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PARIS: Wird Pressefreiheit ein Luxusgut?

PARIS

Wird Pressefreiheit ein Luxusgut?

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    Graffitis in Paris erinnern an den Angriff auf „Charlie Hebdo“. Doch bei aller Anteilnahme: Das Satiremagazin kämpft ums Überleben.
    Graffitis in Paris erinnern an den Angriff auf „Charlie Hebdo“. Doch bei aller Anteilnahme: Das Satiremagazin kämpft ums Überleben. Foto: Foto: Joël Saget, afp

    Die Adresse der Redaktion wird nicht herausgegeben. Streng bewacht und abgesichert ist sie, mehrere Mitarbeiter von „Charlie Hebdo“ stehen unter ständigem Polizeischutz. Er zeige sich nie öffentlich mit seiner Frau, sagt einer von ihnen – um sie nicht mit zu gefährden. „Drei Jahre in einer Konservenbüchse“, so nennt das Satiremagazin auf dem Titel seiner aktuellen Ausgabe die eigene Arbeit in einer Art Hochsicherheitstrakt. In ihr setzt es sich mit Attentat vom 7. Januar 2015 auseinander – „diesem blutroten Datum, das zwei Leben voneinander trennt“. Mit derben Karikaturen schonungslos zu provozieren kann lebensgefährlich sein: Das erfuhr „Charlie Hebdo“ an jenem Tag auf schmerzliche Art und Weise.

    Die Mittwochskonferenz lief gerade in gewohnt ausgelassener Stimmung, als die mit Sturmgewehren bewaffneten Brüder Chérif und Said Kouachi in die Redaktionsräume stürmten, die sich damals in der Nähe des Place de la République in Paris befanden.

    Zwölf Menschen erschossen sie, darunter zwei Polizisten und mehrere der Mitarbeiter, die den Stil des Satireheftes maßgeblich geprägt hatten – unter ihnen Herausgeber und Zeichner Stéphane Charbonnier („Charb“) sowie die Zeichner Jean Cabut („Cabu“), Georges Wolinski und Bernard Verlhac („Tignous“). Viele Franzosen waren so erschüttert, als hätten sie enge Freunde verloren.

    „Charlie Hebdo“ war eine Zielscheibe mit starkem symbolischen Wert

    Und der Horror war noch nicht vorbei. An den beiden Folgetagen tötete der Terrorist Amédy Coulibaly zunächst eine Polizistin und bei einer Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt vier weitere Menschen. Er kannte die Kouachi-Brüder, hatte wie sie Verbindungen zu Terrororganisationen. Diese wählten „Charlie Hebdo“ als Zielscheibe mit starkem symbolischem Wert aus: Kaum ein anderes französisches Medium steht mehr für Presse- und Meinungsfreiheit, für das Recht, alles und jeden zu verspotten. Auch Mohammed, der wie die Vertreter aller anderen Religionen regelmäßig abgebildet wurde. „Wir haben den Propheten gerächt“, riefen die Terroristen vor ihrer Flucht, bei der sie schließlich erschossen wurden. Und: „Wir haben Charlie getötet!“

    Die Titelseite des Magazins drei Jahre nach dem Anschlag
    Die Titelseite des Magazins drei Jahre nach dem Anschlag Foto: Foto: dpa

    Doch sie täuschten sich. An diesem 7. Januar 2015 wurde „Charlie Hebdo“ zwar tief getroffen – aber nicht vernichtet. Nur wenige Tage nach dem Attentat stellte die verbliebene Redaktion eine trotzige „Ausgabe der Überlebenden“ zusammen. Mit einer Auflage von fast acht Millionen und dem Verkauf in rund 25 Länder war ihr Erfolg überwältigend. „Alles ist verziehen“, prangte auf dem Titel über einem weinenden Mohammed, der ein Schild mit der Aufschrift „Je suis Charlie“ („Ich bin Charlie“) hochhielt. Der Slogan wurde allgegenwärtig. Allein in Paris beteiligten sich mehr als 1,5 Millionen Menschen an einem Solidaritätsmarsch, zu dem Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt kamen.

    Das Team versuchte, weiter zu machen

    Die Millioneneinnahmen und zahlreiche Spenden – die für Unruhe und Streit in der Redaktion sorgten – ermöglichten der Zeitschrift weiterzumachen, die vor dem Anschlag vor dem Ruin stand. Denn die großen Zeiten des Kultmagazins waren längst vorbei. Für viele hatte sich die einst feine Satire zu stark ins Geschmacklos-Vulgäre gedreht – ein Vorwurf, der sich heute noch verstärkt hat.

    Das dezimierte Team versuchte sich nach dem Schock neu zu orientieren. Trotz allem werde immer noch viel gemeinsam gelacht, versichern die Journalisten. Weil aus Deutschland die meisten Solidaritätsbezeugungen kamen, startete Ende 2016 eine deutschsprachige Version – wurde nach einem Jahr mangels Erfolg jedoch wieder eingestellt. Auch die Umsätze der französischen Ausgabe sanken inzwischen so stark, dass es erneut finanzielle Engpässe gibt.

    Auf bis zu 1,5 Millionen Euro pro Jahr beziffert „Charlie Hebdo“ die eigenen Kosten für die Sicherheitsmaßnahmen. Obwohl auf Karikaturen von Mohammed verzichtet wird, erhält die Redaktion weiter brutale Drohungen. „Herr Präsident, ist es gerecht, dass wir uns unser Leben erkaufen müssen, indem wir unsere eigene Privatpolizei bezahlen?“, richtet sich ein Leitartikel in der aktuellen Ausgabe direkt an Staatschef Emmanuel Macron. Was würde passieren, wenn die Gelder dafür fehlten?, fragt Redaktionsleiter Riss. Drei Jahre nach dem Anschlag, klagt er, werde die Pressefreiheit zu einem „Luxusprodukt“.

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