Ingeborg Hauf hat wache Augen, einen kräftigen Händedruck und eine feste Stimme. Wenn man sie so vor sich sieht, würde man nie und nimmer denken, dass sie schon 76 Jahre alt ist. Aber sie haben sie ja nicht gesehen, die Trickbetrüger aus Polen, die versucht haben, die Rentnerin aus Günzburg am Telefon um einen Haufen Geld zu prellen. Der sogenannte Enkeltrick, der bei vielen unbedarften Senioren funktioniert, ist in diesem Fall glatt nach hinten losgegangen. Denn die freundliche Oma Inge hat die Betrüger selbst übers Ohr gehauen.
Die Geschichte beginnt vor eineinhalb Jahren. Da haben sie es schon einmal versucht. Ingeborg Hauf hat damals gleich den Braten gerochen, weil der Anrufer sie „Ingeborg“ nannte. Das macht niemand. Sie ging auf den Betrugsversuch ein. Doch irgendeine Äußerung am Telefon muss falsch gewesen sein. Denn der mutmaßliche Betrüger am anderen Ende legte auf und meldete sich nie wieder. Seitdem hat sich die Seniorin geradezu gewünscht, dass sie noch einmal solch einen Anruf bekommt. „Ich habe mir vorgenommen, die leg' ich rein“, sagt Hauf. Und die Trickbetrüger-Mafia tut ihr den Gefallen.
Nun ist es das eine, sich so etwas vorzunehmen. Das andere aber, es dann wirklich zu versuchen und auch noch zu schaffen. Denn Inge Hauf hat es mit cleveren Gegenspielern zu tun. Ungefähr seit 2006 hat das Phänomen „Enkeltrick-Betrug“ stark zugenommen. Nach Angaben des bayerischen Innenministeriums wurden in den Jahren 2013 und 2014 je 1445 Fälle bei der Polizei registriert. Im vergangenen Jahr explodierte die Zahl auf 3819.
Straff organisierte Banden telefonieren systematisch deutsche Telefonbücher durch. Oft sind die Täter Mitglieder eines Familienclans in Osteuropa. Sie suchen gezielt nach Vornamen, die nicht modern klingen. Sie sind rhetorisch geschult und wissen, wie man Menschen in ein Gespräch verwickelt und nicht mehr auskommen lässt. Das Muster ist immer dasselbe. Der Betrugsschaden in Deutschland geht jährlich in die Millionen. Geld, das Rentnern oft als Notgroschen fürs Alter dienen sollte. Eine perfide Methode, die für die Täter auch noch „relativ komfortabel“ ist, wie der Neu-Ulmer Kripochef Jürgen Schweizer sagt.
Doch Inge Hauf hat viel über die miesen Tricks der Betrüger in der Zeitung gelesen. Und so ist sie gewappnet, als eines Nachmittags in diesem Frühjahr das Telefon in ihrer Günzburger Wohnung klingelt. Es meldet sich eine junge Frau – „eine sehr angenehme Stimme“, berichtet Hauf. Sie spricht akzentfrei deutsch und steigt auf genau jene Weise in das Gespräch ein, vor der die Polizei seit Jahren warnt: „Hallo Oma, kennst du mich denn nicht mehr?“ Bei Frau Hauf schrillen die Alarmglocken. Sie könnte jetzt einfach auflegen. Doch sie will es wissen und nimmt alle Konzentration zusammen.
„Sabine, bist du es?“, fragt sie mit gespielt brüchiger Stimme zurück. Die Betrügerin am anderen Ende glaubt, sie hat ein Opfer am Haken. Dabei ist es genau umgekehrt.
Inge Hauf schreibt sich den Namen Sabine auf, damit sie später keinen Fehler macht. „Sabine“ fährt fort, nun kommen einige Kontrollfragen: „Bist du allein?“ „Ja“, antwortet Hauf, „du weißt doch, ich habe niemanden mehr.
“ Wenn die Betrügerin wüsste, dass sie die Witwe eines Polizeibeamten am Apparat hat, wäre sie wahrscheinlich vorsichtiger. So aber setzt sie das Gespräch nach bewährtem Muster fort. „Hast du ein Handy“, lautet eine der Kontrollfragen. Hintergrund: Die Enkeltrickbetrüger setzen ihre Opfer meist stundenlang mit dutzenden Anrufen unter Druck und wollen verhindern, dass die Senioren in der Zwischenzeit jemanden kontaktieren, der Verdacht schöpft.
So auch bei Inge Hauf. Sie verneint die Frage nach einem Handy. Dann sagt „Sabine“, sie melde sich gleich wieder. Hauf ruft mit dem Handy ihren Sohn zu Hilfe, der sofort kommt. Beim nächsten Anruf wenige Minuten später geht die 76-Jährige in die Offensive: „Sabine, was ist los, brauchst du Geld?“ Die junge Frau am Telefon kann vermutlich ihr Glück kaum fassen, dass die „Omi“ von sich aus auf den Punkt kommt. Erst ist die Rede von 2000 bis 3000 Euro. Sie brauche das Geld für eine Immobilie. Dann bietet Inge Hauf von sich aus 14 000 Euro an – ihr Notgroschen, den sie auf der Bank habe.
