„Die Arbeitswelt ist im Wandel.“ So steht es im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Und diesem Wandel könnte eine Regelung zum Opfer fallen, die bislang als gesetzt galt: So wie bekannt ist, dass ein Fußballspiel 90 Minuten dauert, war vielen bislang auch klar, dass sich ein voller Arbeitstag über acht Stunden erstreckt. Der klassische Acht-Stunden-Tag wird aber bald Geschichte sein, wenn es nach CDU, CSU und SPD geht. Sie wollen eine Neuregelung im Arbeitsrecht verankern, die neue Perspektiven schafft – wohl vor allem für junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Nun hat sich auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann in die Diskussion zur Umsetzung der neuen Regelung eingemischt. Im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) forderte er Ende Mai 2025 mehr Einsatz zur Erhaltung des Wohlstands. Denn mit einer „Life-Life-Balance“ könne man den nicht produzieren. Bei der neuen Arbeitszeitregelung gehe es zwar um mehr Flexibilität, aber auch darum, die Rahmenbedingungen für Arbeit zu verbessern und damit die Produktivität zu stärken. Was ist also geplant?
Neue Regelung zu Arbeitszeiten: 4-Tage-Woche statt 8-Stunden-Tag?
Die Flexibilität im Job ist vor allem jungen Menschen enorm wichtig. Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) aus dem Jahr 2024 legte nahe, dass sich rund die Hälfte der Beschäftigten unter 30 Jahren mehr Spielraum bei der Gestaltung der Arbeitszeit wünscht. Im Koalitionsvertrag, in dem es heißt, dass sich Beschäftigte und Unternehmen mehr Flexibilität wünschen, wird damit ein Nerv getroffen.
Die Flexibilität wollen Union und SPD mit einer Neuregelung schaffen, die das Arbeitszeitgesetz zu einem Teil revolutionieren könnte. Der Plan: Die Parteien wollen „im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie die Möglichkeit einer wöchentlichen anstatt einer täglichen Höchstarbeitszeit schaffen – auch und gerade im Sinne einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“
Konkret bedeutet das, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre wöchentliche Arbeitszeit aufteilen können. Statt Montag bis Freitag jeweils acht Stunden zu arbeiten, können Sie beispielsweise von Montag bis Donnerstag jeweils zehn Stunden arbeiten. Dann ist die Wochenarbeitszeit absolviert – und faktisch eine Vier-Tage-Woche erreicht. Von Freitag bis Sonntag hätten Sie in diesem Szenario frei.
Wie soll die flexible 40-Stunden-Woche umgesetzt werden?
Wie genau die neue Regelung umgesetzt werden soll, lässt der Koalitionsvertrag offen. „Zur konkreten Ausgestaltung werden wir einen Dialog mit den Sozialpartnern durchführen“, ist in diesem zu lesen. Zur Erfassung der Arbeitszeit werden Union und SPD zumindest etwas konkreter: „Wir werden die Pflicht zur elektronischen Erfassung von Arbeitszeiten unbürokratisch regeln und dabei für kleine und mittlere Unternehmen angemessene Übergangsregeln vorsehen. Die Vertrauensarbeitszeit bleibt ohne Zeiterfassung im Einklang mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie möglich.“
Zudem soll der Ausnahmekatalog, der in § 10 des Arbeitszeitgesetzes festgelegt ist, um das Bäckereihandwerk erweitert werden. Der Paragraf sieht vor, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen beschäftigt werden dürfen, falls die Arbeit nicht oder nicht ausschließlich an Werktagen vorgenommen werden kann. „Dabei werden wir die hohen Standards im Arbeitsschutz wahren und die geltenden Ruhezeitregelungen beibehalten. Kein Beschäftigter darf gegen seinen Willen zu höherer Arbeitszeit gezwungen werden. Deshalb werden wir Missbrauch ausschließen“, stellen Union und SPD klar.
Fakt ist, dass es schon jetzt in manchen Branchen flexible Arbeitszeitmodelle gibt. Mit der neuen Regelung wäre eine flexible Einteilung der Arbeitszeit allerdings flächendeckend möglich.
Auch interessant: Ein gutes Nettogehalt in Deutschland ist eine Frage der Perspektive. Zudem gibt es vier Berufe, in denen statistisch gesehen das meiste Geld verdient werden kann.
