Was ist für einen Wissenschaftler, der sich so intensiv wie kaum ein anderer seit Jahrzehnten mit Honigbienen beschäftigt, die bemerkenswerteste Zahl? „Die Mütterleistung der Königin“, sagt Jürgen Tautz über die bis zu 2000 Eier, die die Königin im Sommer täglich (!) legt.
Der aufregendste Fakt über Honigbienen? „Der Schutztrupp einer jungfräulichen Königin auf deren Hochzeitsflug“, sagt der Würzburger Biologe. Denn wo immer möglich, würde die Bienengemeinschaft die Risiken für das Überleben und Weiterreichen der Gene reduzieren.
Und der wichtigste von 66 Fakten im „Einmaleins der Honigbiene“? Dass die Tiere „IMMER sozial“ sind und sie „IMMER und ÜBERALL kommunizieren, nicht nur im Bienenstock“, sagt Tautz. Die Bienenforschung habe das in den vergangenen 100 Jahren „komplett außer Acht gelassen“. Doch wenn man die ständigen, permanenten Interaktionen außerhalb des Stocks erkenne und akzeptiere, „sind viele bekannte Daten und Vorstellungen neu zu bewerten“.
Und dieses Wissen will der 69-Jährige vermitteln – auf möglichst vielen Wegen, an möglichst viele Leute. Ganz neu mit einem „Büchlein, das sich eher mit der Freude als dem Leid mit den Bienen befasst“. Zusammen mit dem Wissenschaftsvermittler Tobias Hülswitt hat Tautz ein Springer-Sachbuch mit 66 Fakten rund um die Honigbiene herausgebracht.
Wer Tautz' bisherige Bücher mit spektakulären Aufnahmen auf dem Bienenstock kennt, ist überrascht: Kein einziges Foto gibt's im Buch – dafür 66 kleine, maximal 1000 Zeichen kurze Texte zu allem Wissenswerten und Faszinierenden über das Leben der Honigbienen. Viele junge und jüngere Smartphone-gewöhnte Menschen nähmen heute Infos ja nur noch mit „Internetstrategie“ auf: rasch lesen und von der Abfolge her weniger geordnet. Dem wollen der Bienen-Professor und sein Co-Autor mit den 66 knappen, verständlichen Kapiteln Rechnung tragen: „Jedes in ein bis zwei Minuten, und es ist total egal, wo im Büchlein man beginnt und wo man aufhört.“
Die „gedruckte App zum haptischen Blättern“ ist übrigens von einer Berliner Grafikerin illustriert. Und die Botschaft an den Leser ist klar: Unterstützen wir die Honigbiene, so unterstützen wir uns selbst.
- Mütterleistung!
Zwischen 1000 und 2000 Eier legt eine Königin im Sommer pro Tag – das sind ein bis zwei Eier pro Minute! Jeden Tag setzt die Königin damit fast mehr Gewicht in Eiern ab, als sie selbst wiegt. „Sie ist die Einzige im Staat, die es sich nicht leisten kann, nichts zu tun und sich zu drücken wie die Arbeitsbienen“, sagt Jürgen Tautz. Haben die Arbeiterinnen die Zellen gut gereinigt, senkt die Königin ihren Hinterleib bis auf den Grund jeder einzelnen Zelle ab und legt je ein Ei hinein. Wie Platzanweiserinnen helfen ihr die Arbeitsbienen dabei, sich auszurichten. - Steinzeit-Bienen
In Europa reicht die Geschichte von Honigbiene und Mensch Tausende von Jahre zurück. Frühestes Zeugnis der Beziehung: eine 6000 bis 12 000 Jahre alte Felszeichnung in einer Höhle nahe Valencia in Spanien. Ein Honigjäger greift mit einer Hand in ein Wildbienennest in einer Baumhöhle, in der Hand ein Sammelgefäß. Ungefähr zu dieser Zeit, in der Jungsteinzeit, begannen Bauern die Honigbiene zu domestizieren. Im heutigen Anatolien lässt sich die Bienenhaltung ab 7000 bis 8000 v. Chr. nachweisen. Der Mensch bekam Honig, Wachs und bestäubte Nutzpflanzen. - Der Bien
Ein Säugetier aus vielen Insekten? Nach den gängigen Kriterien sind einzelne Honigbienen Insekten, keine Frage. Der Imker Johannes Mehring sprach jedoch schon im 19. Jahrhundert vom Bienenvolk als „Einwesen“, das einem Wirbeltier entspricht. Die Arbeitsbienen seien quasi der Gesamtkörper, die Königin die weiblichen Geschlechtsorgane, die Drohnen die männlichen. Aus dieser Idee des Bienenvolkes als einem einzigen, unteilbaren Organismus ging der Begriff „der Bien“ hervor. Heute spricht man auch vom „Superorganismus“ mit Fähigkeiten wie ein Säugetier. - Lebenslauf I
