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STUTTGART/WÜRZBURG/MÜNCHEN: XL-Shirts gegen bauchfrei in der Schule

STUTTGART/WÜRZBURG/MÜNCHEN

XL-Shirts gegen bauchfrei in der Schule

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    Bauchfrei: Zu legere Kleidung der Schüler wird oft nicht geduldet.
    Bauchfrei: Zu legere Kleidung der Schüler wird oft nicht geduldet. Foto: Foto: dpa

    Tie-up-Blusen sind gerade der letzte Schrei. Die luftigen Oberteile werden unter der Brust geknotet wie einst in den 1950ern. Dazu knappe Röckchen oder Hotpants. Mit jedem Grad, den das Thermometer höher klettert, werden die Klamotten der Schülerinnen knapper. Manche Schule versuchte schon gegen allzu viel Freizügigkeit vorzugehen.

    Denn feste Regeln für die Kleidung in der Schule gibt es nicht. Die Schulleiter sind aber angehalten, dafür zu sorgen, dass die Schüler sich passend kleiden, sagt Erwin Pfeuffer, Leiter des staatlichen Schulamts Würzburg. So können Schüler nach Hause geschickt oder die Eltern benachrichtigt werden. Oder man macht es wie die Anton-Kliegl-Mittelschule in Bad Kissingen. Dort stehen ausgemusterte T-Shirts der Sport-Schulmannschaften bereit. Wer sich zu freizügig kleidet, muss eines davon anziehen, erzählt Schulleiter Harald Bötsch. Das sei in diesem Schuljahr aber erst einmal vorgekommen. „Das spricht sich schnell rum“, sagt er und wirke abschreckend. Auch die Eltern werden ohne viel Aufwand mit informiert. Denn die Schüler müssen das ausgeliehene T-Shirt gewaschen zurückbringen.

    Das Stuttgarter Heidehof-Gymnasium etwa schaffte es sogar ins Fernsehen mit seinem Verbot von allzu sexy Kleidung. Dort wurde ähnlich wie in Bad Kissingen seitens der Schulkonferenz eine Art moderner Pranger angedroht: Ein sackartiges schwarzes XL-T-Shirt für jede und jeden, der auch nach einer Ermahnung im luftigen Freibad-Look erscheint.

    Freibad-Look

    2007 zielte eine ähnliche Regelung mehr auf Jungs. Damals waren Hosen angesagt, die so tief über dem Gesäß hingen, dass es unerwünschte Einblicke gab.

    Zu einer Schuluniform mochte sich das evangelische Heidehof-Gymnasium gleichwohl nicht durchringen. Zwar entwarfen Oberstufenschüler eine adrette Schulkleidungskollektion mit verschiedenen Oberteilen, die auf freiwilliger Basis getragen werden können. Die Resonanz war und blieb übersichtlich. Die Schüler wollen und sollen individuell bleiben. In diesem Punkt waren sich Eltern, Lehrer und Schüler an dieser Privatschule einig, deren Klientel jedoch zu den Betuchteren zählt. Will man also zeigen, was man hat?

    Das Thema Schulkleidung ist so alt wie umstritten. Immer wieder gibt es Vorstöße. Auslöser können höchst unterschiedlich sein. Zumeist, so eine Studie des Bundesamtes für Migration, handle es sich um „Auseinandersetzungen an den Schulen im Zusammenhang mit nichtkonformem Verhalten von Schülern, das sich oft auch durch eine abweichende Kleidung äußert“. Ob Punk in den 80ern oder Jeans in den 50ern, es gehe also meist um Aufbegehren gegen das Erwachsenen-Establishment. Die Problemlage hat sich etwas verschoben in Zeiten, da Mütter häufig gleich aussehen und sich gleich kleiden wie ihre Töchter. Heute geht es um Geld und Integration.

    Schuluniformen umstritten

    2006 erschienen in Bonn zwei Schülerinnen nach den Osterferien bis auf einen schmalen Sehschlitz verhüllt in einer Niqab, einem Gesichtsschleier, zum Unterricht. Die Schulleitung schloss die beiden aus disziplinarischen Gründen vierzehn Tage vom Unterricht aus. Die politische Debatte war da. Die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) schlug daraufhin eine einheitliche Bekleidung als Mittel der Integration von Kindern aus Zuwandererfamilien vor. Doch alle Verbände und die meisten Politiker hielten damals dagegen: Mit uniformer Kleidung löse man „kein einziges Problem an Schulen“, wandten die Lehrerverbände ein. Das sei „typische Schaufensterpolitik“ und reichlich naiv. Lohnender wäre es aus Sicht etwa des Philologenverbandes, das Augenmerk darauf zu richten, „dass Jugendliche ordentlich gekleidet in die Schule kommen“. Eltern sind in verschiedenen Umfragen aber zu mehr als 40 Prozent für einheitliche Kleidung. Vergleichsstudien wie die des Mannheimer Professors für Pädagogische Psychologie, Oliver Dickhäuser, attestieren ein „besseres Sozialklima“ in Klassen mit Einheitsshirts, auch ein stärkeres „Wir-Gefühl“. Schüler mit gleich designten Oberteilen legen auch mehr Wert auf ein „tieferes Verständnis der Unterrichtsinhalte“ als die Vergleichsschüler. Und trotzdem ist Einheitskleidung überwiegend verpönt.

