Die Souvenirhändler in der Nähe des Petersplatzes haben sich längst vorbereitet. Mutter Teresa gibt es bei ihnen schon Tage vor dem Großereignis in allen Varianten. Rosenkränze mit Mutter-Teresa-Konterfeis, gerahmte Mutter-Teresa-Fotos oder Mutter-Teresa-Kaffeetassen. Am Sonntag wird Papst Franziskus die 1997 gestorbene Ordensschwester auf dem Petersplatz in Rom heiligsprechen. Zehntausende Pilger und Neugierige werden erwartet.
Manche hielten Mutter Teresa bereits zu Lebzeiten für eine Heilige. Andere wiederum erkennen in ihr vielmehr eine „Medienheilige“ und halten die Kanonisierung für katholische Propaganda. Zweifellos ist Mutter Teresa, die 1910 als Anjezë Bojaxhiu im heutigen Mazedonien geboren wurde, eine der bekanntesten Katholikinnen und zudem ein Symbol. Weit über die katholische Kirche hinaus wird sie als Inbegriff der Barmherzigkeit wahrgenommen.
Kein Wunder also, dass Papst Franziskus bei Mutter Teresa ein ähnliches Tempo einschlug wie Johannes Paul II. Dieser sprach Bojaxhiu bereits 2003, nur sechs Jahre nach ihrem Tod selig; es war die schnellste Seligsprechung der Neuzeit. Drei Jahre nach seinem Amtsantritt hielt auch Franziskus den Moment für gekommen, Mutter Teresa zur Ehre der Altäre zu erheben, wie es im Kirchendeutsch heißt. Das dafür notwendige und angeblich von der künftigen Heiligen bewirkte Wunder, die Heilung eines an mehreren Hirntumoren erkrankten Brasilianers, ist amtskirchlich längst abgesegnet.
Auch Benedikt XVI. verehrte die kleinwüchsige Nonne im weiß-blauen Sari. Gründe, das Heiligsprechungsverfahren besonders zu beschleunigen, sah der rationale Deutsche aber nicht. Franziskus hingegen passt Mutter Teresa bestens ins Programm, die Heiligsprechung gilt als Höhepunkt des noch bis zum 20. November laufenden und von Franziskus ausgerufenen Heiligen Jahres der Barmherzigkeit.
Franziskus hat sein Pontifikat unter dieses Schlagwort gestellt. Die Kirche soll sich nicht mehr als mahnende moralische Instanz über die Menschen erheben, sondern sich ihrer mütterlich annehmen, lautet das Mantra des Papstes. So, wie Mutter Teresa es einst mit den Armen im indischen Kalkutta tat. Der Topos der Peripherie ist zentral im Wirken von Mutter Teresa, so wie er auch zentral für das Pontifikat Jorge Bergoglios ist. Die Kirche müsse aus sich heraus, an die geografischen und existenziellen Peripherien gehen, forderte Franziskus. Aus Sicht des Papstes hat Mutter Teresa diese Mission in ihrer Sorge um Arme und Kranke bereits zu Lebzeiten vorbildlich verwirklicht.
Als Franziskus im Herbst vor zwei Jahren Bojaxhius' Heimat Albanien besuchte, erzählte er eine Geschichte über seine Begegnung mit der Ordensschwester auf der Synode des Jahres 1994. Bischöfe und Ordensleute trafen sich im Vatikan, während der Sitzungen saß Mutter Teresa unmittelbar hinter Bergoglio, damals Weihbischof von Buenos Aires. Er habe „ihre Kraft, die Entschiedenheit ihrer Äußerungen“ bewundert. Bergoglio sagte aber auch: „Wäre sie meine Obere gewesen, hätte ich Angst vor ihr gehabt.“ Angst vor der Barmherzigkeit in Person?
Kritiker haben sogar eine „dunkle Seite der Mutter Teresa“ ausgemacht, wie etwa die kanadischen Wissenschaftler Genevieve Chénard und Serge Larivée in einer gleichnamigen Studie aus dem Jahr 2013. „Unsere Analyse der Fakten deckt sich nicht mit dem Heiligenbild, das die Welt von Mutter Teresa hat“, heißt es in der Arbeit. So sammelte Mutter Teresa vor allem nach ihrer Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis im Jahr 1979 Spendengelder in Millionenhöhe. Nicht alle Spenden kamen direkt Armen, Kranken und Bedürftigen zugute. Das Geld floss vor allem in die Expansion ihres Ordens der „Missionarinnen der Nächstenliebe“, der heute über 5000 Schwestern in weltweit 700 Ordenshäusern umfasst. Ein großer Teil der Spenden ging zudem an den Vatikan, der versichert, das Geld ausschließlich zu guten Zwecken ausgegeben zu haben. Belege dafür gibt es nicht, die Finanzen des Ordens sind bis heute völlig intransparent.
„Das mediale Bild, das wir von Mutter Teresa haben, entspricht nur bedingt der Wirklichkeit“, behauptet die Psychologieprofessorin Chénard, die in ihrer Studie aus dem Jahr 2013 hart mit der künftigen Heiligen ins Gericht geht. Die unterschiedlichen Pole in der Medienberichterstattung über Mutter Teresa lieferten zwei Filme britischer Journalisten. 1969 setzte Malcolm Muggeridge mit einer verherrlichenden Dokumentation in der BBC den Grundstein für die säkulare Bewunderung Mutter Teresas. 1994 lieferte Christopher Hitchens mit „Hells Angel“ (Todesengel) den kritischen Kontrapunkt. Nach Hitchens Darstellung ging Mutter Teresa für ihr Fundraising bei den Reichen und Mächtigen der Welt ein und aus, unter ihren Spendern waren auch dubiose Figuren wie der Diktator von Haiti Jean-Claude Duvalier („Baby Doc“) oder der US-Finanzbetrüger Charles Keating. Für alle hätte sie lobende Worte übrig gehabt.
