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Wo einmal die Straße war

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Wo einmal die Straße war

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    Wo einmal die Straße war
    Wo einmal die Straße war

    Ist der Druck groß, wird die Sprache deutlich: „Wenn wir in den nächsten Tagen ein Scheißwetter bekommen, haben wir keine Chance“, hat Karl Poppeller noch vor kurzem gesagt. Denn bei Scheißwetter gehe alles nur zäh voran. Dabei sei der Schaden schon groß genug, so der Vorstand der Felbertauern AG. Seit Mitte Mai ist die Passstraße über den Felbertauern unpassierbar. Ein Felssturz zermalmte die Schildalmgalerie und machte binnen Sekunden eine der wichtigsten Nord-Süd-Achsen in Österreich zur Sackgasse.

    Die Absturzstelle ist noch immer zu gefährlich, um sie großflächig räumen zu können. Derzeit wird der Felssturz mit Ankern und Netzen gesichert, bevor es an dieser Stelle überhaupt richtig losgehen kann. Dafür sieht es mit dem Bau der Ersatzstraße, die den Felbertauern mit dem tiefer gelegenen Tauerntal verbindet, schon ziemlich gut aus. Der Plan sah kein „Scheißwetter“ vor, und so ist es auch gekommen: Ende Juli werden die ersten Fahrzeuge über die 1,4 Kilometer lange Trasse rollen können; andernfalls wären der Straßengesellschaft und der Urlaubsregion die ertragreichen Sommermonate gänzlich verloren gegangen. Schon jetzt ist der Felsabbruch die größte Katastrophe in der Geschichte der Straße, die seit 1967 über den Felbertauern führt.

    Wie geht es nun weiter? Das fragen sich auch zwei Motorradfahrer in schwarzer Ledermontur. Sie haben ihre Maschinen am Straßenrand abgestellt und studieren die Landkarte. Über ihnen das hektisch blinkende Warnschild, vor ihnen die geschlossene Schranke. Der Felbertauern gesperrt? Das wussten sie nicht. Sie wollten nach Kärnten. Nun stehen sie da. Und suchen nach einer alternativen Route.

    Hinter der Schranke ist es einsam. In den Sommermonaten kurven bis zu 10 000 Fahrzeuge am Tag die Serpentinen hinauf. Nun nutzen ein paar Radler die abgasfreie Passstraße. Drei Autofahrer haben sich bis zum Parkplatz vor der Elisabethgalerie hinaufgewagt. Und manche Urlauber ignorieren die Warnschilder bis hinauf zum Tunnel-Nordportal, wo sie von einem Angestellten der Felbertauern AG freundlich aber bestimmt zurückgeschickt werden.

    Der Felssturz am 14. Mai machte die gesamte Region zwischen Mittersill und Matrei zur verkehrsberuhigten Zone – gezwungenermaßen. 17 000 Kubikmeter Felsgestein lösten sich in jener Nacht gut hundert Meter über der Schildalmgalerie. Der halb offene Tunnel wurde auf einer Länge von 300 Metern einfach plattgemacht. Von der Lawinenverbauung sind nur noch Betonbrösel übrig. Baumstämme und Felsen liegen in einem wilden Durcheinander auf dem, was von der einstigen Straße noch zu sehen ist. „Nicht auszudenken, wenn dieses Unglück an einem Freitagnachmittag passiert wäre“, sagt Karl Poppeller. Es hätte wohl viele Tote gegeben.

    Aber es passierte an einem Dienstag, und dann auch noch nachts gegen 1.30 Uhr. Ein holländischer Autofahrer kam als Erster an die Unglücksstelle. Wenige Augenblicke zuvor müssen die Felsen herabgedonnert sein. Auf einmal stand er mit seinem Fahrzeug vor einer riesigen Felsenbarriere. Die Luft voller Gesteinsstaub. Hätte er etwas mehr aufs Gas gedrückt, wäre er wohl samt seinem Fahrzeug unter den Felsmassen begraben worden. Zunächst vermuteten die Einsatzkräfte, ein anderes Fahrzeug könnte verschüttet worden sein. Hubschrauber mit Wärmebildkameras flogen die Stelle mehrfach ab, doch ohne Ergebnis. Auch in den folgenden Wochen wurde niemand als vermisst gemeldet. „Wir gehen mittlerweile davon aus, dass niemand unter den Trümmern liegt“, sagt Poppeller. Letztendliche Gewissheit gebe es aber erst dann, wenn die Bagger an die Stelle vorrücken können.

