Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Zeigen, wie das Leben gelingt

Politik

Zeigen, wie das Leben gelingt

    • |
    • |
    . . . bei Adam und Eva: Die Vertreibung aus dem Paradies.
    . . . bei Adam und Eva: Die Vertreibung aus dem Paradies. Foto: Foto: Wikipedia

    Disney hat mein Bild von der Liebe versaut“, sagen junge Leute – halb im Scherz. Disney hat auch unser Bild von den Märchen verschoben und vereinfacht, die Geschichten flach und kinotauglich gemacht und ihnen damit oft ihre Bedeutung genommen. Es ist mit den Märchen nämlich wie mit der Bibel: Man kann sie wörtlich nehmen – oder ernst. So der jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide. Wagen wir also einen Blick hinter die Fassade und suchen die Weisheit in den Geschichten.

    Märchen und die Bibel haben dabei vieles gemein: So wie sich zahlreiche Märchenmotive in der Bibel finden, finden sich Gottes Spuren auch im Märchen. Bei beiden ist es, als würden wir in einen Brunnen schauen und in der Tiefe wie im Spiegel uns selbst entdecken. Ja, sich selbst anschauen und den eigenen Weg gehen mit dem Auftrag: Werde der Mensch, der du bist. Das ist die Botschaft Jesu für die Samariterin am Jakobsbrunnen ebenso wie die Erfahrung der Goldmarie, die nach dem Sprung in den Brunnen ihren Entwicklungsweg beschreitet. Der Brunnen ist eines der Symbole, das sowohl in Märchen als auch in der Bibel immer wieder eine Schlüsselrolle spielt. Diese Symbole geben uns einen Hinweis auf den Sinn unseres Lebens und zeigen uns etwas, was Märchen und biblische Texte verbindet: Märchen beschreiben den Weg des Menschen zu einer authentischen Persönlichkeit, zu einem königlichen Menschen, zu seinem göttlichen Selbst. Die Bibel beschreibt den Weg des Menschen zum König des Himmels und der Erde, zu Gott – zum Göttlichen in mir.

    Märchen sind uralte Geschichten, in denen sich die Spuren alter Mythen wiederfinden, Geschichten, die uns in archetypischen Bildern zeigen, wie Leben gelingen kann, und die uns einladen, die Wahrheiten unseres eigenen Lebens immer wieder neu zu entdecken. Dabei sind die Märchen wunderbar ehrliche Geschichten. Die Helden machen Fehler, geraten in Krisensituationen und erleben Niederlagen – wie im richtigen Leben. Aber immer wieder auch treffen sie auf hilfreiche Wesen, gehen ihren Lebensweg mutig weiter, wachsen und reifen daran, bis am Ende alles glücklich ausgeht.

    Vom Ur- zum Gottvertrauen

    In der Bibel wie im Märchen stehen Vertrauens-Geschichten, es geht darum, Gott zu vertrauen oder einer höheren Macht und der eigenen inneren Stärke zu trauen. Um sie zu entdecken, muss man aufbrechen, sich auf den Weg machen. So lässt Urvater Abraham seine Heimat zurück und macht sich auf einen langen Glaubensweg durch die Wüste. Auch Mose führt sein Volk durch die Wüste und Jesus ist in der Zeit seines öffentlichen Auftretens immer auf der Wanderschaft. Ebenso ergeht es den Helden und Heldinnen in den Volksmärchen, sie brechen auf, begeben sich auf Entwicklungswege. Das Glückskind aus dem Märchen „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ beispielsweise macht sich auf einen langen Weg, der es bis in die Unterwelt hinein führt, um genau von dort Wegweisung und Antworten für sein künftig königliches Leben zu bekommen. „Das tapfere Schneiderlein“ muss unterwegs allerlei Herausforderungen bestehen, bis es endlich ein königlicher Mensch geworden ist, und auch „Hans mein Igel“ macht sich auf den Weg von einem abgelehnten Kind hin zu einem König, der sich selbst und seine bisherige Lebensgeschichte überwunden hat.

    Dabei begegnen nicht nur den Märchenhelden allerlei wundersame Wesen. Riesen beispielsweise, im Märchen meist grobschlächtig und dumm, gibt es auch im Alten Testament. Im 17. Kapitel des Buches Samuel wird erzählt, wie der kleine David den Riesen Goliath mit der Steinschleuder besiegt. David, jüngster von acht Brüdern und ein Schafhirte, der allein durch List und Gottvertrauen siegt, finden wir in vielen Märchen wieder. Ist es nicht auch dort immer wieder der Jüngste, oft der Dummling, den keiner ernst nimmt, der am Ende den Sieg davonträgt und nicht selten ein Königreich samt Prinzessin gewinnt? (So im Märchen von den drei Federn.) Die Botschaft in beiden Fällen: Achtet das Kleine nicht gering! Oft kommt gerade vom Unscheinbaren, für dumm Verkauften und Missachteten die Rettung!