Ein anderer, von ehemaligen Mitarbeitern erhobener Vorwurf lautet, die hygienischen und medizinischen Zustände in ihren Sterbehospizen seien skandalös gewesen. Heilbare Kranke seien in derselben Manier wie unheilbar Kranke behandelt worden. Spritzennadeln seien unter laufendem Wasser gereinigt, abgelaufene Medikamente verabreicht worden. Bei der Nobelpreisverleihung 1979 in Oslo bezeichnete Mutter Teresa Abtreibung als „größte Bedrohung des Friedens“. Auch dieser Aspekt verbindet sie mit Franziskus: Dass auch der als besonders liberal wahrgenommene Papst ein kompromissloser Gegner von Abtreibung und Gender-Theorie ist, wird oft ausgeblendet.
Doch auch die Kritik an Mutter Teresa hat ihre Schwächen. Zwar wird Mutter Teresa in Kalkutta teilweise noch heute eine zivilisatorisch-kolonialistische Attitüde übel genommen, die das Bild der Stadt als Armenmoloch zementiert habe. Angesichts der hygienischen und sozialen Verhältnisse in den 1950er Jahren mutete ihr Engagement in den Anfangsjahren ihrer Tätigkeit hingegen revolutionär an. Erstmals überhaupt bekamen aufgrund gesellschaftlicher Tabus Ausgegrenzte wie Arme, Waisen, Prostituierte oder Aidskranke Fürsorge. Ihr Tun war später auch Vorbild für viele andere Helfer und Geldgeber.
Der weltlichen Bewunderung von Mutter Teresa liegt zudem ein Missverständnis zu Grunde, das Bojaxhiu einst vergeblich selbst aufzuklären versuchte. Mutter Teresa nahm explizit für sich in Anspruch, keine Wohltäterin, sondern die Initiatorin eines religiösen Projekts zu sein. „Wir sind keine echten Sozialarbeiter“, sagte sie bei ihrer Nobelpreisrede, sondern „Kontemplative im Herzen der Welt“. Nicht Heilung oder gar eine von vielen ihrer Kritiker geforderte soziale Veränderung der Verhältnisse waren ihre Absicht, sondern Mission und die christlich motivierte Linderung des Leids. Auf einem Schild in einer der Sterbehallen ihrer Einrichtungen in Kalkutta war die Aufschrift „Ich bin auf dem Weg in den Himmel“ zu lesen.
„Ihr Dienst war an Jesus selbst gerichtet, der hinter den beängstigenden Gewändern der Ärmsten steckte“, sagte ihr Freund und Förderer Johannes Paul II. anlässlich ihrer Seligsprechung. Auch Papst Franziskus hob im Vorfeld der Heiligsprechung hervor: Mutter Teresa habe nicht im Stile einer Nichtregierungsorganisation, sondern für Jesus Christus gearbeitet. Das ist nicht für jedermann verständlich, aber ein gewichtiger Unterschied in der Ausrichtung der Tätigkeit.
Ein weiterer Aspekt ihrer vermeintlich „dunklen Seite“ kam 2007 mit der Veröffentlichung von Tagebuchnotizen zum Vorschein. Aus ihren Texten ging hervor, dass Mutter Teresa jahrzehntelang unter schweren Glaubenszweifeln, vielleicht auch unter Depressionen litt. Der Vatikan deutete diesen mit der allgemeinen Wahrnehmung als glückliche und vorbildliche Helferin kontrastierenden Aspekt später als besondere Standhaftigkeit um. Am Sonntag auf dem Petersplatz werden die kritischen Aspekte freilich keine Rolle spielen. Mutter Teresa bleibt auch als Heilige eine Projektionsfläche für ganz unterschiedliche Bedürfnisse.
Mutter des Lebens: Stationen ihres Lebens Rund 20 Jahre nach ihrem Tod wird Mutter Teresa am Sonntag von Papst Franziskus heiliggesprochen. In ihrem Orden „Missionarinnen der Nächstenliebe“ im indischen Kolkata (Kalkutta) kümmerte sie sich um die Ärmsten der Armen, die Ausgestoßenen und Todkranken. Die wichtigsten Lebensstationen im Überblick: 26. August 1910: geboren unter dem Namen Anjezë Gonxha Bojaxhiu in Skopje (heutiges Mazedonien) 1928: Eintritt als 18-Jährige in den jesuitennahen Orden der Loreto-Schwestern, Ausbildung als Missionarin 1929: Start als Novizin im indischen Darjeeling als Schwester Teresa (zur Erinnerung an die Heilige Thérese von Lisieux) 1937: Ablegung des letzten Ordensgelübdes; sie nennt sich fortan Mutter Teresa 1946: göttliche Eingebung während der Zugfahrt von Kolkata nach Darjeeling; Entschluss, einen Missionsorden zu gründen bis 1948: Lehrerin an Schule ihres Ordens in Kolkata 1950: Gründung des Frauenordens der „Missionarinnen der Nächstenliebe“ ab 1952: Eröffnung von Kinderhäusern und Hospizen 1979: Verleihung des Friedensnobelspreises 1997: Mutter Teresa gibt die Ordensleitung ab 5. September 1997: Mutter Teresa stirbt 2003: Seligsprechung durch Papst Johannes Paul II. 4. September 2016: Heiligsprechung dpa