Das Telefon hat die clevere Rentnerin mittlerweile auf laut gestellt, ihr Sohn hört alles mit. Auch die Polizei ist verständigt. Weil der Handy-Akku leer ist und die Festnetzleitung für die Betrüger frei bleiben muss, kommen zwei Zivilpolizisten in die Wohnung. Die ganze Szenerie nimmt Formen wie in einem Fernsehkrimi an.
„Sabine“ ruft wieder an. „Alle fünf Minuten hat das Telefon geläutet“, so Hauf. Jetzt geht es ans Eingemachte. Der Telefon-Lockvogel kündigt den Anruf eines Bankmitarbeiters an. Der kommt prompt. Der Mann nennt sich – einfallsreich – „Thomas Müller“. Die Rede ist von einer Blitzüberweisung. Inge Hauf gibt die Bankleitzahl an und eine Fantasie-Kontonummer. „Müller“ legt auf – um gleich wieder anzurufen. Es sei etwas schiefgegangen. Man brauche das Geld jetzt doch in bar. Ein Notar werde sich melden.
Der „Notar“ meldet sich. Er gibt sich als Kollege eines – tatsächlich existierenden – Günzburger Notars aus. Er werde einen Mitarbeiter schicken, der das Geld abholt. „Sabine“ will Inge Hauf zu einer nahe gelegenen Kirche lotsen. Haufs Sohn und die Polizisten beobachten derweil durch ein kleines Fenster, wie ein junger Mann draußen auf und ab geht und immer wieder mit dem Handy telefoniert. Er ist verdächtig.
Inge Hauf nimmt ein großes Kuvert und steckt zerschnittene Zeitungen hinein. Für den Fall, dass etwas schiefläuft und die Betrüger doch irgendwie an das Kuvert kommen, erlaubt sie sich einen Scherz: Sie schreibt auf den Umschlag „Für Sabine, Gruß Oma“. Als eine erste Übergabe scheitert, schreit „Sabine“ ins Telefon: „Oma, wo warst du?“
Es klingelt wieder. Und wie Inge Hauf dann reagiert, das nötigt selbst erfahrenen Polizisten höchsten Respekt ab. Denn es meldet sich die „Kripo Kempten“ mit der Frage: „Ist die Kripo schon vor Ort?“ Wie viele wären reingefallen? Inge Hauf bleibt raffiniert. „Wieso Polizei, ich habe keine Polizei gerufen“, antwortet sie. „Brennt es nicht bei Ihnen?“ „Nein.“ „Dann muss es eine Verwechslung sein.“
Es war keine Verwechslung. Sondern die letzte Absicherung der Täter. Fast 40 Anrufe sind es bisher. „Sabine“ beordert ihre „Oma“ zur Kirche. Es soll nun zur Geldübergabe kommen. Frau Hauf geht mit dem Kuvert hinaus. „Ich bin extra gehumpelt.“ Sie sieht den jungen Mann mit Käppi und Umhängetasche. Jetzt hat die Rentnerin doch ein wenig Angst. Polizisten kann sie keine entdecken, denkt aber an die Worte eines Beamten: „Vertrauen Sie uns.“
Der Mann nähert sich. Er ruft „Hallo“. Sie ruft „Hallo“. Er überquert die Straße. Als sie sich gegenüberstehen, geht alles blitzschnell. Ein kräftiger Mann packt den Betrüger von hinten und drückt ihn gegen eine Wand. Es gibt ein Gerangel, zwei weitere Zivilpolizisten eilen herbei. Außerdem rauschen wie aus dem Nichts zwei Polizeiautos heran. Reifen quietschen. Die Beamten ringen den Betrüger nieder, fesseln ihn. Hauf steht staunend dabei.
Die Spur führt nach Polen. Der Festgenommene ist amerikanischer Staatsbürger polnischer Herkunft. Sein Auto steht vor einem Günzburger Hotel. Die Kripo versucht nun, an Hintermänner und Mittäter zu kommen. Einfach wird das nicht. Die Trickbetrüger-Banden arbeiten höchst professionell. Sie betreiben regelrechte „Callcenter“, teils in schicken Büro-Hochhäusern, von denen aus systematisch deutsche Senioren kontaktiert werden. Sie telefonieren über anonyme Handys mit Prepaid-Karten. Die werden einfach weggeworfen, wenn etwas schiefgeht, berichtet Kripochef Jürgen Schweizer.