    Der wirtschaftliche Schaden durch den Felssturz ist enorm. 1,3 Millionen Autofahrer im Jahr nutzen die Felbertauern-Verbindung nach Osttirol und weiter an die obere Adria oder Slowenien. Die Felbertauern AG nimmt in den drei Sommermonaten 50 Prozent ihrer Mautgebühren ein, das sind etwa 4,5 Millionen Euro. Der Schaden an der Straße macht auch noch einmal drei Millionen Euro aus. Und dann geht der Bau der Ersatzstraße noch mit rund 1,5 Millionen Euro ins Geld.

    Doch an der Verkehrsachse hängt die ganze Urlaubsregion Osttirol. Das Iseltal etwa: 70 Prozent der Sommerurlauber reisen normalerweise über den Felbertauern an. Matrei hat dieses Jahr einen Buchungsrückgang von 15 Prozent. Die Pendler, die täglich von Lienz nach Mittersill fahren, haben ihren ganz eigenen Weg gefunden, damit sie weiterkommen. Sie fahren mit dem Postbus bis zum Tauernhaus, steigen über einen Schotterweg 100 Höhenmeter auf und steigen dann in den Tiroler Postbus, der vor dem Tunnel wartet, um schließlich nach Mittersill oder sogar bis nach Kitzbühel zu pendeln. „Die meisten nehmen die Umstände ganz sportlich“, so Poppeller.

    In der Tat. Rund 20 Minuten dauert der ungewollte Frühsport, so das Schild unten an der Tauernstraße. Der Rekord eines Mitarbeiters der Felbertauern AG liegt mittlerweile bei acht Minuten. Die sportlichste Leistung im improvisierten Pendlerverkehr bringt aber der Busfahrer, der den Höhenunterschied mehrfach am Tag hinauf und hinunter zurücklegt, um seine Fahrgäste ans Ziel zu bringen. Sogar ein Gepäckservice mit einem geländegängigen Fahrzeug wurde mittlerweile für die Pendler eingerichtet.

    Bislang diente die Tauernstraße Motorradfahrern und Wanderern als bequemer Einstieg in den Nationalpark Hohe Tauern. In ein paar Wochen wird das Sträßchen provisorische Hauptverkehrsader. Auf Höhe des Tauernhauses arbeiten sich die Bagger den steilen Wiesenhang hinauf. Über drei Kehren und 1,4 Kilometer Länge windet sich die Ersatzstraße über eine einstige Rodelstrecke bis hinauf zur Felbertauernstraße.

    Zehn Bagger sind gleichzeitig im Einsatz, pausiert wird nur bei Dunkelheit. „Wir kommen gut voran“, hat Ludwig Mariacher, Chef des Baugeschäfts, erst jüngst gesagt. „Wenn wir kein Scheißwetter kriagn, kriag mers hin.“ Und jetzt ist klar: Sie kriagn's hin – und zwar in der rekordverdächtigen Zeit von rund elf Wochen. Am 27. Juli um 6 Uhr früh, zum Ferienbeginn in Baden-Württemberg und noch vor dem Ferienbeginn in Bayern am 31. Juli, wird die Felbertauernstraße wieder geöffnet. An der Unglücksstelle kann der Verkehr über die Ersatztrasse vorbeifließen, die einen Bogen um die zerstörte Schildalmgalerie macht. Zunächst ist die Felbertauernstraße für alle Fahrzeuge bis zwölf Meter Länge und 25 Tonnen Gewicht geöffnet – die allerdings trotzdem mit Behinderungen rechnen müssen: Die drei Kehren der Ersatztrasse können nur einspurig befahren werden. Der Verkehr wird an dieser Stelle durch eine Ampel geregelt.

