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UNTERFRANKEN: Wie Gehen unsere Gedanken beeinflusst

UNTERFRANKEN

Wie Gehen unsere Gedanken beeinflusst

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    Wie Gehen unsere Gedanken beeinflusst
    Wie Gehen unsere Gedanken beeinflusst

    Unseren Geist bis ins hohe Alter fit zu halten, wird von Medizinern und Altersforschern immer wieder empfohlen. „Fordern Sie Ihr Gehirn“, rät zum Beispiel die Initiative „Alzheimer Forschung“ (AFI). „Betrachten Sie es wie einen Muskel, der trainiert werden muss, um dauerhaft leistungsfähig zu bleiben.“

    Je mehr das Hirn zu tun bekommt, desto enger vernetzen sich seine Nervenzellen miteinander und umso besser widersteht unsere Schaltzentrale ihrem Abbau. Auch körperlich sollten wir rege bleiben – und zwar nicht nur, um Herz und Kreislauf sowie die Muskulatur in Schuss zu halten, sondern auch, um altersbedingtem Gedächtnisschwund die Stirn zu bieten. Wie Studien mit älteren Menschen ohne Demenz gezeigt haben, beugt schon maßvolles Fitness-Training dem Verlust von Gehirngewebe vor und fördert den Blutfluss in manchen Hirnteilen. Deshalb empfiehlt die AFI: „Laufen Sie Treppen, statt den Aufzug zu benutzen. Gehen Sie viele Wege im Alltag zu Fuß oder benutzen Sie Ihr Fahrrad.“ Wer rastet, der rostet also wirklich: körperlich und geistig.

    Auch der lebenspraktische Philosoph Wilhelm Schmid rät dazu, sich im wahrsten Sinne des Wortes „gehen zu lassen“, und zwar täglich, um so mit Hilfe des Körpers die „Zirkulation der Lebenskräfte“ anzukurbeln und klares Denken zu fördern. In seinem Buch über die Lebenskunst zitiert Schmid den französischen Philosophen und Politiker Michel de Montaigne (1533–1592), der über seinen Geist einmal schrieb, dieser rühre „sich nicht, wenn meine Beine ihn nicht bewegen“. Welch eine Weitsicht!

    Denn was Montaigne zum Ausdruck brachte, bestätigt heute die Hirnforschung. Abstraktes Denken und körperliche Aktion scheinen eng miteinander verzahnt zu sein. Eindrücklich vermitteln das Sprachbilder: Zum Beispiel können wir unseren Geist auf Trab halten oder genauer: in Trab versetzen, indem wir gehen oder laufen. Auch können wir unsere Gedanken auf Wanderschaft schicken, wenn wir selber wandern. Und mehr noch: Wir können kreatives Denken offenbar gezielt lostreten, wenn wir uns passend dazu bewegen.

    Was damit gemeint ist, hat Alejandro Lleras von der University of Illinois mit einer Kollegin in einem verblüffenden Experiment verdeutlicht. Die beiden US- Psychologen stellten 52 Studierende jeweils einzeln vor die Aufgabe, zwei von der Decke hängende Schnüre miteinander zu verknüpfen, wofür nur eine gewisse Zeit zur Verfügung stand. Klingt simpel, doch die Schnüre befanden sich über vier Meter voneinander entfernt und ließen sich deshalb nicht gleichzeitig ergreifen. Verständlicherweise bereitete dieser Umstand den Testpersonen einiges Kopfzerbrechen. Zu allem Überfluss mussten sie auch noch herausfinden, wie ihnen ein Schraubenschlüssel, kleine Hanteln sowie ein Buch beim Lösen des Schnur-Problems helfen sollten. Die Gegenstände lagen eigens, aber ohne eine weitere Erklärung, auf einem Tisch bereit.

