Der Weg ist bodenlos. Dabei hat es gar nicht geregnet in der vergangenen Nacht. Der Mond hat nur geschwitzt, lautet die mauritische Lesart des Wetters, das auf der Südhalbkugel Sommer wie Winter auch einmal Regen mit sich bringen kann. Doch der schlammige Trampelpfad am Fuße einer der höchsten Erhebungen auf Mauritius – dem Morne Brabant – soll für manchen Flachlandtiroler an diesem Morgen nicht die größte Herausforderung bleiben. Der Aufstieg auf den 556 Meter hohen Felsbrocken ist ein kleines Abenteuer. Und damit ein Kontrastprogramm zu den Dingen, für die die Insel eigentlich bekannt ist.
Während sich die meisten Mauritius-Touristen damit begnügen, an den Privatstränden der Luxushotels dem Rauschen des Indischen Ozeans zu lauschen und sich am Abend ein Glas des erstklassigen einheimischen Rums zu gönnen, machen wir uns auf den Weg zum „Berg der Entbehrung“. Der Morne Brabant, der aus einer gleichnamigen Halbinsel emporragt, sieht von unten harmlos aus. Unweigerlich stellt man sich auf eine gemütliche Wanderung ein. Für den 19-jährigen Zac und den 24 Jahre alten Nico ist es das auch. Die beiden Bergführer sind hier sechsmal pro Woche auf Tour. „Ohne Guide darf hier niemand rauf“, erklärt Nico. Weil es zu gefährlich wäre – und weil das Gelände seit Generationen in Privatbesitz ist.

Geschichtsstunde im Berg
Die ersten Meter führen gemächlich durch die tropische Vegetation und über loses Lavagestein. Ein Tunnel aus Bäumen schützt vor der Sonne, die schon am Vormittag ziemlich heiß scheint. Am Wegesrand wächst pinkfarbener Pfeffer und verleiht der Luft einen würzigen Duft. Zwischendurch blinzelt der türkisblaue Ozean durchs Dickicht.
Muße genug für eine Geschichtsstunde. „Mauritius war früher unbewohnt“, beginnt Zac, der französische Wurzeln hat, sich selbst aber als Mauritier fühlt. Erst wurde die Insel holländische, dann französische, später britische Kolonie. Seit 1968 ist Mauritius unabhängig. Doch die Kolonialherren hatten Arbeiter aus Afrika und Indien auf die Insel verschleppt. Der Morne Brabant diente den Sklaven Anfang des 19. Jahrhunderts als Zufluchtsstätte vor den Herren der Zuckerrohrplantagen – für viele wurde er aber auf tragische Weise zum Grab.
Doch bevor Zac die Geschichte zu Ende erzählen kann, endet der Baumtunnel und gibt den Blick frei auf einen Zick-Zack-Pfad, der sich fast senkrecht den Berg hinaufzufressen scheint. „Wir haben fast die Hälfte der Höhe“, sagt Nico und deutet zum Gipfel. „Für den Rest werden wir aber doppelt so lange brauchen“, schiebt er nach. Das Stichwort für einige in der Gruppe, hier auszusteigen. Sie bleiben an einem Aussichtspunkt zurück. Nicht der schlechteste Platz . . .
Noch während wir uns an die Geröllpiste gewöhnen, erschwert die Sonne den Aufstieg. Nicht durch Hitze: Sie weint, weil sie den schwitzenden Mond vermisst. Noch so eine Umschreibung für Regen auf Mauritius. Doch egal, wie man es nennt – die Steine werden glitschig, noch ein Grüppchen entscheidet sich, den Aufstieg zu beenden und bleibt an Ort und Stelle sitzen. Für den Rest geht es weiter.
Aus Wandern ist längst Klettern geworden. Gegenverkehr – also Wandergruppen, die schon auf dem Rückweg sind – machen den schmalen Pfad noch enger. Während Zac und Nico wie menschgewordene Bergziegen Meter für Meter hinter sich lassen, schieben und ziehen sich manche Touristen gegenseitig noch oben. Ab und zu hilft auch ein am Fels befestigtes Seil. „Wenn ihr ein Seil seht, benutzt es auch. Das sind die einzigen gefährlichen Stellen“, ruft Zac.
Beruhigend ist das nicht gerade. Doch wer schwindelfrei ist und hin und wieder einen Blick nach links oder rechts riskiert, wird schon jetzt belohnt. Diesen Blick über das Meer bekommt man eben nicht am Hotelstrand. Und schon gar nicht die Begegnung mit einer ganz besonderen Pflanze: die Trochetia boutoniana, die rote Nationalblume von Mauritius. Sie verheißt, dass der Gipfel nicht mehr weit sein kann: Sie wächst nur hier ab einer Höhe von 400 Metern.
Fatales Missverständnis
Am stählernen Gipfelkreuz angekommen macht sich Erleichterung breit. Und Stolz. Die Aussicht von hier oben über Lagunen, grüne Hügel und den Ozean ist noch einmal ein paar Grade atemberaubender. Sie macht auch die Kratzer vergessen, die sich so mancher beim Versuch, an Vorsprüngen sicheren Halt oder auf den glitschigen Steinen festen Tritt zu finden, geholt hat.
Zac ist inzwischen noch einige Meter höher geklettert. Er ist der Gruppe noch den Rest der Sklavengeschichte schuldig. „Als die Sklaverei 1835 auf Mauritius abgeschafft wurde“, erzählt er, „bekamen das die Sklaven auf dem Berg nicht mit.“ Einige hatten sogar Siedlungen dort oben gegründet und hielten sich vor ihren Herren versteckt. Als Polizisten den Berg erklommen, um ihnen die gute Nachricht von ihrer Freiheit zu überbringen, fürchteten die Sklaven, dass sie entdeckt wurden und zurück zu Plantage und Knute mussten. „Viele wählten da lieber den Tod und sprangen in die Tiefe“, endet Zac. So erzählt es jedenfalls die Legende. Bis heute gedenken die Mauritier an ihrem Nationalfeiertag am 1. Februar der Opfer.
Als sich alle an der Aussicht sattgesehen haben, geht es wieder zurück. Doch hinab geht?s nicht leichter als hinauf. Der steile Abstieg lässt die Oberschenkel brennen. Immer wieder weint die Sonne. Und auf den letzten Metern hat man nur noch einen Gedanken: am Traumstrand liegen und dem Ozean lauschen, vielleicht mit einem Glas Rum in der Hand.
Tipps zum Trip Wissenswertes: Die Einheimischen sprechen in der Regel Französisch. Als letzte Kolonialmacht hinterließen aber die Briten Englisch als Amtssprache – und den Linksverkehr. Als angenehmste Reisezeit gelten die europäischen Herbst- und Frühlingsmonate. Morne Brabant: Für einen Ausflug auf den Berg sollte man knapp vier Stunden einplanen. Schwindelfreiheit ist dabei genauso wichtig wie festes Schuhwerk und viel Wasser. Der Berg kann nur mit Führer bestiegen werden. TUI bietet die Tour für rund 40 Euro pro Person an. Mehr Infos gibt's im Internet unter: www.yanature.com Preisbeispiel: Eine Woche im Vier-Sterne-Hotel Riu Le Morne auf Mauritius kostet bei TUI mit Flug, zum Beispiel am 30. Januar ab/bis Frankfurt, ab 1570 Euro pro Person im Doppelzimmer mit All Inclusive. ben