    Gleichzeitig beginnen in diesen Tagen die Räumarbeiten auf der eigentlichen Passstraße. Noch immer poltern Felsbrocken den Hang hinunter. Wenn die Unglücksstelle abgesichert ist, kann es richtig losgehen. Geordert wurde das stärkste Steinschlagnetz, das auf dem Markt zu haben ist, damit die Geologen den Hang freigeben können. Ab Ende September, rechnet sich Poppeller aus, könnte dann die Felbertauernstraße wieder ganz regulär offen sein. Dann könnten auch Reisebusse und echte Schwergewichte den Weg in den Süden wieder nutzen. Die Ersatzstraße wurde aber auf jeden Fall so konstruiert, dass sie auch im Winter befahrbar sein könnte.

    Bereits heute ist klar, dass der Felssturz eine Zäsur ist. Ursache war wohl der nasse, schneereiche Winter. Zu viel „Scheißwetter“. Das Wasser dringt dann in den Fels ein, friert und sprengt ihn. Bei der regelmäßigen Untersuchung der Geologen wurde der Schildalmtunnel nicht als gefährlich erkannt. Es gebe andere Hänge entlang der Route, welche die Experten als prekärer einstufen.

    Wie wird es weitergehen? Schaut man sich als Chef der Felbertauern AG die steilen Berghänge neben der Straße inzwischen nicht mit anderen Augen an? Zumal Klimaexperten und Geologen generell in den Alpen erhöhte Steinschlaggefahr prognostizieren. Der Felssturz wird den Charakter der Felbertauernstraße sicherlich verändern, sagt Poppeller. 45 Millionen Euro seien in der Vergangenheit in die Sicherheit der Alpenstraße investiert worden, allerdings mehrheitlich in den Lawinenschutz. „Wir werden die Straße neu begutachten. Um die Route besser vor Steinschlag schützen zu können, müsste sie tiefer in den Berg hineingebaut werden. Dadurch verändere sich der Charakter der Straße allerdings enorm. Eine Zwickmühle für die Felbertauern AG. „Die Urlauber wählen diese Route auch, weil es eine schöne, aussichtsreiche Bergstraße ist.“ Es gibt aber auch vage Überlegungen, die Route der Passstraße dauerhaft durch das Tauerntal zu führen.

    Wie also geht es weiter? Scheißwetter hin oder her. Diese Frage wird die Verantwortlichen der Straße noch lange beschäftigen.

    Felbertauern

    Die Passstraße: Die Felbertauernstraße ist insgesamt 63,7 Kilometer lang. Das 36 Kilometer lange Stück zwischen Mittersill im Salzburger Land und Matrei in Osttirol ist im Besitz der Felbertauern AG. Die Aktiengesellschaft hat ihren Sitz in Lienz. Diese Passage wurde 1967 gebaut. Die Straßensperre gilt für den Tunnel und die Zufahrt zum Felbertauerntunnel Süd ab der Einfahrt Tauernhaus. Die Zufahrt Felbertauerntunnel Nord ist von Mittersill bis zum Nordportal frei befahrbar, daher ist auch die Zufahrt zum Hintersee ohne Einschränkungen möglich. Ausweichrouten: Wegen des Felssturzes, der die Schildalmgalerie zerstörte, wird die Straße in ihrer ursprünglichen Form voraussichtlich erst ab

    Ende September wieder befahrbar sein beziehungsweise über die Ersatzstraße mit streckenweiser Ampelregelung ab Ende Juli. Ausweichrouten sind derzeit etwa die Großglockner Hochalpenstraße (Infos unter Tel. 00 43/65 46/650), die Tauernautobahn (Maut- und Vignettenpflicht), die Brenner-Autobahn (Maut- und Vignettenpflicht) oder die Route über den Staller Sattel (mautfrei). Maut: Die einfache Fahrt über die Felbertauern-straße kostet zehn Euro Maut. Dabei gibt es keinen Unterschied zwischen Pkw, Wohnmobil Kleinbus oder Gespann. Info: Auf ihrer Internetseite informiert die Felbertauern AG über den aktuellen Stand der Bauarbeiten: www.felbertauernstrasse.at. Es gibt aber auch eine 24-Stunden-Hotline: Tel. (00 43) 48 75 88 06 11.

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