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WÜRZBURG/SCHWEINFURT: Verschuldung: Nicht jeder ist selbst schuld

WÜRZBURG/SCHWEINFURT

Verschuldung: Nicht jeder ist selbst schuld

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    _ Foto: Jesadaphorn Chaiinkaew

    Der ist doch selber schuld, dass er jetzt pleite ist“: Derlei Stammtischsprüche über Menschen auf finanzieller Talfahrt mag es geben. Doch sie sind nicht nur fies, sondern oft auch falsch. Denn in Deutschland trägt jeder Fünfte deshalb eine zu große Schuldenlast, weil er überraschend seinen Job verloren hat.

    Auch ein schwerer Unfall, eine bedrohliche Krankheit oder der unvorhersehbare Tod des Partners sind Gründe, warum Menschen hierzulande Adressen für Schuldner- oder gar Insolvenzberatung aufsuchen.

    Darauf hat am Freitag das Statistische Bundesamt hingewiesen. Demnach waren 19 Prozent der Ratsuchenden wegen des Verlusts des Arbeitsplatzes, 15 Prozent wegen Gesundheitsproblemen und 14 Prozent wegen Trennung oder Tods des Partners in die finanzielle Misere gerutscht. In Mainfranken ist diese Gewichtung ähnlich, wie aus Beratungsstellen in Würzburg und Schweinfurt zu erfahren war. Die Leute sind also selbst schuld an den Schulden? Mitnichten.

    Es gibt oft nicht nur den "einen Grund"

    Freilich lässt sich nicht immer der Grund schlechthin nennen, weswegen ein Mensch unter hohen Schulden ächzt. „Das geht oft ineinander über“, hat Cornelia Pfister von der Kolping-Schuldnerberatung in Schweinfurt beobachtet. Will heißen: Mitunter wird ein Mensch schwer krank, daraufhin verliert er seinen Job – oder umgekehrt. Und dann geht die Talfahrt erst richtig los.

    Ziemlich genau 800 Klienten suchten im vergangenen Jahr die Schweinfurter Beratungsstelle auf. Zieht man jene 468 ab, die schon 2014 gekommen waren, bleiben 333 Neuzugänge. Cornelia Pfister hat beobachtet, dass die Hemmschwelle gesunken ist, eine Beratung aufzusuchen: „Die Leute sind besser informiert“, wo man im Fall hoher Schulden Hilfe bekommt und welche Maßnahmen möglich sind. „Das ist kein Tabuthema mehr.“

    Günther Purlein von der Christophorus-Gesellschaft in Würzburg hat noch etwas anderes beobachtet: Überschuldung „ist in die Mittelschicht eingedrungen“. Auf der anderen Seite seien die reinen Fallzahlen in seiner für den Stadt- und Landkreis Würzburg zuständigen Beratungsstelle seit langer Zeit gleich: Etwa 1000 Anfragen pro Jahr gebe es, etwa ein Viertel dieser Menschen gehe später in die Insolvenz.

    Fast jeder zehnte Überschuldete kann nicht mit Geld umgehen

    Purlein zufolge kommen 60 Prozent der Ratsuchenden aus der Stadt Würzburg, der kleinere Rest aus dem Umland. Das sei kein Wunder: In den Dörfern sei eher gewährleistet, dass man sich gegenseitig hilft, wenn es finanziell mal eng wird.

    Wenn man all die Statistiken rund um Schulden und Privatinsolvenz liest, wird klar, dass manche Zahlen kaum oder gar nicht vergleichbar sind. Aber es lassen sich Trends herauslesen. Nur nahezu jeder zehnte Überschuldete in Deutschland kann laut Statistischem Bundesamt nicht mit Geld umgehen: 11 Prozent häuften wegen unangemessenen Konsumverhaltens Schulden an.

    Bei 7 Prozent der Überschuldeten sei die auf lange Sicht unzureichende Einkommenssituation trotz einer wirtschaftlichen Haushaltsführung der Grund für die Schwierigkeiten gewesen. Die Kolping-Schuldnerberatung in Schweinfurt hat indes ermittelt, dass 29 Prozent ihrer Ratsuchenden unter die Kategorie „Unwirtschaftliche Haushaltsführung“ fallen, 11 Prozent habe eine „unzureichende Finanzkompetenz“.

    Insgesamt suchten 2015 in Deutschland rund 647 000 Privatleute professionelle Unterstützung bei den rund 1400 Schuldnerberatungsstellen. Das ist in etwa fünf Mal so viel wie Würzburg Einwohner hat.

    Die Zahl der tatsächlich Überschuldeten im Land dürfte jedoch um ein Vielfaches höher liegen: Nach Einschätzung der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände sind bundesweit 3,1 Millionen Haushalte überschuldet, in denen 6 bis 7 Millionen Menschen leben.

    Experten raten: Spätestens wenn der Kontostand mehrere Monate nacheinander ein Minus zeigt, sollten Betroffene eine Schuldnerberatungsstelle aufsuchen. Sie kann zum Thema Privatinsolvenzverfahren informieren. Das Verfahren dauert – ohne Verkürzung – in der Regel sechs Jahre.

    Außergerichtliche Einigung wichtig

    Wer diesen Schritt wählt, hat die Chance, dass er am Ende von allen Schulden befreit wird, die er zur Eröffnung des Verfahrens angegeben hat, erklärt Susanne Fairlie von der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldner- und Insolvenzberatung in Berlin. Dafür müssen Schuldner aber Einiges beachten.

    Zunächst muss der Verschuldete versuchen, sich außergerichtlich mit den Gläubigern zu einigen. „Dazu sind sie gesetzlich verpflichtet“, sagt Fairlie. Führen die Verhandlungen nicht zu einem Erfolg, braucht der Schuldner eine schriftliche Bestätigung, dass der Einigungsversuch gescheitert ist.

    Mit dieser Bescheinigung kann er beim zuständigen Amtsgericht das Privatinsolvenzverfahren beantragen. Die Richter bestimmen einen Insolvenzverwalter, der als Vertreter der Gläubiger auftritt.

    Wichtig zu beachten ist auch: „Schuldner sind dazu verpflichtet, mit ihm während des gesamten Verfahrens zusammenzuarbeiten“, sagt Fairlie. Sie müssen also ihre Einkommenssituation, alle Schulden, ihre Wohnsituation, sowie die Lebensverhältnisse offen legen – und sie müssen ihm immer mitteilen, wenn sich zwischenzeitlich etwas ändern sollte. (Text: Mit Informationen von dpa.)

    Beratungsstellen in Mainfranken

    In der Region ist die Lage unterschiedlich, was nicht-kommerzielle Schuldner- und Insolvenzberatung für Privatleute angeht. Eine zentrale Adresse für Mainfranken gibt es nicht. Vielmehr ist die Zuständigkeit unterschiedlich, mal kirchlich, mal staatlich.

    Übersicht:

    • Würzburg: Christophorus Gesellschaft (Caritas und Diakonie), Neubaustraße 40, Würzburg.

    • Schweinfurt: Kolping, Seestraße 30, Schweinfurt (nur Schuldnerberatung).

    • Main-Spessart: Landratsamt, Marktplatz 8, 97753 Karlstadt.

    • Rhön-Grabfeld: Diakonisches Werk, Hedwig-Fichtel-Straße 1a, 97616 Bad Neustadt.

    • Haßberge: Caritasverband, Obere Vorstadt 19, 97437 Haßfurt.

    • Kitzingen: Landratsamt, Kaiserstraße 4, 97318 Kitzingen

    • Bad Kissingen: Landratsamt, Obere Marktstraße 6, 97688 Bad Kissingen.

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