„Reichsbürger“ leben in ihrer eigenen Welt – und ihrer Meinung nach im eigenen Staat. Mit Verschwörungstheorien und Lügen sprechen sie der Bundesrepublik die Autorität ab. Sie stellen sich über das Recht und haben es in vielen Fällen schon gebrochen. Aus „Patriotismus“ für von der Zeit überholte Reiche bunkern sie Waffen und ermordeten sogar schon einen Polizisten.
Politikwissenschaftler Jan Rathje hat sich für die Bundeszentrale für politische Bildung mit den „Reichsbürgern“ beschäftigt. Er argumentiert, dass alle Menschen aus diesem verschwörungsideologischen Milieu ähnlichen Beweggründen folgen: „Diese Leute glauben in letzter Instanz an den Mythos der jüdischen Weltverschwörung. Also an große Machtspieler, die hinter den Staaten stehen und weltweit das Geschehen lenken.“ Solche Behauptungen seien nicht neu. Bereits seit Jahrhunderten kursieren derartige Gerüchte in Deutschland.
Menschen, die daran glauben, nehmen die Bundesrepublik nicht ernst und sagen sich von ihr los – einige werden zu „Selbstverwaltern“, die keine Steuern zahlen wollen und ihr Grundstück zur eigenen „Nation“ erklären.
Mythos der jüdischen Weltverschwörung
Die „Reichsbürger“ gehen Rathje zufolge einen Schritt weiter – sie sagen sich nicht nur von der Bundesrepublik los, sondern behaupten, dass das Deutsche Reich weiterhin existiere. „Viele dieser Leute zielen auf das Deutsche Reich ab, da dort die Gesellschaft autoritär und abgeriegelt war.“ Genau diese Politik wünschten sich „Reichsbürger“ auch für die heutige Zeit. „Diese Menschen wünschen sich eine Welt, in der sie gut aufgehoben sind, in der es keine Widersprüche gibt und in der sie ihren eigenen Platz haben.“
Rathje geht davon aus, dass diese Menschen auf eine Sache besonderen Wert legen: die Unterscheidung zwischen dem „guten“ deutschen Volk und den „bösen“ Kräften, die das Weltgeschehen angeblich kontrollieren. „Das ist ein einfaches Weltbild. Wer daran glaubt, kann damit vermeintlich viele Probleme in der Gesellschaft erklären.“
Genau das sei einer der Gründe, warum Menschen zu „Reichsbürgern“ werden: Sie suchen einfache Erklärungen für die komplexen Probleme in der Politik und der Wirtschaft. Rathje denkt, dass diese Menschen damit einen bequemen Weg einschlagen – indem sie die Schuld einer Gruppe von Verschwörern zuschieben. Manchmal sei auch eine persönliche Krise der Auslöser dafür, dass ein Mensch zum „Reichsbürger“ wird. „Manche Leute kommen mit dem komplexen Weltgeschehen nicht mehr klar“, sagt Rathje. Da sei die Flucht in eine neue Identität ein scheinbarer Ausweg. Dafür sprächen auch die selbst gedruckten Papiere, mit denen sich die sogenannten Reichsbürger ausweisen wollen. Das Stück Papier verleihe ihnen vermeintlich die Identität, die sie in der modernen Welt vergeblich suchen.
Rathje hält die Ideologie der „Reichsbürger“ eindeutig für rechtsextrem: „Sie wollen eine Gesellschaft, in der nur ihre eigene Meinung existieren darf und sehnen sich nach einem autoritären System.“ Doch im Gegensatz zu anderen rechtsextremen Gruppen zeichnen sich die „Reichsbürger“ durch ein sektenartiges Denken aus: „Die Mitglieder solcher Gruppen verschließen sich völlig vor Argumenten und steigern sich in ihre Weltanschauung hinein.“ Das Internet begünstige diesen Prozess – durch eine große Plattform zum Meinungsaustausch bestätigen sich Mitglieder gegenseitig in ihren wahnhaften Ideen.
„Genau in diesem Wahn liegt die Gefährlichkeit der „Reichsbürger“, sagt Rathje. Durch ihr verschrobenes Weltbild fühlten sich diese Menschen von ihrer Umgebung betrogen und bedroht. Wenn sie sich dann vom Staat lossagen wollen, spitze sich die Situation zu – denn, wer keine Steuern zahlt, bekommt schnell Probleme mit den Behörden. Dadurch werde die Situation für die Staatsverweigerer noch brisanter. „Sie sehen den Staat dann erst recht als Feind“, sagt Rathje. Am brisantesten sei es, wenn solche Personen Waffen besitzen – dann wird die Situation lebensgefährlich.
Tatsächlich war der Staat nicht vollständig souverän
In den vergangenen Monaten haben „Reichsbürger“ bewiesen, dass sie auch vor Morden nicht zurückschrecken. So schoss im vergangenen Oktober ein Mann im mittelfränkischen Georgensgmünd auf Polizisten. Einer starb, drei weitere wurden verletzt. Wenige Monate zuvor, im August, schoss auch in Sachsen-Anhalt ein 41-Jähriger auf Polizeibeamte. Seit diesen Zwischenfällen durchsuchen Behörden regelmäßig Wohnungen von sogenannten Reichsbürgern. Dabei finden Polizisten oft große Waffenarsenale.
Inhaltlich sind die Anschauungen der „Reichsbürger“ völlig realitätsfern. Sie verdrehen politische Tatsachen, um ihr „Deutsches Reich“ zu rechtfertigen. Die Staatsverweigerer behaupten etwa, das Grundgesetz aus dem Jahr 1949 sei nicht gültig, da es nicht vom Volk mitbestimmt wurde. Geschichtsprofessor Dietmar Süß von der Universität Augsburg widerspricht dem: „Das deutsche Parlament ist die legitime Interessenvertretung des deutschen Volkes und handelt deshalb auch in seinem Sinne.“ Daher gilt das Grundgesetz und stellt die Verfassung Deutschlands dar.
Eine Sache unterscheidet die Bundesrepublik aber tatsächlich von anderen Staaten – sie war nach dem Zweiten Weltkrieg nicht vollständig souverän. Noch Jahrzehnte nach dem Krieg konnten die Besatzungsmächte bei einigen Entscheidungen der Regierung mitsprechen. Das änderte der Zwei-plus-Vier-Vertrag im Jahr 1990. Dieser regelt nicht nur den heutigen Grenzverlauf, sondern bestätigt auch die volle Souveränität Deutschlands. Die Argumente der Reichsbürger bauen daher nur auf zwei Säulen: Verschwörungstheorien und Lügen.