    Sprechende Tiere und hilfreiche Dinge

    Nicht nur der Froschkönig, auch die Tauben von Aschenputtel oder das Pferd Fallada im Märchen „Die Gänsemagd“ können sprechen und dem Helden weiterhelfen. In der Bibel gibt es ebenso sprechende Tiere, das beginnt bereits bei der Schlange im Paradies. Der Esel des Propheten Bileam spricht nicht nur mit seinem Herrn, sondern erkennt Gottes Boten eher als der Prophet selbst und erweist sich so ebenfalls als Helfer seines Herrn. Er spiegelt damit das Motiv der hilfreichen Tiere der Märchen wider. Auch märchenhafte Gegenstände gibt es in der Bibel. Das Töpfchen, das im Märchen vom süßen Brei nicht aufhören will, süßen Hirsebrei zu kochen, hat sein Pendant im alttestamentlichen Buch der Könige, in dem die Witwe dafür, dass sie dem Propheten Elija hilft, einen Mehltopf bekommt, der nie leer wird, und einen Ölkrug, der nie versiegt.

    Märchen sind offensichtlich nicht nur eine besondere Literaturform. Ihre Bilder und Symbole gewähren einen unmittelbaren Zugang zum eigenen Unbewussten. Nicht zuletzt der Tiefenpsychologie Carl Gustav Jungs ist es zu verdanken, dass wir die Bilder und Symbole der Märchen heute wieder neu zu deuten wissen. Theologen und Literaturwissenschaftler, Psychologen und Etymologen haben herausgestellt, wie wertvoll diese Geschichten sind – und so manch einer hat die Parallelen zur Bibel erkannt. Der evangelische Theologe Axel Denecke beispielsweise entdeckt in Märchen und Bibel nicht nur dieselbe Symbolwelt, er ordnet die Geschichten hier und da konkret einander zu. So findet das Märchen von Hänsel und Gretel seine Entsprechung in der Geschichte von Adam und Eva. Denecke erkennt in beiden „die Vertreibung oder Befreiung aus dem Paradies“. In der Geschichte der „Bremer Stadtmusikanten“ erkennt er die Verheißung der Apostelgeschichte wieder: „Eure Alten werden Träume und Visionen haben“.

    Die geopferten Töchter

    Oft sind die Parallelen in den Erzählungen wirklich frappierend. Da versprechen die wegsuchenden Könige im Märchen „Hans mein Igel“ dem Hans, was Ihnen „zuerst begegnet am königlichen Hofe“, sobald sie nach Hause kommen. Und im Märchen „Das Mädchen ohne Hände“ verspricht der arme Mann dem Teufel, „was hinter seiner Mühle steht“, wenn er ihn nur reich macht. In beiden Fällen sind es die Töchter, die dann von ihren Vätern geopfert werden. Ihre biblische Entsprechung haben diese Geschichten im Buch der Richter, in dem Jephta Gott für einen Sieg das verspricht, was ihm aus der Tür seines Hauses zuerst entgegenkommt. Auch hier ist es die Tochter, die Jephta zuerst entgegenkommt, und auch sie wird geopfert, als Brandopfer für Jahwe dargebracht. Märchen sind so grausam wie das Leben eben manchmal auch. Die Helden müssen oft ihre Leidensfähigkeit beweisen. Und auch da gibt es Parallelen. Während „Der Königssohn, der sich vor nichts fürchtet“ in drei Qualnächten seine Prinzessin erlöst, dabei aber nicht stirbt, geht die Bibel noch einen Schritt weiter: Jesus erlöst durch sein Martyrium und seinen Opfertod die ganze Menschheit.

    Urbilder der Menschheit

    Unabhängig vom historischen Wahrheitsgehalt greifen Märchen und Bibel die Urbilder der Seele auf, spiegeln die Urerfahrungen der Menschen wider: Es gibt kein Leben ohne Leid, keine menschliche Entwicklung ohne Bewährungsproben. Und beide, Märchen wie Bibel, versprechen, dass am Ende alles gut ausgeht: Im Märchen gewinnen die Helden in der Regel ein Königreich, die Bibel verspricht ein königliches Leben in Gottes Reich. Vielleicht hat ja jene alte rabbinische Legende recht, die erzählt: „Die Wahrheit und das Märchen begegnen sich im Dorf. Die Wahrheit im grauen Gewand, das Märchen bunt gekleidet. Die Wahrheit klagt: 'Niemand will mich einlassen’. Das Märchen antwortet: 'Weil ich so heiter und farbig bin, lässt mich jedermann gern zur Tür hinein. Mach es doch einfach wie ich.’ – Seither nun erscheint die Wahrheit im Märchengewand und kündet von Gottes Geheimnissen.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden