Bei dieser Forderung dürfte einigen EU-Regierungen die Luft wegbleiben: 30 Prozent mehr Geld fordert das Europäische Parlament für die nächste siebenjährige Finanzperiode, die 2021 beginnt. Die Furcht vor Zurückweisung noch vor Beginn der Verhandlungen schien am Mittwoch in Straßburg so groß zu sein, dass sich Parlamentspräsident Antonio Tajani unmittelbar nach dem Votum höchstpersönlich zu Wort meldete: „Wir müssen den Bürgern erklären, dass ein Euro, der für Forschung, Innovation, Sicherheit, Grenzschutz und die Entwicklung in Afrika von der EU ausgegeben wird, weitaus effizienter wirkt als ein Euro auf nationaler Ebene.“
1,3 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung aller Mitgliedstaaten, aber ohne Großbritannien, wollen die Volksvertreter zur Bewältigung der diversen Aufgaben haben – für laufende Programme, für versprochene Leistungen im Agrarbereich oder in der Strukturpolitik, für Forschung, Austauschprogramme wie Erasmus+ oder die Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen. Dazu kommen neue Verpflichtungen wie die Installation der Verteidigungszusammenarbeit Pesco oder der Aufbau eines europäischen Grenzschutzes. Dass dies nötig ist, wird kaum bestritten. Frontex, wie die EU-Behörde für Grenzsicherung früher hieß, fehlt einfach alles: Autos, Hubschrauber, Computer und so weiter.
„Wenn das EU-Parlament nicht ambitioniert ist, wer ist es dann?“, fragte die Grünen-Europapolitikerin Helga Trüpel. Der Chef der SPD-Gruppe im Parlament, Jens Geier, sprach von „einer großen Chance“. Und selbst Haushaltskommissar Günther Oettinger (CDU) nannte das Vorhaben der Abgeordneten „ehrgeizig, aber sehr sachorientiert und gut begründbar“. Er wird seinen Vorschlag, von dem es heißt, er werde bei rund 1,2 Prozent liegen, erst Anfang Mai präsentieren. Es wäre eine behutsame Steigerung gegenüber heute (gut ein Prozent).
Und schon die will kaum eine Regierung mittragen. Schweden, Dänemark und die Niederlande lehnen jede Anhebung der Beitragszahlungen ab. Österreich und Frankreich haben bisher nur deutlich gemacht, dass sie keine Kürzungen bei Landwirten und der Infrastruktur hinnehmen wollen.
Aus Wien hieß es aber auch, eine kleinere Gemeinschaft müsse auch mit einem kleineren Etat klarkommen. Von einer Ausweitung der Zahlungen an die EU ganz zu schweigen. Lediglich die neue deutsche Regierung hat sich in ihrem Koalitionsvertrag schon zu höheren Überweisungen bereit erklärt, Luxemburg wäre wohl auch dabei, stellt jedoch Bedingungen.
Dabei geht es den Abgeordneten gar nicht um höhere Zahlungen der Mitgliedstaaten, sondern um mehr Einnahmequellen. Der Jahresetat für 2018 liegt bei 145,2 Milliarden Euro, die ausgegeben werden dürfen, für langfristige Verpflichtungen (sogenannte Zahlungsermächtigungen) sogar noch etwas darüber.
Zwölf Prozent des Gemeinschaftshaushaltes stammen aus Zöllen, zehn Prozent kommen aus einem Teil der nationalen Mehrwertsteuern. 78 Prozent überweisen die Mitgliedstaaten. Die Parlamentarier wollen diesen Anteil nicht anheben, sondern sogar auf 40 Prozent drücken und dann Anteile vom Handel mit Emissionszertifikaten, einer neuen Abgabe auf Plastik sowie der umstrittenen Finanztransaktionssteuer einziehen.
Kommissionschef Jean-Claude Juncker hat zumindest eine Strafsteuer auf Plastikprodukte abgelehnt und dabei auch gleich ein Projekt von Bundeskanzlerin Angela Merkel abserviert: die Koppelung der Infrastruktur-Subventionen an Rechtsstaatlichkeit und Solidarität in der Flüchtlingsfrage. Nach dem Parlament warten nun alle auf Oettingers Vorschlag, danach dürften die Verhandlungen beginnen. Sie sollen möglichst bis Frühjahr 2019 abgeschlossen werden. Denn dann herrscht Wahlkampf in Europa. Und bis sich eine neue Kommission und das Parlament formiert haben, könnte es sogar Ende nächsten Jahres werden.
„Wir müssen den Bürgern erklären, dass ein Euro, der von der EU ausgegeben wird, effizienter wirkt als ein nationaler Euro.“
Antonio Tajani, Parlamentspräsident