Neue Arbeitszeit-Regelung – wie kommt sie in der Wirtschaft an?
Von der Idee einer selbstbestimmten Vier-Tage-Woche sind viele deutsche Unternehmen wenig begeistert. Eine Studie des IW kommt zu dem Schluss, dass „ein Großteil der deutschen Unternehmen die Einführung einer Vier-Tage-Woche sowohl für das eigene Unternehmen ablehnt als auch die Umsetzungsmöglichkeiten für die eigene Branche insgesamt eher skeptisch bewertet.“ Kritik an dem Vorhaben von Union und SPD kommt unter anderem aus der Gesundheitsbranche. Nicola Buhlinger-Göpfarth, Chefin des Hausärzteverbandes, erklärte, dass Arztpraxen nicht einfach dicht gemacht werden könnten. „Wer acht Stunden am Tag in einer rappelvollen Hausarztpraxis am Empfang oder in der Patientenversorgung arbeitet, ist dann irgendwann auch platt“, ergänzte sie im Gespräch mit Bild.
Der Deutsche Philologenbund warnte unterdessen, dass sich der Lehrberuf „weder tageweise noch wochenweise vermessen“ lasse. Er sieht die Gefahr einer „Entgrenzung der Arbeitszeit“. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) findet drastische Worte. Vielen Beschäftigten würde „der Kollaps“ drohen, wird DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel in einer Mitteilung zitiert: „In Krankenhäusern und Pflegeheimen oder bei Paketdiensten kämpfen Beschäftigte schon jetzt mit überlangen Arbeitszeiten unter hoher Last.“
Aus der Wirtschaft bekommt der Plan von Union und SPD aber auch viel Zuspruch. Handelsverband-Chef Stefan Genth erklärte der Bild, dass im Einzelhandel besser auf geschäftige Tage reagiert werden könnte. Zudem könnten Angestellte „in Abstimmung mit dem Arbeitgeber flexibler und angepasst an ihre jeweilige private Situation arbeiten“. Aus der Gastronomie und der Hotelbranche kommen ähnliche Rückmeldungen.
Aus dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes kommt ebenfalls Lob, da Bauprojekte flexibler umgesetzt werden könnten. Und auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall unterstützt die im Koalitionsvertrag beschriebenen Pläne. In der Elektro- und Metallindustrie würde es „heute andere Anforderungen an die Hersteller“ geben. „Aber auch die Beschäftigten haben andere Vorstellungen davon, wie und wann sie ihre Arbeit erledigen wollen“, wird der Verband von der Bild zitiert.
Übrigens: Union und SPD möchten auch die Frühstart-Rente einführen. Außerdem will Friedrich Merz (CDU) Kürzungen beim Kindergeld vornehmen, die eine Gruppe betreffen.
Carsten Linnemann zur neuen Regelung: „Life-Life-Balance“ erhält den Wohlstand nicht
Eine neue Auswertung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) zeigt, dass die Deutschen im internationalen Vergleich der geleisteten Arbeitsstunden abrutschen. Während Deutsche im Jahr 2023 im Schnitt auf 1036 Stunden kamen, waren es in Griechenland durchschnittlich 1172 Stunden und beim Spitzenreiter Neuseeland sogar über 1400 Stunden. 2013 lag Deutschland mit 1013 Stunden noch weiter vorne, seitdem stagnieren die Zahlen allerdings. Ein Grund laut dem IW: ein hoher Teilzeit-Anteil. Hier müsse die Politik nachbessern.
Genau das wollen Union und SPD mit der Einführung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit und mehr Flexibilität erreichen. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer soll eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf geschaffen werden. Im Gespräch mit dem RND ordnet Carsten Linnemann die Maßnahme ein: „Work-Life-Balance ist nichts Verwerfliches. Aber man hat manchmal den Eindruck, dass es nicht mehr um Work-Life-Balance geht, sondern um Life-Life-Balance.“ So funktioniere das System aber nicht. „Unser Wohlstand, unsere sozialen Sicherungssysteme, aber auch die Funktionsfähigkeit unseres Landes beruhen darauf, dass wir produktiv sind“, erklärt der Politiker. Deshalb müsse die Produktivität gestärkt werden – zum Beispiel über Anreize wie die Flexibilisierung der Wochenarbeitszeit oder eine Aktivrente.
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