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WÜRZBURG: Würzburg ist „ADHS-Hauptstadt“

WÜRZBURG

Würzburg ist „ADHS-Hauptstadt“

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    In keiner anderen Region Deutschlands gibt es so viele Kinder mit ADHS-Diagnose wie in Unterfranken. In den Kreisen Würzburg, Main-Spessart, Haßberge, Kitzingen und Aschaffenburg lagen 2011 die Diagnoseraten um mehr als 75 Prozent über den Erwartungswerten. So steht es im „Arztreport 2013“ der Krankenkasse Barmer/GEK, der sich schwerpunktmäßig dem Thema Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) widmet.

    Am auffälligsten ist die ADHS-Diagnoserate in Würzburg, wo 18,8 Prozent aller zehn- bis zwölfjährigen Jungen und 8,8 Prozent aller gleichaltrigen Mädchen an ADHS leiden. „Damit liegt Würzburg 195 Prozent über dem Bundesdurchschnitt“, sagt Thomas Grobe, Projektleiter der Studie. Sein Chef, Friedrich Schwartz vom Institut für Sozialmedizin (Hannover), hat Würzburg deshalb medienwirksam zur „Welthauptstadt der ADHS-Fälle“ erhoben.

    Wie kann das sein? Leiden unterfränkische Kinder häufiger unter psychischen Störungen als Kinder anderer Regionen? Oder wird in Unterfranken ADHS deshalb öfter diagnostiziert, weil in dieser Region mehr Kinderpsychiater praktizieren als anderswo? Indizien dafür, dass die hohe Anzahl der Fälle „eindeutig angebotsgesteuert“ sei, gebe es sehr wohl, so Schwartz. Medien gegenüber erklärt er die hohe Diagnoserate mit der hohen Anzahl der in Unterfranken niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiater.

    Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns stützen die These. „In Unterfranken arbeiten mehr Kinderpsychiater als in anderen bayerischen Kassenbezirken“, bestätigt KVB-Sprecherin Kirsten Warweg. So praktizieren laut KVB in Unterfranken 30 Kinderpsychiater; in Oberfranken dagegen nur acht, in Mittelfranken 18, in Niederbayern zwölf, in Schwaben 22 und in der Oberpfalz 16. Warweg weist darauf hin, dass Kinderpsychiater bisher nicht der Bedarfsplanung unterlegen hätten. Das heißt: Bei anderen Arztgruppen ist die Zahl der Zulassungen seit langem gesteuert worden – nicht aber bei den Kinderpsychiatern. Erst heuer unterliegt auch diese Berufsgruppe erstmals der Bedarfsplanung.

    Gabriele Rube vom Schulamt Würzburg zeigt sich von den hohen ADHS-Diagnoseraten überrascht. „Klar klagen Lehrer über viele verhaltensauffällige Kinder. Dass so viele von ihnen eine ADHS-Diagnose haben, ist uns aber neu“, sagt Rube. Der Leiter der Grundschule Würzburg-Versbach, Lothar Hohnheiser, beobachtet an seiner Schule oft „unruhige, unkonzentrierte Kinder“, hält aber exzessiven Medienkonsum und zu wenig Bewegung für mögliche Ursachen. „Ich halte es für möglich, dass ADHS manchmal zu schnell diagnostiziert wird“, sagt er.

    Der Leiter der Würzburger Uni-Kinderpsychiatrie, Professor Marcel Romanos, verwahrt sich gegen Vorwürfe, Unterfrankens Ärzte würden zu oft ADHS diagnostizieren und zu oft Ritalin verschreiben. „Betroffene Familien sind verzweifelt; die Kinder depressiv, weil sie in der Schule scheitern“, sagt er. Wenn ADHS-Diagnosen pauschal infrage gestellt würden, werde dies der Situation nicht gerecht. Niedergelassene Kinderpsychiater aus der Region wollten sich gegenüber dieser Zeitung zur auffälligen Häufung von ADHS-Diagnosen nicht äußern.

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