    Während die in zwei Gruppen eingeteilten Studenten ihr Hirn anstrengten, stifteten die Studienleiter sie unter einem Vorwand immer wieder dazu an, ihre Arme zu bewegen. Während ein Teil der Versuchsteilnehmer die Arme wiederholt weit ausstrecken musste, sollte der Rest sie mehrfach nach vorne und nach hinten schwingen lassen. Und siehe da: Den Armschwingern fiel die einzig mögliche Lösung des Problems deutlich öfter ein als den Armstreckern. Die Schnüre ließen sich ohne fremde Hilfe nämlich nur auf eine einzige Weise verknüpfen: Man musste etwas Schweres, zum Beispiel den Schraubenschlüssel, an eine der beiden Schnüre binden und diese dann so stark in Schwingung versetzen, dass man sie – inzwischen beim zweiten Seil stehend – mit der Hand einfangen konnte. Diese Lösung fanden 62 Prozent der Armstrecker, aber 85 Prozent der Armschwinger, und dies im Durchschnitt auch noch schneller.

    Alejandro Lleras erklärt das Ergebnis so: „Indem wir die Körperbewegungen von Personen lenken, lenken wir auch ihre Denkprozesse.“ Der Körper gibt dem Hirn durch eine ähnliche Bewegung die Lösung vor, hilft ihm sozusagen auf die Sprünge – oder in diesem Fall treffender: auf die Schwünge. Psychologen nennen das „verkörpertes Begreifen“ (embodied cognition). „Die meisten Leute glauben, dass ihr Geist in ihrem Hirn sitzt und sich, völlig losgelöst vom Körper, mit abstrakten Konzepten beschäftigt“, sagt Lleras. Doch das ist offenkundig falsch. „Die Art und Weise, wie man denkt, wird durch den Körper beeinflusst. Tatsächlich kann man den Körper nutzen, um das Denken zu unterstützen.“

    Um dem Hirn beim Lösen einer kniffligen Aufgabe zu helfen, erscheint es demnach ratsam, vom Schreibtisch aufzustehen und den Körper möglichst vielfältig zu bewegen, also zu hopsen, in die Knie zu gehen oder andere gymnastische Übungen auszuführen. Denn so steigt die Wahrscheinlichkeit, zufällig eine zum Problem passende Bewegung auszuführen, bei der es dann im Oberstübchen Klick macht.

    Dass Motorik und geistige Kreativität offenbar ineinandergreifen, lässt sich auch therapeutisch nutzen. Wenn Reiner Fuchs, Seelsorger in der psychosomatischen Klinik Bad Grönenbach im Allgäu, seine Patienten zum Nachdenken über ein spirituelles und psychisch relevantes Thema anregen möchte, lässt er sie kreuz und quer im Raum umhergehen. Der katholische Theologe hat eine Ausbildung zum Integrativen Leib- und Bewegungspsychotherapeuten absolviert und weiß, dass Stuhlhocker sich schwerer mit Einfällen tun als Menschen, die unterwegs sind.

    „Wir beschäftigen uns hier in der Klinik mit seelischen Vorgängen“, sagt Fuchs. Um diese zu beeinflussen, sei es „wichtig, dass der Körper in Aktion versetzt wird, weil das die Dinge buchstäblich in Gang bringt“. Hinzu kommt: Nicht nur im Leben, sondern auch in Fragen der Religiosität oder Spiritualität gehe es darum, „Stellung zu beziehen und Standpunkte einzunehmen“. Dazu müssten sich die Patienten unter Umständen „neu platzieren“, also alte Positionen verlassen und bisher ungewohnte ausprobieren. Das Gehen bringe sie nicht nur im Therapieraum dorthin, sondern vor allem gedanklich.

