Im bis auf den letzten Platz gefüllten Ratssaal des Würzburger Rathauses fand die Abendveranstaltung zur 35. Stolperstein-Verlegung statt. Als Referent sprach Prof. Johannes Dietl, ehemaliger Direktor der Universitäts-Frauenklinik und Mitglied des Arbeitskreises Stolpersteine. Diese und folgende Informationen stammen aus einer Pressemitteilung des Arbeitskreises Stolpersteine.
Dietl spannte in seinem Vortrag einen Bogen von den rassenhygienischen Vorstellungen unter Gynäkologen bereits vor der Zeit des Nationalsozialismus bis hin zu deren Umsetzung im Dritten Reich. Er erläuterte, dass das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ am 25. Juli 1933 veröffentlicht wurde und erstmals Zwangsmaßnahmen gegen den Willen der Betroffenen ermöglichte. Die praktische Umsetzung lag bei den Erbgesundheitsgerichten, wodurch Unrecht als „Recht“ erschien. Häufig wurde „Schwachsinn“ als Grund für eine Sterilisation angegeben, ein dehnbarer Begriff, der insbesondere Sinti und Roma betraf.
Unfruchtbarmachung durch Bestrahlung
Dietl nannte als Beispiel einen Fall, der in den damaligen Akten als „Unfruchtbarmachung des Zigeunermischlings Katharina“, eines 13-jährigen Mädchen, bezeichnet wurde. Diese rassistischen und diskriminierenden Begriffe spiegeln die Terminologie der NS-Zeit wider. Insgesamt seien an der Klinik fast 1000 Frauen zwangssterilisiert worden. Der damalige Klinikdirektor Prof. Carl Joseph Gauß habe bereits 1930 die Unfruchtbarmachung durch Bestrahlung als effektivste Methode bezeichnet.
148 Schwangerschaftsabbrüche bei Zwangsarbeiterinnen
Ein weiteres Kapitel betraf die Schwangerschaften von Zwangsarbeiterinnen, die – wie es in den Unterlagen aus der NS-Zeit hieß – als „größte Gefahr der ‚rassischen Verseuchung‘ des Deutschen Volkes“ galten. Zwischen Oktober 1943 und März 1945 wurden an der Frauenklinik mindestens 148 Schwangerschaftsabbrüche bei Ostarbeiterinnen vorgenommen, wobei zwei Operationsbücher nicht auffindbar seien.
Nach Kriegsende begann für die Betroffenen ein langwieriger Prozess der Beantragung von Entschädigungsleistungen. „Erst 1980 konnten zwangssterilisierte Personen nur unter Vorlage des Beschlusses eines Erbgesundheitsgerichts oder eines fachärztlichen Gutachtens eine einmalige Entschädigung in Höhe von 5000 DM beantragen“, so Dietl. Bis 2024 sei die monatliche Beihilfe auf 667 Euro erhöht worden, bei noch 13 beihilfeberechtigten zwangssterilisierten Frauen. Nach einer Diskussion löste sich die betroffene Stille im Saal langsam wieder. Für die musikalische Umrahmung sorgte das Winterstein Sintett, ein Sinti Swing Ensemble. (acon)
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