In einer grenzüberschreitenden Aktion haben deutsche und polnische Ermittler jüngst drei Betrüger-Clans das Handwerk gelegt. Die Täter sind teils beim Telefonieren in Breslau, Danzig und Posen ertappt worden. Die Zahl der Betrugsversuche in München fiel nach den Festnahmen von 831 im Jahr 2015 auf bisher null in diesem Jahr. In überwachten Telefonaten krimineller Kreise hörten die Ermittler, dass es in München „zu heiß“ geworden ist.
Doch solche Erfolge sind selten. In der Regel werden Trickbetrüger und ihre Hintermänner nicht gefasst. Das hat verschiedene Gründe. Neben dem ausgeklügelten Vorgehen der Täter ist es auch das Verhalten der Opfer, das die Aufklärung erschwert. Häufig werden solche Fälle gar nicht gemeldet.
Die Tübinger Psychologin und Kriminologin Ursula Gasch kennt Antworten: „Die Senioren schämen sich sehr und machen sich Vorwürfe.“ Die Verunsicherung wächst, das Selbstwertgefühl bröckelt. „Bin ich wirklich schon so alt, dass mir so etwas passiert?“, fragen sich viele. Gleichzeitig wächst die Angst und das Misstrauen gegenüber anderen. Eine Spirale setzt sich in Gang, so Gasch. „Die Opfer werden psychisch regelrecht zerstört, das geht bis zu Suizidgedanken.“
Die Psychologin kann auch erklären, warum Rentner leichter zu Opfern werden. Eine US-Studie habe nachgewiesen, dass ältere Menschen Fremden eher vertrauen und das „Bauchgefühl“ gegenüber anderen lasse nach. Die Aktivität in den entsprechenden Hirnregionen gehe zurück, zeigen Studien. Zudem seien viele Senioren geistig und sozial wenig aktiv, ihnen fehlt das „Gehirnjogging“.
Und viele sind einsam. „Wenn sich dann mal ein Enkel meldet, saugen sie diese Zuwendung auf wie ein Schwamm“, sagt Gasch. Zudem haben die Betrüger Tricks: Sie appellieren an das Mitleid und an verwandtschaftliche Bande. Und sie bringen angebliche Autoritäten wie Notare oder Rechtsanwälte ins Spiel. Da sind Senioren besonders empfänglich.
Umso mehr Respekt hat Kripochef Schweizer: „Frau Hauf hat das toll gemacht, ich bin nicht sicher, dass ich das hinkriegen würde. Aber handeln Sie nur so, wenn Sie sich dem Druck mental gewachsen fühlen – und niemals ohne Rücksprache mit der Polizei.“ Seine Freude über den Coup der cleveren Oma Inge kann auch der Kripochef nicht verbergen.
Hauf ist jetzt ein kleiner Star in Günzburg. Die kontaktfreudige Seniorin wird auf der Straße angesprochen und für ihre Courage gelobt. Sie sagt: „Das hat mir richtig Spaß gemacht.“ Doch ein zweites Mal braucht sie die ganze Aufregung nicht mehr. Inge Hauf hat sich gleich nach dem Vorfall eine geheime Telefonnummer zugelegt.
So schützen Sie sich vor Enkeltrick-Betrügern
Trickbetrüger sind auch in Unterfranken unterwegs – und mit ihrer Masche immer wieder, wie das Polizeipräsidium schreibt, „leider auch erfolgreich“. Oft berichtet die Polizei über ganze Serien von Enkeltrick-Versuchen. Doch man kann sich wappnen. Die Polizei und rät Folgendes:
• Überlegen Sie sich, ob und wie Sie Ihre Telefonnummer ins Telefonbuch eintragen lassen. Verzichten Sie auf ausgeschriebene Vornamen, denn Täter suchen gezielt nach Vornamen, die früher verwendet wurden.
• Seien Sie wachsam bei Anrufern, die ihren Namen nicht sofort nennen. Die Floskel „Erkennst du mich denn nicht?“ oder ähnlich muss Sie alarmieren.
• Stellen Sie Fragen, die tatsächlich nur Familienangehörige richtig beantworten können.
• Geben Sie keine Auskünfte über Barvermögen im Haus oder auf Ihren Konten.
• Lassen Sie sich von den Anrufern eine Telefonnummer für einen Rückruf geben.
• Fragen Sie sich, warum ein angeblicher Verwandter nicht selbst vorbeikommt und Sie um das Geld bittet.
• Geben Sie kein Geld an unbekannte Personen heraus. Überweisen Sie niemals Geld auf unbekannte Konten.
• Folgen Sie nicht der Aufforderung, zur Bank zu gehen, um Geld abzuheben. Sie müssen davon ausgehen, dass Sie beobachtet werden.
• Merken Sie sich möglichst viele Details: Geschlecht des Anrufers, Stimmlage, Akzent, Anrufer-Telefonnummer.
• Scheuen Sie sich nicht, einfach aufzulegen. Informieren Sie über den Notruf 110 sofort die Polizei, wenn Ihnen etwas verdächtig vorkommt.