmufti an Hitlers Seite?

JERUSALEM

Wer war der Großmufti an Hitlers Seite?

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    Intensives Gespräch: Der Jerusalemer Großmufti Amin al-Husseini traf sich im Dezember 1941 zu einer Besprechung mit Adolf Hitler in der Berliner Reichskanzlei.
    Intensives Gespräch: Der Jerusalemer Großmufti Amin al-Husseini traf sich im Dezember 1941 zu einer Besprechung mit Adolf Hitler in der Berliner Reichskanzlei. Foto: Foto: Heinrich Hoffmann, dpa

    Wer hätte gedacht, dass der Großmufti von Jerusalem, Amin al-Husseini, noch einmal weltweit in den Fokus von Politikern und Historikern geraten würde. Bisher sorgten Debatten über die Rolle, die der Antisemit und arabische Nationalist von den 20er bis zu den 40er Jahren spielte, in erster Linie unter Wissenschaftlern aus dem Nahen Osten für Zündstoff. Doch jetzt hat die Behauptung des israelischen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, dass es der Großmufti war, der Hitler zum systematischen Judenmord angestiftet hat, alles verändert. Und zwar zum Entsetzen auch vieler Israelis.

    Zu ihnen gehört die Chefhistorikerin der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Dina Porat: „Wir zerbrechen uns alle den Kopf, warum Netanjahu das gesagt hat.“ Für Porat, wie für alle ernst zu nehmenden Historiker, steht außer Zweifel, dass Netanjahus Thesen zur Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg schlichtweg falsch sind.

    Abstruse Bemerkungen

    Doch warum hat sich der Regierungschef zu der abstrusen Bemerkung hinreißen lassen, dass erst Amin al-Husseini einen zögerlichen Hitler, erfolgreich dazu gedrängt habe, die Juden massenhaft zu ermorden, statt sie lediglich zu vertreiben? Sicher ist, dass Netanjahu angesichts des derzeit wieder aufflammenden Nahost-Konflikts mit vielen Toten und Verletzten gezielt die Palästinenser und ihren Präsidenten Mahmoud Abbas treffen wollte.

    Zur Wahrheit gehört allerdings, dass dem unseligen Großmufti in Palästina zum Teil Heldenstatus zukommt. Zu den Bewunderern des Muftis gehörte auch PLO-Chef Jassir Arafat. Dennoch: Dass Netanjahu in Kauf nimmt, mit seinen Äußerungen Hitlers historische Schuld zu relativieren, hat ihm in Israel wütende Proteste eingebracht.

    Wer also war Amin al-Husseini? Während das Geburtsjahr bis heute nicht geklärt ist – es liegt je nach Quelle zwischen 1893 und 1897 – wurde die oft verworrene und widersprüchliche politische Laufbahn des Sprosses einer mächtigen Jerusalemer Familie in den letzten Jahren akribisch erforscht.

    Der Historiker Hans Goldenbaum, ein Experte auf diesem Gebiet, hat in der Wochenzeitung „Die Zeit“ geschildert, wie virtuos al-Husseini es verstand, sich bei der damaligen britischen Besatzungsmacht anzudienen, ohne seine eigenen Interessen aus den Augen zu verlieren. Er war damit derart erfolgreich, dass ihn die Briten 1921 als Nachfolger seines im März gestorbenen Stiefbruders Mohammed Kamel al-Husseini zum Großmufti von Jerusalem ernannten. Dabei schien sich die Kolonialmacht nicht zu stören, dass sie einen Antisemiten protegierte. Er erwies sich zudem als äußerst unsicherer Kantonist, als sich eine wachsende Zahl von Palästinensern Mitte der 30er Jahre gegen die Briten und die wachsende Zahl jüdischer Einwanderer auflehnte. Doch als offenbar wurde, dass al-Husseini terroristische Gruppen unterstützte, musste er aus Palästina fliehen. Es begann eine Odyssee über Syrien, Libanon, Iran, Irak und Afghanistan, während der er weiter unablässig seine politischen Pläne verfolgte. Nachdem al-Husseini mit seinem Plan gescheitert war, im Irak einen Aufstand gegen die Briten zu organisieren, landete er in Europa.

    Eine gewisse Symbolik

    Am 9. Dezember 1941 entstand in der Berliner Reichskanzlei ein Foto, das nun erneut Spekulationen und überspannte Fantasien entfacht: Kerzengrade sitzt der Großmufti mit gefalteten Händen auf einem Sofa, den Blick auf einen wild gestikulierenden Adolf Hitler gerichtet. Ein Bild, dem insofern eine gewisse Symbolik innewohnt, da es Hitler war, der sich erhoffte, von seinen Kontakten mit al-Husseini in der arabischen Welt zu profitieren. Es existieren weitere Fotos, die den Mufti zeigen, wie er mit zum Hitlergruß erhobener Hand an Soldaten einer aus albanischen und bosnischen Muslimen aufgestellten Einheit der Waffen-SS vorbeidefiliert.

    Sind dies Indizien für einen nennenswerten Einfluss des Muftis auf die Politik der Nazi-Führung? Historiker Goldenbaum winkt ab: Es sei eher so gewesen, dass die Nazis, da wo es opportun schien, versuchten, sich der Autorität ihres Gastes in der arabischen Welt zu bedienen. Tatsächlich fiel die deutsche Propaganda dort teilweise auf fruchtbaren Boden. Dass al-Hussein den Antisemitismus Hitlers teilte und sich auch die Kriegsziele des Dritten Reiches zu eigen gemacht hat, ist sehr wahrscheinlich. Schließlich setzte er darauf, dass ein Sieg Nazi-Deutschlands und seiner Verbündeten dem arabischen Nationalismus in die Karten spielen könnte. Als sicher kann auch gelten, dass er über die Judenvernichtung im Bilde war.

    Aber dass er, Großmufti Amin el-Husseini, dieses Verbrechen in Gang gesetzt haben soll, ist abenteuerlich. Die planvolle Ermordung von Millionen von Juden wurde von fanatischen Deutschen geplant und organisiert. Und sie hatte Ende 1941 längst begonnen. Al-Husseini tauchte nach dem Krieg wieder als Akteur in Nahost auf. Dort hatte sein Wort weiter Gewicht. 1974 starb er nach einem Herzinfarkt in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Mit Informationen von dpa

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