    Als ob das alles nicht schon überraschend genug wäre: Unser Körper drückt sogar räumlich aus, ob wir an Künftiges oder Vergangenes denken, wie Psychologen im schottischen Aberdeen herausgefunden haben. Sie veranlassten 20 Studierende dazu, sich ihren Alltag in vier Jahren vorzustellen, und in einem zweiten Schritt, sich an einen typischen Tag vor vier Jahren zu erinnern. Dabei sollten die Versuchspersonen gerade und möglichst locker stehen. Am linken Bein, in Höhe des Knies, trugen sie einen Bewegungssensor. Im ersten, in die Zukunft gerichteten Fall verzeichneten die Forscher eine durchschnittliche Bewegung der Studenten um drei Millimeter nach vorne (wenn man so will: in die Zukunft), beim Erinnern hingegen eine Rückwärtsbewegung um zwei Millimeter. Auch wenn das nicht viel ist, so stützt es doch die Alltagsbeobachtung, dass wir uns beim Denken an früher auf dem Stuhl sinnend nach hinten sinken lassen.

    Überhaupt das Gedächtnis: Einer der entwicklungsgeschichtlich ältesten Hirnbereiche, der Hippocampus, spielt sowohl beim Erinnern als auch bei der räumlichen Orientierung eine ganz wesentliche Rolle. Dort werden aus kurzfristigen Eindrücken langfristig abrufbare Erinnerungen. Arbeitet die seepferdchenförmige Hirnregion nicht mehr richtig, was bei Alzheimer bereits sehr früh der Fall ist, irrt der betroffene Mensch nicht nur orientierungslos umher, sondern kann sich auch an vieles nicht mehr erinnern. Gedächtnistrainer hingegen nutzen gezielt die Doppelfunktion des Hippocampus, um Erinnernswertes quasi räumlich abzuspeichern, weil das den Zugriff auf Gedächtnisinhalte sehr erleichtert. So kann man die Stichworte einer Rede im Hirn wie auf einer Landkarte anordnen. Oder man platziert sie in den Zimmern eines mehrstöckigen Hauses, durch das man im Geiste wandert, um sich an das Gewünschte zu erinnern.

    Auf diese Weise kann man seine Gedanken gut sortieren, also räumlich gesehen in Fächer einordnen. Solche Techniken sind sehr menschengemäß, da wir den allergrößten Teil unserer Geschichte als biologische Art damit zugebracht haben, auf der Suche nach Essbarem oder geeigneten Wohnplätzen durch die Landschaft zu streifen, während unser Hirn die dabei gesammelten Eindrücke verarbeiten und speichern musste. Wenn wir beim Abspulen unserer im Geist zurechtgelegten Rede unterbrochen werden, sagen wir nicht umsonst oft: „Wo war ich gerade stehen geblieben?“ Und wer uns zum Weiterreden ermuntern möchte, ruft uns zu: „Fahren Sie doch bitte fort!“ Zwei Hinweise darauf, dass wir beim Denken einen Weg abschreiten und erst beim letzten Satz unser Ziel erreichen – ganz wörtlich das Ende unseres Gedankengangs.

    Daraus ergeben sich drei drängende Fragen, auf die Wissenschaftler Antworten suchen: Könnte es sein, dass körperliche und gedankliche Trägheit miteinander einhergehen – womit schon wieder so ein bewegter Gedanke geäußert wäre. Und welche Folgen für unsere geistige Kreativität hat unser Leben als lauffaule Sofa-Kartoffeln (couch potatoes), denen schon ein kurzer Abendspaziergang zu mühsam erscheint? Drittens schließlich: Vernetzen sich in den Köpfen unserer Kinder womöglich wichtige Hirnteile nicht so gut, wenn diese täglich stundenlang vor Rechnern und Fernsehgeräten hocken, statt durch ausgedehnte Spielreviere zu streifen, wie es ihre Eltern und vor allem Großeltern viel häufiger taten? Hier sind noch viele Fragen offen.

