„Wir beten für die Große Koalition“, sagt Julia Klöckner, als sie um 11.35 Uhr das Willy-Brandt-Haus verlässt und in die schwarze Limousine steigt. Ziel der CDU-Politikerin aus Rheinland-Pfalz: Der 12-Uhr-Gottesdienst in der katholischen Ludwigskirche in Berlin-Wilmersdorf. Mit dabei ist ihre Parteifreundin, die Berliner Kulturpolitikerin Monika Grütters.
Nach dem ursprünglichen Zeitplan sollen die Gespräche über die Regierungsbildung am Sonntag abgeschlossen werden. Doch dass dies gelingt, daran gibt es bereits erhebliche Zweifel, als die Verhandlungsdelegationen am Morgen bei strahlender Wintersonne an der SPD-Zentrale eintreffen.
Dass Horst Seehofer den ICE nach München erreicht, der um 16.05 Uhr vom Berliner Hauptbahnhof abfährt, scheint am Sonntag jedenfalls so gut wie ausgeschlossen. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hatte den Hinweis auf den vermeintlichen Reiseplan seines Chefs wohl eher als scherzhaften Versuch gemeint, die Verhandlungen etwas zu beschleunigen. Denn es ist bekannt, dass Seehofer meist mit dem Auto zwischen München und Berlin verkehrt.
Schulz: Rote Politik
Rund elf Stunden hatten die Koalitionsgespräche am Samstag gedauert. Ein übernächtigt wirkender SPD-Chef Martin Schulz berichtet am Sonntag, dass sich die Vertreter von CDU, CSU und SPD dabei in vielen Punkten einig geworden seien. Allerdings eben noch längst nicht in allen. „Bei den Mieten, bei der sachgrundlosen Befristung und beim Abbau der Zweiklassenmedizin“ sieht Schulz noch erheblichen Gesprächsbedarf. Einigungen seien zwar möglich, „sie sind aber noch nicht erreicht“.
Schulz bekräftigt seinen Satz, die SPD kenne in den Gesprächen „keine roten Linien“, wolle aber „möglichst viel rote Politik durchsetzen“. So rechnet er mit einem „sehr sehr intensiven Verhandlungstag“. Und um eine „belastbare, für alle konsensfähige Koalitionsvereinbarung“ zu finden, verbiete es sich „wegen der einen oder anderen Uhrzeit“ Druck aufzubauen.
Alle Verhandlungsteilnehmer haben sich bereits Montag und Dienstag als „Puffertage“ frei von anderen Terminen gehalten.
Die derzeit nur noch geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagt am Sonntagmorgen ganz wenige Worte, vor der entscheidenden Runde sei am Samstag gut vorgearbeitet worden, doch wichtige Punkte seien noch offen. Sie erwarte „schwere Verhandlungsstunden“.
Merkel: Schwere Stunden
Auch am Sonntag werden Einigungen erzielt. Am Vormittag dringt durch, dass sich Union und SPD auf ein mehrere Milliarden Euro schweres Programm zur Schaffung von mehr bezahlbarem Wohnraum verständigt haben. Es soll aus zwei Teilen bestehen, die jeweils den Forderungen der beiden Seiten entsprechen. So hatte sich die SPD eine massive Stärkung des sozialen Wohnungsbaus gewünscht. Sollte eine Große Koalition zustande kommen, würden dafür in den kommenden vier Jahren bis zu zwei Milliarden Euro bereitstehen.
Die gleiche Summe steht für ein weiteres Paket bereit, das den Wünschen der Unionsparteien entspricht. Dazu gehört ein Baukindergeld, das Beziehern mittlerer Einkommen helfen soll, Wohneigentum zu bilden.
Wie die CSU-Bauexpertin Anja Weisgerber (Schweinfurt) gegenüber dieser Redaktion sagt, sollen Familien mit einem zu versteuernden Haushaltseinkommen von bis zu 75 000 Euro – plus einem Freibetrag von 15 000 Euro je Kind – zehn Jahre lang 1200 Euro pro Kind und Jahr erhalten. „Auch ein Bürgschaftsprogramm und mögliche Freibeträge bei der Grunderwerbssteuer sollen junge Familien beim Erwerb von Wohneigentum unterstützen“, so Weisgerber. Zudem habe sich die Arbeitsgruppe darauf geeinigt „die energetische Gebäudesanierung voranzubringen“ – und entsprechende Maßnahmen entweder in Form von Steuererleichterungen oder als Zuschuss zu fördern.
Wo beide Seiten durch den großzügigen Einsatz von Steuermilliarden ihre Wünsche durchbringen können, sind Kompromisse nicht allzu schwer zu erzielen. In anderen Feldern gibt es größere Hürden. Und das trifft auf zwei Themen zu, die am Sonntag noch umstritten sind. Am Abend zeichnete sich ab, dass auch am Montag verhandelt werden wird.
Ein Herzensanliegen der SPD ist die Abschaffung der Zweiklassenmedizin. Doch da gibt es heftigsten Widerstand der Union. Abschaffen will die SPD auch die Möglichkeit, Arbeitsverträge ohne „Sachgrund“ zu befristen. Die Union hält flexible Befristungsregeln für unverzichtbar.