    Wenn es zu Mobbing-Aktionen unter den Schülern kam, ging es in den letzten Jahren häufig um Labels. Wer keine Markenklamotten trug, hatte einen schweren Stand auf dem Schulhof. Neidvoll blickten Eltern gerade aus finanziell benachteiligten Familien auf England, wo Schuluniformen oder zumindest Schulkleidung unumstritten sind. Auch in Indien, Australien, Singapur, Neuseeland oder Südafrika überstanden die Einheitskleider an Schulen die Entlassung aus der Kolonialherrschaft. In den USA gelten rigide Dress-Codes, also exakte Kleidervorschriften etwa bezüglich der Rocklänge. Erlaubt sind aber beliebige Marken oder Farben – so sie nicht eine Zugehörigkeit zu Gangs signalisieren, wie hierzulande Thor-Steinar- oder Consdaple-Shirts und Doc-Martens-Springerstiefel für Neonazis stehen.

    Dennoch sind Verbote bei uns unvorstellbar. Viele Kultusminister sprechen sich gegen jedwede Vereinheitlichung aus. Die Kultusministerkonferenz verweist 2010 in einer Stellungnahme zum Thema Schulkleidung auf Zurückhaltung „aus historischen Gründen“. Zu sehr erinnerten in Deutschland einheitliche Schulkleidung an die Uniformen der Hitlerjugend und des Bundes Deutscher Mädel (BDM). Eine Vereinheitlichung der Schulkleidung in Deutschland scheint in allen Bundesländern vom Tisch. Gleichwohl zeigten Politiker immer wieder Sympathie für den Gedanken: Die frühere Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) etwa meinte, dass einheitliche Schulkleidung zur Identifizierung mit der Schule beitrage und Symbol einer Gemeinschaft aller am Schulleben Beteiligter sei. Zudem wirke die dem verbreiteten Markenwahn entgegen.

    Heute, da selbst Designer Karl Lagerfeld für den Billiganbieter H&M Modelle entwirft, hat das Mobbing-Motiv „Markenkleidung“ etwas nachgelassen. Die Klamotten-Hänseleien gehen zurück. Für Schulleitungen geht es wieder – die 70er Jahre lassen grüßen – mehr darum, wie viel nackter Bauch oder blanker Hintern es in öffentlichen Bildungseinrichtungen sein darf.

    Die Politik setzt auf freiwillige Vereinbarungen – wie in dem Stuttgarter Privatgymnasium. Wie oft es zum „Kleider-Pranger“ wegen knapper Klamotten kam, vermochte das Rektorat zum Ende des Schuljahrs nicht sagen. „Uns geht es ja nicht in erster Linie um die Strafe, wir wollen mahnen“, sagte Rektor Berthold Lannert gegenüber den „Stuttgarter Nachrichten“. Einen Aufstand unter den Schülern habe es nicht gegeben. Im Gegenteil: Die Schüler hielten sich an die Kleiderordnung, berichtet der Schulleiter. Die Schülerin Marie aus der zehnten Klasse erinnert sich etwas anders an die letzten Schultage bei mehr als 30 Grad im Schatten: „So wie immer.“ Eine Elternbeirätin spricht unverblümt von „Luftnummer“.

    Anregung statt Zwang

    Beim Thema Kleiderordnung haben es private Schulen gegenüber öffentlichen Schulen aber grundsätzlich leichter, Regelungen durchzusetzen. An der „British International School“ in Berlin gibt es ebenso selbstverständlich Schuluniformen wie an der „St. George’s School Cologne“. Ist der Staat Schulträger, ist die freie Kleiderwahl als Menschenrecht hingegen schwer einzuengen. Baden-Württembergs Kultusminister Andreas Stoch (SPD) ist auch jenseits der problematischen Rechtslage kein Freund von Verboten. Wie in manchen Sportarten, etwa Beachvolleyball, vorzuschreiben, wie viel Prozent des Körpers bedeckt sein müssten, soweit müsse man nun wirklich nicht gehen.

    Auch im bayerischen Schulrecht gibt es keine Kleidungsvorschriften. Die Lehrer könnten den Schülern aber beibringen, was angemessene Kleidung sei, gerade auch um sie auf den Beruf vorzubereiten, sagt Henning Gießen, stellvertretender Pressesprecher des bayerischen Kultusministeriums. Man könne aber nur Anregungen machen und die Schüler nicht zwingen. Gleiches gelte für die Schuluniformen. „Das macht nur dann Sinn, wenn alle es wollen und zusammenarbeiten“, sagt Gießen. Dann hätten aber schon viele bayerische Schulen gute Erfahrungen gemacht. Mitarbeit Verena Hilbert

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