    Doch inzwischen sind einige Studien zu dem Fazit gelangt, dass körperlich rege Menschen auch geistig von ihrer Fitness profitieren – sei es, weil sich bei ihnen bestimmte Hirnregionen enger verknüpfen, ihr Hirn besser durchblutet ist oder der für die räumliche Orientierung wichtige Hippocampus bei ihnen größer wird oder im Alter wenigstens nicht schrumpft.

    Nach einer schwedischen Studie zum Beispiel liefert die Herz-Kreislauf-Fitness junger Männer eine recht treffende Prognose über deren geistige Leistungskraft im späteren Leben: Wer sich in jungen Jahren bei Ausdauersportarten viel bewegt, verfügt auch später mit großer Wahrscheinlichkeit über ein gut funktionierendes Gehirn und geistige Beweglichkeit. Schiere Muskelkraft, die man sich auch liegend und sitzend im Fitnesscenter antrainieren kann, bewirkt dies nicht. Die Studie aus dem Jahr 2009 ist auch deshalb bemerkenswert, weil die Daten von immerhin 1,2 Millionen schwedischen Rekruten der Geburtsjahrgänge 1950 bis 1976 in sie einflossen.

    Seine eigene Antwort auf die aufgeworfenen Fragen fand schon vor über hundert Jahren Friedrich Nietzsche (1844–1900) in seiner autobiografischen Schrift Ecce Homo. Darin riet der Philosoph allen, die üppige Geistesfrüchte ernten wollen: „So wenig wie möglich sitzen, keinem Gedanken Glauben schenken, der nicht im Freien geboren ist und bei freier Bewegung, in dem nicht auch die Muskeln ein Fest feiern.“ Sitzfleisch sei die „eigentliche Sünde wider den heiligen Geist“ und „nur die ergangenen Gedanken“ seien von Wert. Erstaunliche Worte! Dabei war Nietzsche gar kein Hirnforscher.

    Der Körper bewegt den Geist

    Mit Bewegungen lassen sich dem Hirn nicht nur wertvolle Gedanken entlocken; wir können damit auch unsere Gefühle verändern. Zeitlebens steckt unser Körper schmerzliche Emotionen weg, wodurch wir zu geknickten Menschen werden können. Aber auch schöne Gefühle gehen uns in Fleisch und Blut über, lassen uns aufrecht durchs Leben gehen oder unsere Augen strahlen. Daraus erwachsen Chancen beispielsweise für die Therapie von Depressiven. Denn schmerzlich Niedergeschlagene lassen häufig Kopf und Schultern hängen, oft begleitet von herabfallenden Mundwinkeln. Dummerweise merkt sich das Hirn dabei, dass immer dann, wenn der Körper sich erkennbar deprimiert verhält, tatsächlich Trauer und Schwermut uns plagen. Körperausdruck und Gefühl werden zusammen abgespeichert. Deshalb lacht auch kein Mensch schallend, während er wie ein Häufchen Elend zusammengesunken dasitzt. Das passt nicht zusammen, weshalb unser Hirn diese Kombination nicht kennt. Klinische Psychosomatiker setzen genau hier an, also Fachärzte für leib-seelische Zusammenhänge und entsprechende Leiden. Sie wissen, dass man depressive Menschen mit der Zeit spürbar aufheitern kann, wenn man sie immer wieder Haltungen einnehmen lässt, die zu ihrem gewaltigen Stimmungstief gar nicht passen. Denn nach dem gleichen Prinzip, wie die Seele den Körper lenkt, kann dieser umgekehrt auch die Seele steuern: Kopf und Schultern zu heben, das Kreuz durchzudrücken und zusätzlich noch zu lächeln, hebt nachweislich die Laune, nur trainieren muss man es eine Weile. Wolf-Jürgen Maurer, Chefarzt der psychosomatischen Panorama-Fachklinik in Scheidegg, nennt solche Übungen „Problem-Lösungs-Gymnastik“ und geht mit ihnen gegen die typischen Depressionshaltungen seiner Patienten vor. Text: Walter Schmidt

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