Abhängig von Alter und der durch Ammen vorbestimmten Eignung macht die Arbeitsbiene Karriere mit mehreren Berufen. Während der 18 Tage Innendienst ist sie Heizerbiene im Brutbereich. Sie heizt sich dabei durch Flügelbewegungen auf und gibt ihre Wärme an die Larven in den Wabenzellen ab. Die ersten drei Tage des Lebens ist sie dazu noch Reinigungsbiene und putzt leere Wabenzellen. Ab dem vierten Tag wird sie zur Amme und versorgt die Larven mit Nahrung und Wärme oder wird Teil des Hofstaats und kümmert sich um die Königin des Volkes. - Lebenslauf II
Am elften Tag wechselt die Arbeitsbiene in die Baubranche und schwitzt aus Drüsen im Hinterleib „Wachsziegel“ aus, die sie für neue Wabenzellen verwendet. Mehr und mehr rückt sie dabei Richtung Nestausgang. Immer öfter nimmt sie dort von ankommenden Sammelbienen Pollen und Nektar entgegen, um beides zu verstauen. Wird es zu warm im Nest, reiht sie sich in den Trupp der Fächelbienen ein, die durch gemeinsame Flügelbewegung vor dem Eingang für einen kühlenden Luftstrom im Innern sorgen. Vom 19. bis 21. Lebenstag ist sie Wächterbiene am Ausgang. - Lebenslauf III
Am 22. Lebenstag sind die kognitiven Fähigkeiten der Honigbiene ausgereift, so Wissenschaftler Jürgen Tautz. Sie befinde sich jetzt auf dem Höhepunkt ihrer Lernfähigkeit. Sie startet Orientierungsflüge, auf denen sie die Umgebung des Stocks erkundet und kartiert. Dann wird sie zur Pfadfinderbiene, die nach Futterquellen sucht, zur Tänzerin, die den Weg zu den gefundenen Futterquellen weist, und zur Sammelbiene, die anderen Tänzerinnen folgt, um Nektar, Pollen und Pflanzenharze zum Nest zu tragen. Nach sechs Wochen ist das Leben der „Sommerbiene“ schon vorbei – und sie stirbt an Altersschwäche. - Schlaf
Ihr Dasein als Sammelbiene ist der letzte und auch anspruchsvollste Lebensabschnitt einer Honigbiene. Kein Wunder, dass die Forscher vor allem bei den Sammelbienen ausgeprägte Schlafzustände beobachten. Auch Jungbienen schlafen, aber kürzer und ohne festen Tag-Nacht-Rhythmus. „Jungbienen halten kurze Schläfchen, wo und wann ihnen die Antennen gerade schwer werden“, sagt Jürgen Tautz. Sammelbienen schlafen länger und vor allem nachts. Schlafende Bienen sind an der fehlenden Muskelspannung zu erkennen: Ihre Antennen hängen herab, die Beine sind eingeknickt. - Blütenbesucher
Für viele Nutzpflanzen ist die Honigbiene die perfekte Bestäuberin. Ein Kirschbaum kann es täglich auf zwei Kilo Nektar bringen. Eine einzelne Kirschblüte produziert an nur einem Tag mehr als 30 Milligramm Nektar, fast so viel, wie eine einzelne Biene von einem Ausflug ins Nest tragen könnte. Bienen hinterlassen Duftmarken an den Blüten, die sie gerade geleert haben. Erst wenn diese Markierungen verblasst sind, kommen wieder Bienen. So hat die Blüte Zeit, sich frisch mit Nektar aufzufüllen. Fitte Bienen können bis zu 3000 Blüten an einem Tag aufsuchen. - Pollenhosen
Honigbienen können Blütenstaub optimal einsammeln und transportieren. Mit Vorder-, Mittel- und Hinterbeinen pressen sie ihn zu festen Pollenpaketen zusammen, die sie zwischen Borsten an ihren Hinterbeinen, an den Körbchen oder Pollenhöschen, befestigen. Weil sie geschickt sind, klappt das Verstauen sogar im Flug. 15 Milligramm Pollen kann eine einzelne Biene von einem Sammelflug heimtragen, 20 bis 30 Kilogramm reinen Pollenstaub bringt ein Bienenvolk innerhalb eines Jahres so dank zwei Millionen Flügen zusammen. - Das Tüten
Die Töne, mit denen eine gerade geschlüpfte Jungkönigin die noch nicht geschlüpften Königinnen warnt, erinnere an das „Tüüt-tüt“ eines Weckers, sagt Tautz. Sie sind „so durchdringend, dass wir Menschen sie sogar in einiger Entfernung vom Stock noch gut hören können“. Dabei sind es gar nicht Töne, mit denen die erstgeschlüpfte Königin die ungeschlüpften anderen anspricht. Sondern sie erzeugt mit ihren Flugmuskeln Vibrationen, die sie über die Wabenkonstruktion versendet. Der Ton ist quasi Nebenprodukt der Vibrationen. Die Botschaft: Wartet noch mit dem Schlüpfen, bis ich weg bin!
Buch-Tipp: „Das Einmaleins der Honigbiene“, Jürgen Tautz und Tobias Hülswitt, Springer-Verlag 2019, 147 Seiten, 19,99 €