„Aktenzeichen XY ungelöst“ ist ein Stück Fernsehgeschichte. Seit 50 Jahren hilft das ZDF der Polizei bei der Fahndung nach Schwerverbrechern. Wie sich Moderator Rudi Cerne den Erfolg der Sendung erklärt.
Herr Cerne, bekamen Sie auch Angst als Kind, wenn Sie die Einspielfilme bei „Aktenzeichen XY“ sahen?
Rudi Cerne: Als die Sendung erstmals lief, war ich neun Jahre alt und durfte sie nicht sehen. Sie war aber großes Thema an unserer Schule.
Diese Filme mit Laiendarstellern, in denen ein Tatgeschehen nachgestellt wurde, wirkten auf Kinder sehr real ...
Cerne: ... Ja, und ich habe anfangs, als ich sie dann sehen durfte, den Unterschied zwischen Fiktion und Realität gar nicht so wirklich wahrgenommen. Ich war auch irritiert, dass der Täter eigentlich immer zu sehen war.
Fast schon beruhigend in ihrer Korrektheit muteten dagegen die Moderatoren Eduard Zimmermann sowie Peter Nidetzky aus Wien und Konrad Toenz aus Zürich auf Zuschauer an.
Cerne: Diese Mischung erklärt sicher einen Teil des Erfolgs von „Aktenzeichen XY“. Die Moderatoren waren ja Moderatoren im klassischen Sinne - also Vermittler. Gerade Eduard Zimmermann hat diese Rolle perfekt ausgefüllt. Auf der einen Seite der Abgrund, die Grausamkeit - auf der anderen Seite der Moderator, der in gewisser Weise eine beruhigende Funktion hat.
Wie erlebten Sie Zimmermann?
Cerne: Für mich war er als Moderator eine Legende. Doch erst als ich ihn kennenlernte, ist mir bewusst geworden, was er da ins Leben gerufen hatte: „Aktenzeichen XY ungelöst“ ist eine Säule der Fernsehlandschaft, nach wie vor. Ich erinnere mich gut an seine ersten Worte in der Sendung: „Den Bildschirm zur Verbrechensbekämpfung einzusetzen, das ist der Sinn dieser Sendung.“ Im Prinzip ist „XY“ Vorläufer des interaktiven Fernsehens.
Sie übernahmen die Sendung im Jahr 2002, Zimmermann starb 2009. Was war Ihr erster Eindruck von ihm?
Cerne: Ich bin ihm das erste Mal in Zürich am Bahnhof begegnet. Er hatte mich gefragt, ob ich die Sendung moderieren wolle, und nun wollten wir Einzelheiten besprechen. Er war eine imposante Figur und erschien mir größer, als ich ihn vom Fernsehen her in Erinnerung hatte. Mit seinem hellen Trenchcoat und seiner lässigen Art hat er mich sehr beeindruckt.
Hat er Ihnen eigentlich einen Rat gegeben?
Cerne: Er sagte, ich solle so bleiben, wie ich bin. „Wir wollen Sie deshalb engagieren, weil Sie so eine leichte Art haben mit schweren Themen umzugehen“, meinte er. Und: „Versuchen Sie nicht, mich zu kopieren.“
Wie erklären Sie sich, dass noch immer Millionen „XY“ sehen? Dabei sind das TV-Programm und das Internet doch voller fiktiver und echter Gewalt.
Cerne: „Aktenzeichen XY“ ist wie eine Konstante im deutschen Fernsehen; Zuschauer wissen, was auf sie zukommt. Das heißt nicht, dass wir nichts verändern würden. Aber wir achten sehr darauf, den Kern der Sendung beizubehalten. Wir bilden die Realität ab, und die ist grausam. Zugleich besteht Grund zur Hoffnung: Wir haben eine Aufklärungsquote von 40 Prozent.
Wie hat sich im Laufe der Jahre das Verbrechen geändert?
Cerne: Die Gewaltbereitschaft ist höher und das Verbrechen ist jünger geworden. Die Täter sind also jünger, und Gewalt wird schon angewendet, wenn es um kleine Geldbeträge geht.
Hat sich das auf die Auswahl der Fälle ausgewirkt, die Sie vorstellen?
Cerne: Wir zeigen ja auf Bitten der Polizei die Fälle, die besonders schwere Verbrechen sind. Mord, Totschlag, bewaffneter Raubüberfall, Entführung, Vergewaltigung.
Wo hat „Aktenzeichen XY“ seine Grenzen?
Cerne: Wir zeigen auf keinen Fall besonders brutale Szenen, auch mit Rücksicht auf die Angehörigen. Wir dürfen die Grenze des Zumutbaren nicht überschreiten.
Sie befassen sich intensiv mit dem Thema Verbrechen. Wirkt sich das auf Ihr Privatleben aus?
Cerne: Es gibt einen kostenfreien Service der Polizei. Da kommt jemand zu Ihnen in die Wohnung oder ins Haus und berät Sie hinsichtlich der Sicherheitsvorkehrungen. Den habe ich genutzt. Ansonsten hat sich mein Leben nicht verändert. Ich bin kein ängstlicher Mensch - aber ein vorsichtiger. Meine Vorsicht hat sich durch „Aktenzeichen XY“ bestätigt.
50 Jahre „Aktenzeichen XY ungelöst“: Der ZDF-Dauerbrenner im Rückblick Rudi Cerne wurde 1958 in Wanne-Eickel im Ruhrgebiet geboren. Vor seiner Fernsehkarriere war er erfolgreicher Eiskunstläufer. Unter anderem gewann er bei den Eiskunstlauf-Europameisterschaften 1984 eine Silbermedaille. 1988 wurde er dann freier Mitarbeiter in der Sportredaktion des WDR in Köln. Später moderierte er zudem die ARD-„Sportschau“. 1996 wechselte er zum ZDF, wo er 1999 Moderator des „aktuellen sportstudios“ wurde. Aktenzeichen XY wurde am 20. Oktober 1967 erstmals gesendet, aus Halle 1A des ZDF-Studio Wiesbaden. Eduard Zimmermann hatte die Idee zu dem Format, das später weltweit nachgeahmt wurde, und moderierte es auch. Bereits ab 1964 präsentierte der Münchner die ebenfalls von ihm ins Leben gerufene ZDF-Reihe „Vorsicht Falle! - Nepper, Schlepper, Bauernfänger“. 1976 war er Mitgründer des Opferhilfevereins „Weißer Ring“. Sendungs-Chronik: Am 7. Juni 1968 wird zum ersten Mal ein Mord mit Zuschauerhilfe aufgeklärt. Schon am 24. Januar 1969 wird „Aktenzeichen XY“ erstmals als Eurovisionssendung ausgestrahlt – als Kooperation von deutschem, österreichischem und Schweizer Fernsehen. September 1969 kommt sie aus dem TV-Studio München in Unterföhring. Am 24. Oktober 1997 moderiert Zimmermann die 300. Folge - und verabschiedet sich. Am 18. Januar 2002 übernimmt Rudi Cerne die Moderation von Butz Peters. TV-Tipp: Das ZDF zeigt zum Jubiläum mehrere Sendungen, so am Mittwoch, 4. Oktober, um 20.15 Uhr die Live-Sendung „Aktenzeichen XY-Spezial: Vorsicht, Betrug!“. wida/FOTO: dpa